Erfahrungsbericht vom israelsolidarischen East Pride

Am vergangenen Samstag demonstrierten Teilnehmer*innen des East Pride unter dem Motto „Homos sagen Ja zu Israel“ und bezogen damit Stellung gegen Antizionismus. IQN-Autorin Chantalle El Helou war vor Ort.

Ein Demoschild auf dem East Pride Berlin sagt "Queers for Israel"
Ein Demoschild sagt „Ja“ zu Israel (Foto: Steffi Reichert –streichphotography)

2. Juli 2024 | Chantalle El Helou

Am Samstag dem 29. Juni fand in Berlin eine außergewöhnliche und wichtige Pride Parade statt. Die Veranstalter Wolfgang Bayer und Anette Detering widmen den East Pride stets queerpolitisch relevanten politischen Entwicklungen. Letztes Jahr wurde auf der East Pride für die Rechte Homosexueller in Uganda demonstriert, sich das Jahr davor mit der Ukraine solidarisiert. Nun wendet sich die Demo unter dem Motto „Homos sagen Ja zu Israel“ explizit gegen den Antizionismus der queeren Szene.

Zum Zustand der queeren Szene

Unter Queeren ist eine ablehnende Haltung zu Israel ebenso weit verbreitet wie in vielen linken Kreisen. Hier wird der Antizionismus um die eigene Opfererfahrung erweitert: Im Glaube selbst von der Welt missachtet zu sein, schlägt man sich in blindem Aktivismus auf die Seite der vermeintlichen Opfer – der „Palästinenser“, von denen nicht nur Hamas-Kämpfer, sondern auch viele Zivilisten an den Gräueltaten des 7. Oktober 2023 beteiligt waren.

Nicht einen Moment wird anerkannt, dass das zionistische Projekt eine emanzipatorische Erfolgsgeschichte ist, dass die Gründung des Staates Israel eine tatsächlich gelungene Befreiung von der Willkür der potenziell antisemitischen Mehrheit der Nicht-Juden war. Man sollte daher meinen, dass eine derartige Befreiung aus der Ohnmacht bei Queeren auf eine leidenschaftliche Verteidigungshaltung stoßen müsste.

Kampagnen wie „Queers for Palestine“, aber auch der jederzeit spürbare Common Sense in der queeren Szene beweisen das Gegenteil. So ist es bei vielen die unangefochtene und jederzeit kundgetane Gewissheit, dass Israel der eigentliche Aggressor ist. Homo-Bars und -Clubs, die zuvor nicht israelfeindlich waren, haben nach 10/7 eindeutig Stellung bezogen, selbstverständlich gegen Israel. Unangenehm aufgefallen sind beispielsweise das K-Fetisch oder die Oya-Bar.

Die ideologische Verwahrlosung findet auch direkt Eingang ins Ästhetische, sodass nicht einmal bei Meidung aller Gespräche den weltanschaulichen Abgründen des Gegenübers entronnen werden kann. Die Kufiya – ein nationalistisches und antiisraelisches Symbol der arabischen Palästinenser – wird nun in der Hitze des Sommers gern als Ersatz des Oberteils praktisch um die Brüste gebunden. Auch bei Dragshows und queeren Performances werden gern Paliflaggen und Wassermelonensymbole in die Lack- und Lederoutfits integriert: Die massiv sexuelle Aufladung von Symbolen antisemitischer Vernichtung komplettiert die Barbarisierung der Szene.

Der Antizionismus linker Akteure ist ein moralistischer – Israel wird als rassistisch-kolonialistischer Unterdrücker dargestellt. Manch einer glaubt sogar, dass ein Sieg Israels in Gaza einer Niederlage im Kampf um das Wohl der gesamten Menschheit gleichkommen würde. Die Existenz des jüdischen Staates erscheint als das Unrecht schlechthin und der wehrhafte Jude als Hindernis auf dem Weg in die heile Welt.

Den antiisraelischen Konsens brechen

Dieser verheerende Zustand macht eine solche Demonstration wie den East Pride umso wichtiger. Geschätzt 300 Leute versammelten sich an der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg, um von dort über den Alexanderplatz bis zur Oranienburger Straße am Monbijoupark zu laufen. Ein mit Israel- und Regenbogenflaggen geschmückter Wagen fuhr voran und heizte den Demonstranten mit israelischen Popsongs und queeren Hits ein. Die Stimmung war trotz anfänglicher Nervosität ausgelassen.

Viele große Transparente und Flaggen begleiteten die Demo. Zu lesen war unter anderem „Queers for Israel“, „Es geht um Israel – gegen antisemitische Mobilisierung“, „Vergewaltigung ist kein Widerstand“, „Believe Israeli Women“ oder „This Butch is a Zionist“. Für die Sache und gegen den antizionistischen Konsens traten auch sich ansonsten kritisch gegenüberstehende Gruppen – Radikalfeministinnen und Transaktivisten – nebeneinander auf.

Eine Butch bezieht auf der Demo Stellung (Foto: Steffi Reichert –streichphotography).

Ideologiekritischer Moment fehlte

Die Redebeiträge – so sehr die Entschlossenheit der Redner auch zu schätzen ist – waren durchwachsen und ließen teilweise den ideologiekritischen Moment vermissen. Wer die Hamas verdammt, sollte sich auch ihrer Unterstützung durch weite Teile der palästinensischen Bevölkerung bewusst sein und die grundlegend antisemitische Strukturierung ihrer Gemeinschaft erkennen. Der Antisemitismus ist von der Geburt an stetiger Begleiter in Erziehung und Ausbildung und gemeinschaftsstiftendes Element. Der Antisemitismus in der Queerbewegung mag ein Übel sein, die UNRWA (The United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees) und damit der Terror gegen Israel wird aber u.a. von deutsch-staatlicher Seite finanziert. Das hätte deutlich bezeichnet und kritisiert werden müssen.

Besonders herausstechend war in den Reden der Wunsch, sich von Israels aktueller Regierung unter Benjamin Netanyahu abzugrenzen und die eigene Israelsolidarität mit dem nachdrücklichen Hinweis auf die demokratische Staatsform Israels zu legitimieren. Das lässt daran zweifeln, ob das Bekenntnis zu Israel wirklich aus der Einsicht in die Notwendigkeit eines jüdischen Staates hervorgeht. Die andere Seite wird der Hinweis auf die demokratische Verfasstheit Israels niemals überzeugen: Antizionisten wenden sich gegen einen jüdischen Staat unabhängig seiner Regierungsform. Es muss daher festgehalten werden: Egal unter welcher Regierung und egal welche Maßnahmen Israel zu seinem Schutz ergreift: Israel ist und bleibt der einzige jüdische Staat und der Zionismus darum zu verteidigen.

Am beeindruckendsten war die spontane und leidenschaftliche Rede einer jungen Israelin über ihre Angst, sich in der queeren und lesbischen Szene als israelische Staatsbürgerin zu erkennen zu geben. Sie beschrieb, viele Freundschaften zu anderen Lesben nach 10/7 verloren zu haben und von homosexuellen Bekannten von einen auf den anderen Tag ignoriert worden zu sein. Seitdem meidet sie lieber queere Bars und Veranstaltungen in Berlin.

Fehlende Resonanz großer queerer Vereine

Während die Demonstranten selbst in entschlossener Ausgelassenheit die Passanten zu motivieren versuchten, sich der Demo anzuschließen, fielen die Reaktionen am Rand sehr unterschiedlich aus. Hin und wieder entrüstetes Kopfschütteln, oft aber freudiges Zulächeln, Winken und Klatschen. Am häufigsten zeichnete sich auf den Gesichtern aber tiefe, ehrliche Überraschung und Fassungslosigkeit ab. Spontane Störungen von Kufiya-Trägern blieben vereinzelt und wurden von der Polizei professionell abgefangen. Zwei junge Kopftuchträgerinnen geleiteten beispielsweise den Zug, um den Rednern immer wieder mit „Free Palestine“ ins Wort zu fallen und die Kufiya zu schwenken.

Dass die Demo klein und schlechter besucht war als die vorangegangenen East Prides liegt höchstwahrscheinlich nicht nur an leidenschaftlicher Israelfeindschaft in der queeren Bewegung, sondern auch an leidenschaftsloser Israelsolidarität derjenigen, die in dieser Szene weiterhin anerkannt werden wollen. Bezeichnend ist in diesem Sinne auch die mangelnde Resonanz großer queerer Vereine nicht nur auf die Ankündigung der diesjährigen East Pride, sondern auf den grassierenden Antisemitismus in der Szene generell. Gerade deswegen war der diesjährige East Pride ein wichtiges Zeichen gegen den antisemitischen Konsens in der queeren Szene und für deren jüdische und israelische Mitglieder.


Chantalle El Helou, geb. 2000, B.A. in Politikwissenschaft, zurzeit Masterstudium in Gesellschaftstheorie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; auf Ideologiekritik fokussiert, Publikationen zur Kritik an Prostitution, Queertheorie und Antizionismus, engagiert im lesbischen Nachtleben Berlins.


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