Einblicke in Patsy l‘Amour laLoves Sammelband „Beißreflexe“
Von Babette Reicherdt
Mit über 100 Gästen war das taz-Café bis auf den letzten Stehplatz gefüllt. In ihrer Queer Lecture referierte die ausgesprochen gut gelaunte Geschlechterforscherin und Polit-Tunte Patsy l’Amour laLove über ihre Beobachtung einer autoritären Wende innerhalb queerer aktivistischer Bewegungen der letzten Jahre. Dabei gab sie Einblicke in die in diesem Zusammenhang geführten Debatten, deren Diskussion zusammengestellt in einem Sammelband mit dem Titel „Beißreflexe“. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten“ jüngst im Querverlag veröffentlicht wurden. Die zum Teil drastischen Reaktionen auf das Buch, die hauptsächlich in sozialen Medien zu beobachten sind und etliche Gewaltandrohungen der Herausgeberin gegenüber beinhalten, griff laLove in ihrem Vortrag ebenfalls auf, um ihren Untersuchungsgegenstand zu illustrieren.
(Jan Feddersen und Patsy l’Amour laLove; Foto: Stephanie Kuhnen)
Die Schaffung von „safe spaces“ löst nicht das Problem
Anhand verschiedener Beispiele aus queerem Aktivismus im deutschsprachigen Raum – wie Lesungen, Hochschul-Vernetzungslisten oder die Organisationsgruppen des Berliner „alternativen CSD“ beleuchtete laLove das Phänomen einer zunehmend selbst autoritär und gewaltvoll geführten Auseinandersetzung um Diskriminierung durch Sexismus, Homophobie, Transphobie und Rassismus und das Vorgehen dagegen. In diesen Debatten werden Praxen sichtbar wie das Erteilen von Sprechverboten, die Hierarchisierung von Personen nach ihrer jeweiligen Betroffenheit von Diskriminierung und Selbsterhöhungsmechanismen durch das Zurechtweisen anderer, die einem Regelwerk von Sagbarem und Nichtsagbarem nicht genügen, wobei der einzige Maßstab die jeweils selbst erlebten oder von Dritten angenommenen Verletzungserfahrungen zu sein scheinen. Patsy l’Amour laLove setzte diesem Diskurs entgegen, dass „Verletzungen“ grundsätzlich passieren und nicht prinzipiell und vorwegnehmend verhinderbar seien. Besser wäre es daher, sich mit ihnen auseinanderzusetzen anstatt eine Kultur der „safe spaces“ einzufordern.
Queer – eine kurze Begriffszuordnung im Wandel der Zeit
In einem kurzen Abriss über die verschiedenen Bedeutungsebenen des Begriffes Queer machte Patsy l’Amour laLove den Bedeutungsverlust von Queer als politischem Begriff deutlich, der vor allem in der „Reise“ des Konzepts vom US-amerikanischen Kulturraum in einen deutschsprachigen begründet liege. Völlig entkleidet von seinen Implikationen als pervers, verdreht und verstörend, könne der Begriff von allen angeeignet werden, die als nicht normal angesehen werden wollen und sich dies auch leisten können, da sich niemand durch die Bezeichnung als queer in irgendeine Gefahr begebe. Somit wird queer zum modischen Accessoire oder, so Manuela Kay in laLoves 2016 herausgegebenem Sammelband „Selbsthass und Emanzipation“: queer ist das neue Wischiwaschi.
Patsy l’Amour laLove interpretiert das Phänomen autoritärer politischer Praxen innerhalb von politisch-aktivistischen Gruppen, deren gemeinsames Ziel als soziale Gerechtigkeit gefasst werden könnte, in einem psychoanalytischen Referenzrahmen. So seien die Hinwendung zu einer autoritären Ideologie, Praktiken der Zurechtweisung und des Verbotes jeweils mit Lustgewinn verknüpft, was die entsprechenden Gruppierungen als Orte der Regression charakterisierbar werden lasse.
In der anschließenden lebhaft geführten Publikumsdiskussion wurden Einwände bezüglich laLoves Kritik an der Praxis der Kennzeichnung von Privilegien geäußert. So sei das Transparentmachen von Privilegien bei der Verortung einer Sprecherposition ein bewährtes politisches Instrument, um Definitionsmacht und den Zusammenhang von Macht und Wissensproduktion immer wieder aufzeigen zu können. Auch wurde auf die notwendige Unterscheidung zwischen der Kritik an Konzepten und jener an den jeweils ausführenden Personen oder Gruppen eingefordert. Patsy l’Amour laLove betonte, ihre Kritik richte sich vor allem an die zugrundeliegende Ideologie, die als Phantasie einer queeren Avantgarde zu kritisieren sei. Sie plädierte für die Hinwendung zu einer queeren Offenheit, die die Möglichkeit der Reflexion über Ungerechtigkeit unabhängig von der Identität einräumt.
Babette Reicherdt. 2. Vorstand IQN