Erstmals vor drei Jahren wurde, wie viele andere öffentliche Gebäude auch, das Reichstagsgebäude zum CSD Berlin mit der Regenbogenfahne beflaggt. Nun hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) diese Beflaggung auf den Aktionstag des IDAHOBIT am 17. Mai beschränkt. Das ist auch richtig so, denn der Staat sollte sich nicht Symbole politischer Demonstrationen zu eigen machen. Außerdem ist es angesichts der zunehmenden Bedrohung von Queers durch Rechtsextremismus und Islamismus wichtiger, dass der Staat nicht nur flaggt, sondern für unsere Sicherheit sorgt.

Viele kleine Regenbogenfähnchen sind auf der Rasenfläche vor dem Reichstaggebäude platziert worden. Symbolbild für Artikel "CSD Berlin 2025: Queere Sichtbarkeit braucht Sicherheit anstatt Symbole auf dem Reichstag"
Regenbogenflaggen: Künftig nur noch vor und nicht mehr an den offiziellen Fahnenmasten des Reichstaggebäudes (Foto von Evžen Afanasenko auf Unsplash).

16. Juni 2025 | Till Randolf Amelung

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat entschieden, dass die Regenbogenflagge am Reichstaggebäude künftig nur noch zum 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transphobie gehisst werden soll, nicht aber zum CSD in Berlin. In einer dazu herausgegebenen Pressemitteilung heißt es:

„Am 17. Mai werde ich in diesem Jahr auch auf dem Reichstagsgebäude neben der Bundesflagge und der Europaflagge die Regenbogenfahne wehen lassen. Ich habe zudem entschieden, dass dies der einzige Anlass sein wird und eine entsprechende Beflaggung sich nicht auch auf den Christopher-Street-Day erstreckt, der als Tag der Versammlung, des Protests und der Feier von seiner kraftvollen Präsenz auf den Straßen lebt. An diesem Tag wird die Regenbogenflagge zurecht auf vielfältige Weise durch die Menschen selbst getragen und verbreitet, nicht durch die Institution Bundestag.“

CSD ist politische Demo

Für die Schriftstellerin Ronya Othmann kommt diese Entscheidung zu einem falschen Zeitpunkt, denn unter dem Eindruck eines weltweit rollenden Backlash benötigt die queere Community Unterstützung, wie sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kritisierte.

Dabei ist Klöckners Entscheidung richtig, denn der CSD ist vor allem im Selbstverständnis der OrganisatorInnen und queeren AktivistInnen eine politische Demonstration. Der deutsche Staat sollte sich im Sinne der Neutralität nicht mit solchen Demonstrationen durch das Zeigen der Symbole gemein machen. Deshalb ist auch die Absage einer Fußgruppe der Verwaltung des Deutschen Bundestags richtig. MitarbeiterInnen der Verwaltung können selbstverständlich weiterhin als Privatpersonen am CSD teilnehmen.

Ohnehin sollte es weniger darum gehen, Symbole an staatliche Fahnenmasten zu bringen, sondern zu eruieren, was LGBTIQ vom Staat tatsächlich brauchen. Zumal man auch ehrlicherweise zugeben muss, dass andere gesellschaftliche Gruppen ebenso politischer Aufmerksamkeit bedürfen, diese aber nicht das Glück haben, bunte Stoffkreationen für die PR zu liefern. Es sei denn, es gibt inzwischen auch Prideflaggen für Alleinerziehende, pflegende Angehörige, Obdachlose oder andere, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Sicherheit hat Priorität

Für LGBTIQ haben derzeit Sicherheitsfragen höhere Priorität als reine Symbolpolitik. CSD-Veranstaltungen werden inzwischen regelmäßig von Rechtsextremen bedroht. Laut queer.de haben am vergangenen Samstag knapp 90 Neonazis gegen den CSD in Pforzheim demonstriert. Im Vorfeld des CSD in Werningerode wurde ein Mann verhaftet, der einen Anschlag angedroht hatte.

Doch nicht nur Rechtsextreme gefährden die queere Sicherheit. Eine weitere Bedrohung geht von islamistischen Kreisen aus. Ende Mai wurde ein Fall eines schwulen Lehrers bekannt, der an einer Berliner Grundschule arbeitete und nach seinem Coming-out vor allem von muslimischen SchülerInnen bedroht wurde. Die Bedrohungslage von queeren Menschen durch rechtsextremistische und islamistische Gruppen bestätigte auch der jüngste Bericht des Berliner Verfassungsschutzes.

Wenn der Staat also wirklich etwas für LGBTIQ in Deutschland tun will, dann sollte bei der Sicherheit begonnen werden. Ein buntes Tüchlein am Fahnenmast ist „nice to have“, aber sorgt nicht aus sich selbst heraus dafür, dass TeilnehmerInnen an CSD-Demos diese ohne Schaden besuchen können. In Sachen Vielfalt ist es allzu oft so: Wenn es mehr kostet als eine bunte Fahne an einem Mast oder einen Sprachleitfaden, dann lässt die Bereitschaft seitens der Politik dafür erheblich nach. Seien wir also nicht zu billig und fordern die wirklich relevanten Dinge ein! Denn Sichtbarkeit braucht erstmal Sicherheit.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.