Über die Geschichtsschreibung der schräg Liebenden

Bericht zur Queer Lecture von Benedict Wolf am 18. März 2019

von Nora Strassmann

 

Vergangenen Montag luden IQN und Benedikt Wolf zur ersten Queer Lecture des Jahres 2019 in das taz-Haus an der Friedrichstraße 21, nahe dem Checkpoint Charlie. Das erklärte Ziel des Abends: mit den vermeintlichen Irrungen der Queer Theory über die letzten dreissig Jahre aufräumen. Schnell wird klar: So interessant die Ausführungen, so verschachtelt und spezifisch die Sprache. „Die Verständlichkeit meiner Message ist außerhalb eines akademischen Rahmens begrenzt“, gab Benedikt zu Beginn der Veranstaltung charmant und unverblümt zu Protokoll. Hier also der Versuch eines verständlichen Berichtes.

Denkkategorien hinterfragen

Die Queer Studies sind anfangs der neunziger Jahre von Pionier*innen wie Judith Butler und Eve Kosofsky Sedgwick mitbegründet worden. Sie lösten im wissenschaftlichen Bereich die lesbischen und schwulen Studien ab. Die neu geborene Theorie legte ihr Hauptaugenmerk auf die Feststellung, dass ein ausschließliches Verständnis von Geschlecht in den biologischen Kategorien von Frau und Mann nicht natürlich sei, sondern von Menschen gemacht wurde und wird. Wolf zollt dieser Erkenntnis gebührenden Respekt. Wege abseits von Zwangsheterosexualität und festgefahrenen Frau- Mann-Rollen habe die Queer Theory freigeschaufelt. Außerdem habe sie geholfen, (heteronormative) Denkkategorien ganz allgemein zu hinterfragen. Wolfs Kritik teilt sich in zwei grundsätzliche Argumente. Zum einen sei seit 1997 eine Verwässerung des Gegenstandes der Queer Theory festzustellen. Sie bewege sich weg von ihren lebenden Subjekten und ihrem eigentlichen Gegenstand, der Sexualität. Mit ihrer thematischen Ausweitung auf Themen des Postkolonialismus und des Antikapitalismus hätte sich die Queer Theory zum anderen ein antiimperialistisches Dogma auferlegt, das ihren allgemeinen Blick auf die Welt verstelle.

Verpasste Würdigungen historischer Errungenschaften

So richtet sich Wolfs Hauptkritik gegen eine Haltung westlicher Wissensproduzent*innen, die die bürger(recht)lichen Erfolge der LSBTI*-Bewegung der vergangenen Jahre verkenne und obendrein als unwichtig trivialisiere. Im dauernden Wettbewerb mit ihren akademischen Kolleg*innen stünden diese unter dem Druck, möglichst schrille, immer steilere Theorien zu formulieren. Dabei verpassten es manche Queertheoretiker*innen, historische Errungenschaften wie die Durchsetzung der Ehe für alle in verschiedenen, vor allem kapitalistischen Ländern rund um den Globus zu würdigen und darauf aufzubauen.

Wolf kritisiert eine von ihm wahrgenommene „aggressive antiimperialistische Haltung“, die alles nicht-westliche gut heiße. Aufgrund eines postkolonialen Bewusstseins – oder was für ein solches gehalten wird – würde der westlich geprägte Begriff der Emanzipation wie ein heißes Eisen fallen gelassen; aus Angst, in die eurozentrische Ecke gestellt zu werden. Wolf bemängelt also schlussendlich ein vereinfachendes linkes Weltbild, sowie den Verlust eines eindeutigen Forschungsgegenstandes.


Nora Strassmann, hat Soziologie und Geschichte der Neuzeit in Zürich studiert und lebt zurzeit in Berlin.