Die Anzahl der Geschlechter wird zum Mittel für Fankurven in Fußballstadien, mit dem sich Statements gegen den Deutschen Fußballbund setzen lassen. Welche Folgen hat diese Polarisierung für die Akzeptanz von trans- und intergeschlechtlichen Menschen?
11. Februar 2024 | Till Randolf Amelung
18.000 Euro – so viel kostete den Fußball-Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen ein Banner der eigenen Ultras, laut einem Urteil des Sportgerichts des Deutschen Fußballbunds (DFB). Das beanstandete Banner wurde im vergangenen November bei der Partie gegen den SV Werder Bremen gezeigt. Zu lesen war folgendes: „Der Zitronenmann sagt: es gibt viele Musikrichtungen, aber nur 2 Geschlechter.“ Dieses Banner der Leverkusener Fans war eine Botschaft an die des SV Werder. Laut dem Magazin „Der Spiegel“ haben die Bremer Fans den Ruf, besonders links/progressiv/woke zu sein, im Gegensatz zu den Bayer-Anhängern. In einer Choreografie im Spiel gegen den SC Freiburg im Februar 2023 bezeichneten sich die Leverkusener Fans als „Raverkusen“. Die Werder-Fans griffen dies während der Partie Bremen gegen Leverkusen mit einem Spruchband mit der Aufschrift „Bierkönig ≠ Technoclub“ auf. Daher vermutet der „Spiegel“-Artikel, dass sich „Es gibt viele Musikrichtungen“ auf diese Vorgeschichte bezieht, jedoch „aber nur 2 Geschlechter“ die Gesinnung der Bremer Fans verspotten will. Die Aktion der Leverkusen-Ultras sorgte für Entrüstung, da sie als feindlich gegenüber trans- und intergeschlechtlichen Menschen eingeordnet wurde. Der DFB selbst formuliert seinen Anspruch wie folgt: „Kein Mensch darf auf Grund des Geschlechts benachteiligt oder ausgegrenzt werden. Frauen, Männer, Trans* und intergeschlechtliche Menschen sollen auch im Fußball gleichberechtigt teilhaben können.“ Ende Januar 2024 urteilte daher das DFB-Sportgericht, dass dieses Banner „diskriminierend im Sinne des § 9 Nr. 2 Abs. 1, Nr. 3 DFB-Rechts- und Verfahrensordnung in Bezug auf die geschlechtliche bzw. sexuelle Identität“ gewesen sei.
Mit diesem Urteil ging die Auseinandersetzung jedoch erst richtig los und es wird sichtbar, wie sehr Geschlecht zu einem Schauplatz des Kulturkampfes geworden ist. Eine Woche nach dem Urteil kommentierten die Fans vom Drittligisten Dynamo Dresden dieses während des Spiels gegen den FC Ingolstadt mit einem Banner mit der Aufschrift: „Es gibt nur einen lächerlichen DFB… und zwei Geschlechter!“ Fotos davon gingen auf Elon Musks Kurznachrichtendienst X viral, mittlerweile hat der DFB auch Ermittlungen gegen die Fans von Dynamo eingeleitet. Inzwischen wurde bekannt, dass auch im Regionalligaspiel zwischen Energie Cottbus und Viktoria Berlin von den Cottbusser Fans ein Banner mit „Es gibt nur 2 Geschlechter… beide verachten den DFB“ präsentiert wurde. Es ist abzuwarten, ob sich bei den kommenden Fußballspielen in allen deutschen Ligen noch weitere Fangruppen sich mit ihren Spruchbändern auf die Kontroverse um die Anzahl der Geschlechter und den DFB beziehen werden.
Die „One Love“-Doppelmoral
Die Ultra-Szene sieht sich mit ihrer Gegenkultur als Bewahrer einer ursprünglichen, weil anti-kommerziellen Authentizität des Fußballs. Seit Jahren schon, positionieren sich viele Ultra-Gruppen deshalb kritisch und teils mit martialischen Aktionen gegen den DFB. Zudem bleibt diesen Fans nicht verborgen, dass der DFB selbst daran scheitert, den ausgegebenen Parolen von Vielfaltsbewusstsein gerecht zu werden. Bis heute gibt es keine schwulen Coming outs von aktiven männlichen Fußballern in den höheren Ligen. Ein PR-Desaster der besonderen Art war zudem die „One Love“-Kapitänsbinde bei der WM 2022 in Katar. Im Wüstenstaat stehen homosexuelle Handlungen unter Strafe, sogar die Todesstrafe ist möglich. Dieser Austragungsort war gerade in der deutschen Bevölkerung höchst unpopulär, die Menschenrechtssituation war einer von mehreren Gründen. Da der DFB sich zuvor öffentlichkeitswirksam für Vielfalt im Fußball ausgesprochen hatte, waren nun die Erwartungen hoch, dass es ein Zeichen gegen die Homosexuellenfeindlichkeit der WM-Gastgeber geben sollte. Doch als die FIFA dieses Zeichen verbot und den Teams mit Konsequenzen wie gelben Karten drohte, knickte der DFB trotz vorheriger gegenteiliger Ankündigungen ein und ließ den damaligen Mannschaftsführer Manuel Neuer nicht mit der „One Love“-Binde auflaufen. Dabei war dieses Symbol ohnehin schon „entschwult“, denn es zeigte nicht die bekannte Farbgebung, wie damals taz-Redakteur und IQN-Vorstand Jan Feddersen feststellte.
Banales Schulwissen als Subversion
Dieser DFB nun, geht mit Furor gegen Fußballfans vor und skandalisiert eine Aussage, bei der viele Menschen wohl nicht nachvollziehen können, warum sie so umstritten sein soll. Diese Vorfälle um provokante Fanbanner richten ein Schlaglicht darauf, wie es um die Akzeptanz queeraktivistischer Bemühungen bestellt ist, biologische Fakten aus ideologischen Absichten heraus umzudeuten. Die Anzahl der möglichen Geschlechter beim Homo Sapiens ist zu einer umstrittenen Frage geworden, sogar bei der Frage, wie viele biologischen Geschlechter es denn nun gibt. Die einen beharren auf zwei, die anderen sehen auch das biologische Geschlecht als ein Spektrum, in dem es eine Vielzahl von Geschlechtern gäbe. Kern der biologischen Definition des Geschlechts ist jedoch die Gametenart, die produziert wird: kleine, bewegliche Spermien kennzeichnen das männliche Geschlecht, die Eizellen das weibliche. In den vergangenen 20 Jahren wuchs das Bewusstsein, dass es eine Vielfalt als physiologischer und anatomischer Erscheinungsformen gibt, darunter auch Intergeschlechtlichkeit. Ebenso, dass es Menschen gibt, die tiefgreifend unter ihrem Geschlechtskörper leiden und eine Geschlechtsangleichung anstreben. Ohnehin gesellschaftlich bekannt war, dass es eine Bandbreite an kulturellen Ausdrucksformen und Identitätsverständnissen gibt.
Ideologie vs. Fakten
Im queeren Aktivismus war man jedoch der Überzeugung, dass die bisherige Definition des biologischen Geschlechts weiterhin dazu beitrage, trans- und intergeschlechtliche Menschen als Abweichung und nicht wie eigentlich gewünscht als Normvariante zu begreifen. Daher suchte man neue Begründungsmöglichkeiten, die dem gewünschten Selbstbild besser Rechnung tragen könnten. Diese Begründungsmöglichkeiten wurden in aktivistischen Kreisen und akademisch vor allem über geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen verbreitet, um dann später in staatlich geförderten Informationsmaterialien für Akzeptanz von Vielfalt zu landen. Einen umfassenden Paradigmenwechsel hat es in der Biologie hingegen jedoch wohl so nicht gegeben. Um die aktivistische Neudefinition zu verteidigen, werden in Deutschland meistens der Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß und der Beitrag „Sex redefined“ der Wissenschaftsjournalistin Claire Ainsworth angeführt, wobei von letzterer bekannt ist, dass sie gegen Fehlinterpretationen Stellung bezogen hat.
Auf X kommentierte der Wiener Biologie-Professor Martin Fieder unter einem Beitrag des WELT-Journalisten Arndt Diringer zu der Geschlechterkontroverse: „Ich dachte lange der Unsinn ist nur Zeitgeist der schon von alleine verschwinden wird. Tut er aber nicht, wird nur immer schlimmer. War naiv, jetzt ist es an der Zeit sich als Biologe/ Naturwissenschaftler entschieden zu wehren, bevor wir an den unis in ein neues Mittelalter abgleiten.“ Auch andere Wissenschaftler, wie Jerry A. Coyne und Luana S. Maroja beklagen, dass ihr wissenschaftliches Feld, die Biologie, durch Ideologie vergiftet werde.
Gesellschaftliche Folgen
Auf dieser Grundlage nun, bestraft der DFB Fußballklubs dafür, dass deren Fans Banner mit Aussagen hochhalten, die lediglich banalen Schulstoff in Biologie wiedergeben. Man will so gegen Diskriminierung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen vorgehen, aber man leistet dieser damit erst recht Vorschub. Denn trans- und intergeschlechtliche Menschen werden auf diese Weise mit Unwissenschaftlichkeit verknüpft und damit erhöht sich die Gefahr von Ablehnung gegen sie erst recht. Das Vorgehen des DFB polarisiert unnötig und gießt Öl in ein Feuer, dessen Flammen gar nicht erst hätten so hochschlagen müssen. Man hätte das Banner der Leverkusener Fans auch einfach ignorieren können. So aber, droht das Geschlechterthema zu einem Vehikel zu werden, mit dem man „gegen die da oben“ protestieren kann.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des Blogs der Initiative Queer Nations.