Oder: Paranoia in der queeren Szene

Hinter dem Begriff des „Homonationalismus“ steht eine nicht durch Empirie gesättigte Vorstellung, Staaten des reichen, kapitalistischen Westens würden mit LGBT-Rechten nur von ihrem Rassismus insbesondere gegenüber Muslimen ablenken. Auch in LGBT-Kreisen gibt es Anhänger*innen dieser Behauptung. Jan Feddersen kommentiert, warum das falsch ist.

Wird hier gerade pinkgewaschen? (Foto von engin akyurt auf Unsplash.)

26. Juli 2024 | Jan Feddersen

In der Siegessäule, der Berliner LGBTIQ*+-Szeneillustrierten der queeren Milieus, erschien Anfang Juni ein beinah klassisch zu nennender Text von Lara Hansen, der diese Frage zu erläutern sucht: „Was ist Homonationalismus?“ Zunächst ließe sich sagen, dass die Vokabel „Homonationalismus“ zu den Kampfbegriffen der queerfeministischen Szene gehört, der auf die Theoretikerin Jasbir Puar zurückgeht.

LGBT-Rechte als Ablenkungsmanöver

Das Wort fußt auf einer Weltanschauung, der zufolge Schwule und Lesben und Trans in Ländern des „kapitalistischen Westens“ nur scheinbar in liberalisierten Verhältnissen leben.  Westliche Nationalstaaten würden LGBT-Rechte ausschließlich zu rassistischen und nationalistischen Zwecken instrumentalisieren, davon würden vor allem „weiße schwule Cis-Männer profitieren“. Cis, es meint auch mich, einen biologischen Mann und Schwulen, der sich gegen jede Idee verwahrte, dass er psychiatrischen oder medizinischen Konversionen unterzogen werden sollte oder könnte. Meine Rechte seien ein bitter erkaufter Trugschluss, denn in den reichen Staaten sei diese Liberalisierung durch Hetze gegen und Diskriminierung von marginalisierten Menschen, insbesondere Migranten, Schwarze Menschen, möglich geworden. Homonationalismus meint also auch eine Kritik an der Zufriedenheit dieser LGBTI*-Szenen mit den erreichten Fortschritten  in diesen Ländern.

Israel sei besonders perfide

Im Hinblick auf Israel sei Homonationalismus ein nachgerade imperialistisches Manöver der Regierung, sich eines „Pinkwashings“ zu bedienen: Mit dem Verweis auf den CSD in Tel Aviv wird kolportiert, dass diese queeren Szenen, die gut gelaunt in Tel Aviv feiern, eigentlich Agentinnen* des israelischen Besatzungsregime seien, um vor aller Welt als liberal dazustehen. Wir Homos als Aushängeschilder, damit die Hamas, die Palästinenser, der Islam weiterhin dämonisiert bleiben.

Wörtlich schreibt Lana Hansen in der Siegessäule:

„Dahinter steckt rassistisches Entweder-oder-Denken: Wer gegen den Islam sei, sei für Homosexuelle und umgekehrt. ‚Dieses Muster sehen wir auch bei uns. Etwa bei der AfD, die sich immer wieder gegen die Ehe für alle ausspricht und gegen Aufklärung zu sexueller Diversität in Schulen. Aber wenn es darum geht, den ‚guten weißen Schwulen‘ vor dem ‚bösen Moslem‘ zu beschützen, dann sind Queers wieder gut genug. Diese instrumentelle Herangehensweise zeichnet den Homonationalismus aus‘, sagt Experte Michael Hunklinger.“

Und:

„Laut Prof* Jin Haritaworn zeigt sich Homonationalismus in eben diesen schein-progressiven Bestrebungen, wie etwa Queers vor Migrant*innen zu schützen. ‚Migrantisierte Menschen werden als homophob, antisemitisch und patriarchal beschrieben – alles Eigenschaften, mit denen die weiße Mitte nichts mehr zu tun haben will‘, schreibt Haritaworn der SIEGESSÄULE.“

Lana Hansen will also sagen: „Schwule Männer und lesbische Frauen erkauften sich ihre Freiheit, indem sie Migrantinnen* verteufeln und den Islam im Besonderen.“

Gewöhnung an LGBT über Jahrzehnte gewachsen

Nichts davon ist wahr. Es handelt sich beim Text von Frau Hansen um ein Dokument schlecht gelaunter Paranoia und antiimperialistisch gesinnter Kraut-und-Rüben-Theorie. Wahr ist, dass die meisten Migrantinnen*, ob aus Afrika, den arabischen Ländern oder Osteuropa, es anfänglich stark irritiert, dass Schwule oder Lesben oder Transmenschen in reichen Ländern wie Deutschland öffentlich auftreten können. Die allermeisten gewöhnen sich aber daran, so wie sich die allermeisten Urdeutschen an uns gewöhnt haben im Laufe der Jahrzehnte.

Wahr ist aber auch, dass in Dresden ein schwules Paar von einem islamistisch gesinnten Asylbewerber angegriffen wurde, mit einem Messer. Einer der beiden Männer kam bei dieser Attacke sogar ums Leben. Der Hinterbliebene verwahrte sich Monate später gegen Initiativen, am Tatort eine Art Mahnmal gegen Homophobie aufzustellen – wichtiger sei, ein Zeichen gegen Islamismus zu setzen, betonte er.

Schwule und Lesben haben sich seit über einem halben Jahrhundert ihre gesellschaftliche Performance, die öffentlich sein kann, hart erkämpft. CSDs trugen das ihre dazu bei. So ging es in allen Ländern, in deren Gesellschaften mehrheitlich die Auffassung gelebt wird, Lesben und Schwule und Trans seien okay. Das sind politische Kampferfolge und keine imperialistischen Strategien, um als Nation besser dazustehen. Niemand stand in den Kommandozentralen und formulierte den Befehl: „Lass die weißen Schwulen ran, damit wir imagemäßig besser dastehen!“

Westliche, liberale Staaten sind Zufluchtsorte

Wahr bleibt ebenso, dass schwule Männer und lesbische Frauen und trans Menschen die Länder mit liberalen Auffassungen aufsuchen, um dort in Ruhe eben schwul oder lesbisch oder sonst wie nicht-heteronormativ zu leben. Wäre Deutschland nur rassistisch oder queerphob käme niemand. Wäre Israel so schlimm, bemühten sich Queers aus Gaza oder der Westbank nicht um Fluchten dorthin. In dem jüdischen Staat sind sie sicher, in Gaza-City nie. So oder so: Lana Hansen scheitert schon empirisch mit ihrem Text, aber Episteln wie die ihrige in der „Siegessäule“ sind in queeren Medien und bestimmten Teilen des Wissenschaftsbetriebs sehr beliebt: Sie bedienen mit einem Grundraunen die Gefühle des Verdachts, dass irgendetwas nicht stimmen könne.

„Homonationalismus“ funktioniert wie in der katholischen Kirche das Wort „Teufel“ oder „Antichrist“ – wird schon was dran sein. Schwule und lesbische Migrantinnen* haben vor allem einen Feind in Deutschland: Die linke Szene, die ihnen einreden will, dass sie nichts gegen den Islam sagen dürfen, weil das angeblich den Rechten dient. Und die eigene Familie, die es gar nicht gern hat, wenn der eigene Filius schwul wird oder die Tochter lesbisch.

Die Vulnerabilität von Migrant*innen durch bürgerrechtlich erstrittene Erfolge für LGBT wird nur behauptet, nicht belegt. Auch die lesbische Parteivorsitzende der in Teilen rechtsextremen AfD, Alice Weidel, taugt nicht als Beleg. Die AfD ist ohne Frage eine schreckliche, furchterregende Partei – beängstigender sind jedoch jene, die die neuen Heimaten der Migras* schlecht reden und suggerieren, in Deutschland sei es fast übler als in Syrien. Da lacht der eben geflüchtete Migra* – und zieht sich von solch‘ dubiosen Theoretikerinnen* eilends zurück.


Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.


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