Das öffentlich-rechtliche Format „Willkommen im Club – der queere Podcast von PULS“ will mit einem Gast die Geschlechtsidentität „Genderfluid“ erklären – einem Begriff, der beansprucht, Teil von „queer“ zu sein. Doch am Ende kommt vor allem ein Sammelsurium an platten Geschlechtsrollenklischees heraus.

Ein Kind bekommt Mascara auf die Wimpern aufgetragen. Symbolbild für Artikel zum Begriff Genderfluid.
Macht das Auftragen von Mascara schon genderfluid? (Foto von Alexander Grey auf Unsplash.)

7. März 2025 | Till Randolf Amelung

Will man die Vielfalt an Identitäten und Selbstverständnissen beschreiben, so reicht die Buchstabenkette LGBTIQ längst nicht mehr aus, weshalb inzwischen ein Sternchen oder ein Plus-Zeichen ergänzt wird. Ein solches Plus-Zeichen ist der Begriff „genderfluid“. Eine Klärung, was darunter zu verstehen ist, will die Folge “Genderfluidität: Mein Geschlecht wechselt sich mehrmals am Tag!“ des Podcasts  „Willkommen im Club – der queere Podcast von PULS“ versuchen.

Diese Folge des Podcast, der zum Angebot des Bayrischen Rundfunks gehört, ist in mehrerlei Hinsicht interessant: Zum einen wird exemplarisch das riesige Missverständnis offenbart, jeder Gefühlsregung ein Etikett geben zu müssen und eine Prideflagge noch dazu. Zum anderen, wie sehr alle Versuche, die Geschlechterbinarität aufzulösen, zum Scheitern verurteilt sind. Schlimmer noch: es werden Stereotype zementiert.

Fluide Geschlechtsidentität erklärt

All dies war mit der Podcastfolge nicht intendiert, denn das Thema wird sehr affirmativ behandelt. Die beiden Hosts des Podcast, Sophia Sailer und Dimi Stratakis, haben dafür die 24-jährige Ari eingeladen.  Die Studentin der Erziehungswissenschaften aus Regensburg identifiziert sich als „genderfluid“. Nach dem Warmwerden geht es daran zu klären, was eine genderfluide Identität ausmacht.

Dimi: „Heißt, du fühlst dich zum Beispiel manchmal auch weiblich oder vielleicht auch mal gar nicht in einem Geschlecht zugehörig, sondern eher non-binär?“

Ari: „Ja, auf jeden Fall.“

Dimi: „Und wie fühlst du dich denn jetzt gerade?“

Ari: „Ich glaube, gerade bin ich sehr girly-pop unterwegs. Gerade ist schon sehr female.“

Dimi: „Und wenn sich dein Geschlecht dann ändert, dann ändern sich auch deine Pronomen mit. Das heißt, deine heutigen Pronomen sind?“

Ari: „Sie, ihr.“

Dimi: „Sweet.“

Gefunden hat Ari ihre Identität mit 18 Jahren über Social Media:

„Ja, ich habe irgendwann auf TikTok gescrollt und habe eine Person gefunden, die tatsächlich das erste Mal einen Namen für ein Gefühl geben konnte, was ich irgendwie die ganze Zeit hatte und hat das auch sehr bildlich veranschaulicht in TikTok und hat dann irgendwie sich an manchen Tagen super, super feminin repräsentiert und an anderen Tagen super, super maskulin. Und ich habe halt irgendwie, wie das so oft ist, wenn man irgendwie ein Thema hat, wo man irgendwie ein Connecting Point mit hat, man macht einen absoluten Deep Dive.“

Wechsel von Pronomen, Kleidung und Verhalten

Ari sagt auch, dass sie zu ihr konträre Geschlechtsidentitäten als „statisch“ verstehe. So, als identifizierten sich alle Menschen rund um die Uhr mit ihrem Geschlecht. Sie selbst habe Schwankungen in ihrem Geschlechtsempfinden und drücke das auch mit wechselnden Pronomen, Kleidung und Verhalten aus.

„Also wenn ich jetzt mich in einem Umfeld bewege, was sehr queer ist und sehr offen, dann merke ich meine Geschlechtsidentität kaum. Dann ist das was, weil ich mich eh schon so wohlfühle, dass ich auch gar nicht so viel darüber nachdenke. Und da eh weiß, ich werde da hauptsächlich nur mit meinem Namen angesprochen und es werden sowieso keine Pronomen verwendet, einfach um auf Nummer sicher zu gehen. Dann ist das was, was sehr schwach ist. Und wenn ich merke, ich bin in einem Umfeld mit vielen Männern oder auch Leuten, die sehr viel älter sind als ich, dann merke ich, dass es oft in eine männlichere Richtung switcht. Ja, irgendwie, um vielleicht auch auf Augenhöhe zu sein.“

Als sie gefragt wird, woran sie merke, welches Geschlecht sie habe, sagt Ari:

„Ich glaube, es ist für mich im ersten Moment ein Gefühl. Und ich spüre es mittlerweile sehr schnell und sehr deutlich. Ich glaube, dass es auch irgendwie ein bisschen damit zu tun hat, wie ich gerade so mich anziehe. Und oft merke ich es dann in dem Moment so, jetzt fühlt sich das, was ich gerade anhabe, nicht mehr gut an. Und jetzt ist das gerade irgendwie nicht mehr genau das, wie ich sein will oder wie ich gesehen werden möchte.“

Sehr viel scheint bei Ari auch mit Geschlechterrollenklischees zusammen zu hängen, was zum Beispiel beim Thema „Kleidung“ deutlich wird:

„Ja, ich glaube, was mir immer geholfen hat, so ein bisschen femininer irgendwie zu wirken, war halt sehr taillierte Hosen anzuhaben. Oder dann einfach den Gürtel ein bisschen enger zu stellen, die Hose ein bisschen weiter nach oben zu ziehen. Und wenn ich dann das Gefühl hatte, okay, das fühlt sich jetzt nicht mehr so gut an, Gürtel eins locker, Hose hier auf die Hüfte. Und was auch hilft, ist T-Shirt rein oder raus. Irgendwie nochmal so einen lässigeren, androgyneren Look zu kreieren. “

Prideflagge für Genderfluidität, Farben von oben nach unten: Die Farbe Rosa steht für Weiblichkeit. Oder das weibliche Geschlecht Das Weiß steht für das Fehlen des Geschlechts. Violett steht für die Kombination von Männlichkeit und Weiblichkeit. Schwarz steht für alle Geschlechter, einschließlich des dritten Geschlechts. Blau steht für Maskulinität oder das männliche Geschlecht.
Foto von Calcavorix auf Wikipedia

Die Prideflagge für Genderfluidität

Die Farbe Rosa steht für Weiblichkeit oder das weibliche Geschlecht. Das Weiß repräsentiert das Fehlen des Geschlechts. Violett steht für die Kombination von Männlichkeit und Weiblichkeit. Schwarz symbolisiert alle Geschlechter, einschließlich des dritten Geschlechts. Blau steht für Maskulinität oder das männliche Geschlecht.

Manspreading in der U-Bahn

Klischees sind für Ari nicht nur bei der Kleidung ein Thema: „Dinge, die ich ändere, je nach Geschlechtsgefühl, sind dann schon manchmal so Sachen wie Körperhaltung, Stimmlage. Das sind Sachen, die variiere ich, um mich wohler zu fühlen […].“

Host Dimi will den Punkt mit dem Verhalten genauer erörtert wissen: „Wenn du sagst, dass du dich irgendwie männlicher verhältst oder auch so eine Körperhaltung irgendwie einnimmst, was kann ich mir darunter vorstellen? Fängst du an zu Manspreaden in der U-Bahn?“

Und Ari antwortet mit einem sehr klischeehaften Bild von Männlichkeit:

„Ich fang so doll an zu Manspreaden in der U-Bahn. Erstmal rülpsen. Ich finde, Kontakt zum Boden macht einen großen Unterschied. Also tatsächlich schon auch irgendwie breitbeiniger dazusitzen, mehr in so eine Schwere zu gehen, was so Körperhaltung angeht, Gesten weniger flüssig und fein zu machen, sondern halt irgendwie auch mal statischer zu sein und irgendwie mal mehr seinen Muskeltonus zu spüren. Das ist auch irgendwie Dinge, die halt helfen, in so eine männliche Richtung zu gehen.“ Selbstredend gibt es von Ari die Erwartung, dass ihr nahestehende Personen sie öfter mal fragen, wie sie nun angeredet werden möchte.

Unbedingter Wille zum Etikett

Ari beschreibt Empfindungen, die vielen Menschen vertraut sein dürften. Für verschiedene Gelegenheiten haben wir alle unterschiedliche Verhaltensrepertoires, wir sind nicht rund um die Uhr in derselben Stimmung, wir tragen nicht permanent den gleichen Kleidungsstil. In den letzten Jahren hat jedoch eine Mode um sich gegriffen, alle Regungen irgendwie schubladisieren zu müssen – im queeren Sektor heißt das, neue Identitätsbegriffe und Prideflaggen zu gestalten. Andere begehren eine Diagnose wie ADHS – Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder psychische Erkrankungen.

Dass nicht jede menschliche Unannehmlichkeit oder schlicht der Lauf des Emotionsgefüges einen Stempel, wie eine medizinische Diagnose oder eine Prideflagge rechtfertigt, scheint in dieser Gesellschaft zunehmend verlernt zu werden. Und dass bei einer Zuspitzung von Geschlechterklischees weder die befreite Gesellschaft noch das emanzipierte Selbst herauskommt, wird ebenso wenig begriffen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.