Drei queere Archive wollen in Berlin in Neukölln ein gemeinsames Archivzentrum errichten. Nun werben sie um Spenden, um die notwendigen Genossenschaftsanteile der avisierten Immobilie finanzieren zu können. Noch ist das Spendenziel nicht erreicht. Doch ist ein reiner Sammlungsort ohne öffentlichkeitsinklusive Anteile noch zeitgemäß?
5. Januar 2025 | Jan Feddersen
In Berlin mühen sich seit einigen Jahren drei im LGBTI*-Spektrum arbeitende Archive um ein gemeinsames Archivhaus. Nun scheint es konkreter zu werden. Unter der Überschrift „Endlich (alles) an einem Ort“ heißt es: „Drei der ältesten und bedeutendsten Gedächtniseinrichtungen Berlins – das feministische Archiv FFBIZ, die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und das Spinnboden Lesbenarchiv & Bibliothek – bauen ein gemeinsames Archivzentrum auf.“ Und zwar in Neukölln, stadtauswärts betrachtet rechts der Karl-Marx-Straße gleich hinter dem wuchtigen Rathaus des Bezirks.
Wörtlich heißt es auf der Website des Projekts:
„Das gemeinsame Archivzentrum wird in einem Gebäudekomplex auf dem Gelände des sog. Vollgutlagers der ehemaligen Kindl-Brauerei in Berlin-Neukölln entstehen. Das Gelände gehört der Schweizer Stiftung Edith Maryon. Eines der Ziele der Stiftung ist es, Grund und Boden der Spekulation zu entziehen und damit günstige Mieten zu ermöglichen. Das künftige Erbbaurecht der Vollgut eG i. Gr. sichert den Standort langfristig; und die von uns zu mietenden Flächen bieten ausreichend Platz für Zuwächse von Bibliothek und Archiv – bei Garantie günstiger Mietpreise.“
Und zur Zielsetzung generell, sprachlich nicht ganz frei von Antragsprosa in Zeiten, in denen rechtspopulistische Parteien noch keinen Einfluss auf Behörden und Subventionstöpfe haben:
„Sammlung und Erhalt lesbischer, schwuler, queerer und feministischer Geschichte wird in Zeiten eines erneuten Rechtsrucks immer wichtiger! Die Kämpfe von damals sind unser Auftrag heute – um die Generationen, die nach uns kommen, zu informieren, zu stärken und zu inspirieren. Die Zusammenführung als Archivzentrum bedeutet die langfristige Sicherung der drei beteiligten Archive: Verträge über 99 Jahre mit der Garantie stabiler Mieten und mehr Platz für die wachsenden Bestände!“
Spenden für Archivhaus gesucht
Die drei Archive würden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum traditionsreichen SchwuZ ansiedeln. Es wäre der zweite größere Standort für die Sammlungen, Bibliotheken sowie Vor- und Nachlässe aus der LGBTI-Community – denn Marktführer im Hinblick auf das Sammeln dieser Kulturschätze ist das Schwule Museum.. Ermöglicht werden soll das Neuköllner Projekt durch Spenden – eine Anschubfinanzierung gibt es außerdem von der 2023 neu gegründeten privaten Schachtsiek Familien Stiftung.
In einem Text des Online-Informationsdienstes mannschaft.com heißt es nun:
„Bislang sind 642 Spenden eingegangen, und es ist ein Betrag von 159.846 Euro eingesammelt worden. Das entspricht 53 Prozent der nötigen Gesamtsumme. Kurz vor Weihnachten erklärte Giuseppina Lettieri als Verantwortliche der Aktion, dass der Pachtvertrag für das Vollgut-Areal trotz der noch fehlenden Gelder unterzeichnet worden sei. Aber: ‚Für unseren 3. und letzten Genossenschaftsanteil fehlen uns noch gut 130.000 Euro. Falls sie/ihr unsere Spendenkampagne nochmal mit bewerben könntet, wären wir euch sehr dankbar.‘“
Wir wünschen dieser schönen Idee viel Glück, es werden gewiss noch weitere Gelder akquiriert werden können. Die drei bislang verstreut in der Berliner Queertopographie verteilten Archive könnten gemeinsam in einem Gebäude ihren BesucherInnen viel Fahrerei ersparen, wenn sie deren Bestände nutzen wollen. Auch ist der Weg nicht weit ins Schwule Museum – wo auch immer dieses in mittlerer Zukunft Quartier beziehen wird. Denn auch dieses traditionsreiche Haus steht in der Not, mit immer höheren Mietforderungen konfrontiert zu werden und die Dauerförderung durch den Senat könnte auch nicht für ewig in gleicher Höhe fließen.
Obendrein sind es aus dem Rollberg-nahen Kiez in Neukölln nur wenige Schritte um zum vielleicht kostbarsten Archiv aus dem LGBTI*-Spektrum zu kommen, dem Lili-Elbe-Archiv, das – Stand 2020 – in einer halbwegs geräumigen Wohnung in der Weserstraße angesiedelt war. Unklar ist, wie es um dieses Archiv aktuell bestellt ist, dessen Archivmaterial qualitativ nur das Transgender Archive an der kanadischen University of Victoria als würdige Vergleichsgröße hatte.
Archivpläne ohne Gastronomie und Veranstaltungen
Insgesamt entsprechen die seit einigen Monaten öffentlich werdenden Pläne der drei ArchivträgerInnen jenen, die sie auch beim Plan für ein Queeres Kulturhaus eingebracht haben. Dieses Queere Kulturhaus war bis Ende 2020 geplant als ein Haus der queeren Archive, wo zugleich auch Kulturveranstaltungen stattgefunden hätten und mit einer gastronomischen Einrichtung, die zum neugierigen Spontanbesuch einladen sollte. Das aber wollten die VertreterInnen der Archive nicht: Sie wollten keineswegs nur zufälligen Publikumsverkehr. Oder wie es ein Verantwortlicher der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft sagte: „Wir sind ja kein CSD.“
Mit anderen Worten: Sie möchten ein Archivhaus ohne kulturellen „Schnickschnack“ (so ein Ausdruck einer Frau des Spinnbodenarchivs) – und scheiterten mit diesem Plan am damaligen Bürgermeister und Kultursenator Klaus Lederer, der dem gesamten Projekt, Stand Juni 2020, 23 Millionen Euro zusagte, aber nur unter der Voraussetzung, dass es nicht nur eine allgemeine Archivstätte ist. Der Raumplan für das Archivhaus, wie die drei TrägerInnen ihn sich vorstellen, ist noch nicht weiter öffentlich bekannt, aber aus Erfahrung mit ihnen lässt sich vermuten, dass man kein Interesse an einem regen Publikumsverkehr hat. Bereits bei der Ausrichtung der Weltkonferenz queerer Archive 2019 versäumten diese Archive Bemühungen, eine professionelle Medienarbeit zu verankern oder sich über die Fachöffentlichkeit hinaus bekannt zu machen.
Öffentlichkeitsbewusste Inklusion fehlt
Das Archivhaus hat natürlich jedes Recht, sich auch in Neukölln anzusiedeln. Warum aber viel preisgünstigere Mietimmobilien etwa am Stadtrand für eine reine Aufbewahr- und Forschungseinrichtung nicht ausreichen würden, bleibt ein Rätsel. Und wer weiß: Vielleicht wäre ein Konzept mit Kultur- und Begegnungsprogramm auch für potenzielle SpenderInnen attraktiver? Jede moderne Bibliothek (mit angeschlossenen Sammlungsbeständen) wie etwa die in der finnischen Hauptstadt Helsinki ist auf Publikumsnutzung angelegt – man heißt es willkommen! Oodi (finnisch für „Ode“) heißt diese Bibliothek, die immerhin 2019 zur besten der Welt gekürt wurde.
Das finnische Beispiel hat im Vergleich mit queeren Projekten gigantischere Ausmaße, aber die Idee der öffentlichen Transparenz ist der entscheidende Punkt. So wie in Hamburg das alte Postamt am Hauptbahnhof, der Hühnerposten, nicht nur Bibliothek, sondern vor allem BürgerInnentreffpunkt ist. All diese Aspekte der öffentlichkeitsbewussten Inklusion spielen leider beim Archivhaus keine Rolle: Möchte man lieber unter sich im kleinen Kreis bleiben?
Transparenzhinweis: Der Autor war Initiator des Queeren Kulturhauses im Jahr 2012 als Projekt für einen queeren Leuchtturm in Berlin und ist für IQN Mitglied des Kuratoriums der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.