Immer diese Homosexuellen…

von David Prinz, Vorstandsmitglied der Initiative Queer Nations e.V.

Anekdotisch begann die Queer Lecture „Die schrecklich-nette neue Homophobie – Der Homosexuelle als Witz, Nervensäge und Klassenfeind“ mit Johannes Kram am Montag, den 9. Juli, im taz Café. Denn Jan Feddersen, so Johannes Kram, hätte ihn zum Aktivisten gemacht. Die zwei lernten sich 1998 beim Eurovision Song Contest in Birmingham kennen. Damals trat Guildo Horn für Deutschland an und Dana International gewann den Grand Prix für Israel. Was für Jan Feddersen damals selbstverständlich war, wusste Johannes Kram, seinerzeit Manager von Guildo Horn, nach eigenen Bekenntnissen noch nicht. Der Eurovision Song Contest, das lernte er erst 1998, sei das wohl schwulste Event (natürlich außerhalb der Pride-Saison) auf dem Globus überhaupt, so beide im Einvernehmen.

Jan Feddersen und Johannes Kram

20 Jahre später sitzen sie im vollbesetzten taz Café um über Krams neu erschienenes Buch “Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber…: Die schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft“ zu diskutieren. Soweit zum heiteren Einstieg des Abends, an dem noch durchaus kritischere und nachdenklichere Töne fallen sollten.

Über den Titel sowie den Inhalt des Buches wird seit seiner Veröffentlichung ausführlich und kontrovers gesprochen – nicht nur in der Community. „Ich bin homophob und sie sind es wahrscheinlich auch…“, laute es in den ersten Zeilen, so Johannes Kram, der seit 2009 auf dem Nollendorfblog bloggt. Es sei Zeit, dass endlich über eine Homophobie gesprochen werde, die sich nicht nur durch die Musikbranche oder die Comedy, sondern ebenso durch die Politik hinein bis in den Journalismus und darüber hinaus durch sämtliche gesellschaftlichen Bereiche ziehe. Eine strukturelle Demütigungskultur hätte sich entwickelt, so Krams Beobachtungen. Dabei stets im Mittelpunkt: Der Homosexuelle als Witz, Nervensäge und Klassenfeind. Womit wir auch bei seiner programmatische Agenda für diese Lecture wären.

Der Witz mit der Seife

Die erste scharfe und berechtigte Kritik an diesem Abend galt dem Comedian Dieter Nuhr. Zu seinem kabarettistischen Repertoire gehöre ganz selbstverständlich der durchaus bekannte Witz, dass man beim „Gruppenduschen“ bloß Obacht geben solle, nicht die Seife fallen zu lassen. Ebenso selbstverständlich während der Bühnenshow ist der ein oder andere Tunten-Witz. Daneben läuft meistens eine gängige Metapher, nicht nur bei Nuhr, dass Homosexualität das Synonym für Dauersex sei. Zurecht fragt sich Johannes Kram in seinem Buch, wieso jemand wie Dieter Nuhr mit solch’ denunzierenden Witzen den Kulturpreis für Deutsche Sprache erhalten könne.

Natürlich könne Humor nicht gerecht sein und als Spaßpolizei wolle er auch nicht auftreten. Aber: Homophobie bleibe Homophobie. Dabei demonstriert er dem Publikum den feinen aber zentralen Unterschied zwischen einer Art „über etwas lachen zu können“ und dem gezielten: „Etwas lächerlich machen“.

Wir müssen über die Scham reden

Kram schreibt dabei der Scham eine zentrale Rolle zu. Über diese müsse man als Homosexuelle*r wieder sprechen (können). Es muss möglich sein, dass der oder die Homosexuelle seine Scham nach Außen kehrt und zeigt. Nicht zuletzt hat die Bedeutung von Pride hier ihren Ursprung. Mit Pride, als Antonym des Scham-Begriffes, zogen homosexuelle und transsexuelle Aktivist*innen erstmals in den Kampf gegen ihre Unterdrückung und Diskriminierung. Kram bezeichnet dies als „psychologisches Gegengift“ – ein Wirkmittel gegen die strukturelle Homophobie in mitten unserer Gesellschaft, aber auch innerhalb der Familie. Jan Feddersen fügt zu diesem Punkt noch hinzu, dass es sich um eine Scham handle, die sich gerade vor dem Outing innerhalb der eigenen Familie als überflutendes Gefühl, verbunden mit existenziellen Ängsten vor Stigmatisierung, zu erkennen gibt. Wir ließen die Leute, die jungen Homosexuelle, mit diesen Gefühlen alleine, sofern wir nicht handelten.

Was wollt ihr denn noch? Ihr habt doch alles erreicht!

Der Homosexuelle als Nervensäge. Ein Vorwurf, der ausgerechnet den Protagnisten im Kampf gegen die Homophobie traf, der über Jahrzehnte unerbittlich für die Ehe für alle kämpfte und die ohne ihn niemals möglich geworden wäre: Volker Beck. Eins der politisch schwierigsten Jahre für Beck war wohl das Jahr 2016, also jenes vor der Öffnung der Ehe. Presseschauartig skizziert Kram die einseitige – ja, höchst heteronormative – Berichterstattung von damals. Volker Beck wurde 2016 über viele Zeitungen und Blätter hinweg als der falsche Moralist schlechthin dargestellt. Vergessen war sein Engagement und sein politisches Wirken. Dieser Fall Beck wurde zum Symptom jener Homophobie, die Kram damals mehr und mehr entsetzte. Umso wichtiger sein Anliegen – nicht nur an diesem Abend –, Volker Beck als das Gegenteil eines Moralisten darzustellen.

Der falsche Vorwurf des „Anything goes“ an die Postmoderne

Zuletzt nahm sich Kram die Polit-Troika aus Jakob Augstein, Sigmar Gabriel und Sahra Wagenknecht vor. Allesamt mitte-links Politiker*innen, die plötzlich gegen Homosexuelle und Transsexuelle wetterten. So monierte Gabriel, die SPD habe sich zu sehr auf den Kampf für die Rechte von Minderheiten konzentriert. Andere mehrheitsfähigere Themen wären in der Debatte um die Ehe für alle untergegangen. Dabei prangert Gabriel in einem Spiegel-Interview den postmodernen Lebensstil an, dem sich die SPD zu sehr hingegebene habe. Themen wie die Ehe für Alle wurden hochstilisiert und andere politische Erfolge der Sozialdemokratie wurden in den Hintergrund gedrängt. Diskursiv ähnlich, so Kram, gehe auch Sahra Wagenknecht vor.

In ihrer Rhetorik stellt sie die Rechte der Minderheiten gegen die soziale Frage, fast als wären es Antagonismen. Ihre Botschaft ist deutlich: Die Ehe für Alle fungiert für Wagenknecht als staatliches Pinkwashing, das soziale Ungerechtigkeit übertünchen soll. Ein aktuelles Interview aus dem Juni mit der Welt zeigt deutlich, welch fundamentalistischem Geist Wagenknecht das Wort redet:

“Und sie alle haben diesem Uralt-Liberalismus, der aus der Zeit vor der Entstehung moderner Sozialstaaten stammt, die glitzernde Hülle linksliberaler Werte übergestreift, um ihm ein Image von Modernität, ja moralischer Integrität zu geben. Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz sind das Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten.”

Kram erörtert diese Passage ausführlich, denn wer politisch so denke, handle fatal, da hier Minderheiten gegeneinander ausgespielt werden.

Die klare Botschaft dieses Abends: Anders als in anderen Ländern habe die deutsche Politik eine der wichtigsten emanzipatorischen Errungenschaft der letzten Jahrzehnte nicht gewürdigt – zum Leidtragen aller LGBTI*.