Eine Auseinandersetzung zwischen der YouTuberin PersiaX und queeren Influencer*innen um Aljosha Muttardi sorgt für Zuschauerreaktionen, die sich vor allem auf ein Thema fokussieren: Wie angemessen sind Nacktheit und Fetischpräsentationen in der Öffentlichkeit beim CSD?
3. Januar 2024 | Till Randolf Amelung
PersiaX, eine deutsche Transfrau und YouTuberin wurde am 19. Dezember 2023, kurz vor den Weihnachtsfeiertagen von FiNessi, ebenfalls Transfrau und YouTuberin, in einem Video als vermeintliche Islamhasserin, als trans- und nicht-binär-feindlich angeprangert. Auch als Token wird PersiaX von ihren Gegner*innen bezeichnet, also als Vorzeigetransfrau, die als Feigenblatt für die ansonsten transfeindliche Gesellschaft fungieren würde.
PersiaX, bürgerlich Lynn Kirchner, hat auf YouTube 122.000 Abonnenten (Stand 02.01.2024) und ist Meinungsvloggerin, die seit einigen Jahren insbesondere LGBTIQ-Themen kritisch kommentiert. Unter anderem hat sie sich mehrfach gegen einen Transbegriff ohne Geschlechtskörperdysphorie als Voraussetzung ausgeprochen. Ebenso hat sie andere Influencer*innen kritisiert, weil diese fragwürdige bis unverantwortliche Inhalte an ihr Publikum bringen. Zum Beispiel zeigte sie in einem Video, wie TikToker Gialu seine zumeist jugendlichen Zuschauer*innen offen über Schleichwege aufklärt, um an Hormone und Operationen zu kommen. Kirchners Videos erzielen oft eine große Reichweite und werden von ihren Abonnent*innen zumeist positiv bewertet. Ihre Kritiker*innen hingegen, sehen in Kirchners Reichweite eine Gefahr. Sieben von ihnen fanden sich schließlich zusammen, um das von FiNessi veröffentlichte Video zusammenzustellen. Mit dabei sind auch bekanntere Persönlichkeiten, wie Aljosha Muttardi (Queer Eye Germany) oder Leonie Löwenherz (Princess Charming). Muttardi wiederum, gab FiNessis Video eine größere Reichweite, indem er ein sogenanntes Reaction-Video dazu machte, also Auszüge des Originals präsentierte und kommentierte. Ebenso veröffentlichte auch Kirchner einen Videokommentar zu beiden Videos, inzwischen kommentierten weitere YouTuber*innen diese Auseinandersetzung. Dazu kann man unter all diesen Videos zusammengenommen nun mehrere tausend Userkommentare finden.
Fetisch in der Öffentlichkeit
Bemerkenswerterweise wurde gerade von den Zuschauer*innen vor allem auf ein Thema reagiert: das Präsentieren von Fetischen, ein beliebtes Synonym dafür ist auch „Kinks“, auf CSD-Paraden im öffentlichen Raum. Da YouTube gerade bei jüngeren Altersgruppen einen hohen Marktanteil hat und für diese oft Informationskanal der ersten Wahl ist, lohnt sich ein Blick, was dort zu queeren Themen diskutiert wird. PersiaX veröffentlichte 2022 ein Video, wo sie den CSD in Berlin kritisierte. Hauptkritikpunkt war, dass in dieser CSD-Parade viele Menschen nackt oder mit Fetischbekleidung bzw. -utensilien teilnahmen, Sex in der Öffentlichkeit hatten und alles vor den Augen Minderjähriger passiert sei. Diese Kritik von PersiaX griff die Gruppe um FiNessi und Aljosha auf, um sie als queerfeindlich, prüde und unangemessen abzukanzeln. Es sei nach deren Meinung gar kein Problem, wenn Kinder zum Beispiel Menschen in Fetischkleiden zu sehen bekämen, da sie dies doch ohnehin nicht verstünden. Zudem sei ein Kink nicht zwingend etwas Sexuelles. Die Kommentare unter allen Videos, die sich mit der aktuellen Kritik an PersiaX beschäftigen, widersprechen mehrheitlich dieser Auffassung über Fetische im öffentlichen Raum. Hier einige Auszüge:
Sehr oft heißt es, dass man die LGBTIQ-Community an sich unterstütze, aber Fetische und sexuelle Handlungen ohne Rücksicht auf anwesende Minderjährige gingen ihnen zu weit. Auch einige, die sich selbst zur LGBTIQ-Community zählen, schreiben in ihrem Kommentar, dass sie sich deswegen auf den CSD-Paraden unwohl fühlten und diese seitdem meiden würden. Aussagen zu Fetische und Minderjährige wie von Aljosha und Co., sind in queeraktivistischen Kreisen keine Ausnahme. Auch anderswo, zum Beispiel in „Sex in echt. Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät“, einem Aufklärungsbuch für Jugendliche, wird BDSM/Kink thematisiert, obwohl das so noch eher nicht zu deren Entwicklungsstufe passen dürfte. Und 2021 beschwerte sich der Journalist Matthias Kreienbrink über die vermeintliche Prüderie der Generation Z, also der jungen Leute, die Ende 1990er Jahre bis 2012 geboren wurden.
Influencer*innen wie Aljosha oder FiNessi geben sich ein sehr vielfalts- und diskriminierungssensibles Image, was man gemeinhin als „woke“ bezeichnet. Viele User kommentieren womöglich auch deswegen so kritisch, weil gerade die Woke-Bubble schnell dabei ist, überall sogenannte „Microaggressions“ zu beklagen. „Mikroaggressionen sind alltägliche Kommentare, Fragen, verbale oder nonverbale Handlungen, die überwiegend marginalisierte Gruppen treffen und negative Stereotypen verfestigen. Sie können sowohl absichtlich als auch unabsichtlich geäußert oder getätigt werden“, heißt es beispielsweise auf der Website der Universität zu Köln. Die Bedürfnisse anderer, die im öffentlichen Raum nicht ungewollt mit Nacktheit und Fetischen konfrontiert werden wollen, werden dagegen von Aljosha und Co. offen missachtet.
Kinks oder Kinder
Allerdings ist der Streit um Fetisch und Freizügigkeit auf CSD-Paraden keineswegs etwas Neues. Dieser Konflikt ist ein grundsätzlicher, der den LGBTIQ-Aktivismus schon lange begleitet. Es geht um die Frage, ob man vor allem radikale Gegenkultur sein oder sich als Teil der bürgerlichen Gesellschaft präsentieren will. Gerade in Berlin hat dies dazu geführt, dass es neben dem großen CSD mindestens eine weitere Parade gibt, die sich besonders der linksalternativen, antikapitalistischen und queerfeministischen Szene verpflichtet fühlt. Aber auch um die großen Paraden gibt es immer wieder mal Streit, zum Beispiel um Pup-Player, die
in Fetischoutfit mit Hundemaske mitmarschieren. Zumal auch immer mehr Familien mit Kindern an CSD-Veranstaltungen teilnehmen. Will man ein Fest für die ganze Familie sein, egal ob Hetero- oder Regenbogenfamilie? Dann lassen sich Kinder- und Jugendschutzaspekte nicht mehr so einfach ignorieren. Bisher wurden solche Debatten vor allem über community-interne Strukturen und Plattformen geführt. Mit der Auseinandersetzung um PersiaX kann man nun erstmals sehen, wie ein diverses und wahrscheinlich mehrheitlich heterosexuelles Publikum auf dieses Thema reagiert, zumal sich inzwischen auch nicht-queere YouTuber beteiligen, darunter Tim Heldt alias KuchenTV, einer der reichweitenstärksten deutschen YouTuber. Es wird überdeutlich, dass es um Fragen von Kinder- und Jugendschutz eine erhöhte Sensibilität gibt und dies nicht nur „CDU-Boomern“ (Kreienbohm) vorbehalten ist, sondern generationsübergreifend Relevanz hat.
Angesichts einer 2023 erstmals festgestellten leicht rückläufigen Akzeptanz für LGBTIQ, sind solche Einblicke interessant und sollten gerade im queeren Aktivismus und der LGBTIQ-Community zum Nachdenken anregen. Es scheint 2024 nicht sinnvoll, einfach wie bisher weiterzumachen und mehr vom Gleichen aufzufahren. Erst recht nicht, wenn man in anderen Fragen, zum Beispiel der Geschlechtsidentität, höchste Sensibilität und unbedingten Respekt von anderen verlangt, aber nichts davon zurückzugeben bereit ist. Doppelmoral wird nirgends positiv aufgenommen. Die Grenzen dessen, was im öffentlichen Raum zu welchem Anlass als akzeptabel empfunden wird, sind in stetiger Aushandlung. Verbunden ist dies mit gesellschaftspolitischer Aktualität, zum Beispiel rund um Schutz vor sexueller Gewalt gerade gegen Minderjährige, aber auch grundsätzliche Achtung von Grenzen anderer. Da ist es kein Wunder, wenn das auch in Diskussionen um den CSD auftaucht, beziehungsweise nie verschwindet.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des Blogs der Initiative Queer Nations.