Wie die Verengung des Meinungskorridors LGBTIQ-Anliegen schadet
In der Debatte um einen mutmaßlichen unfairen Vorteil von zwei Teilnehmerinnen am Frauenboxwettkampf bei den Olympischen Spielen in Paris wurde Kritiker*innen pauschal unterstellt, Hetze zu verbreiten. Doch so verweigert man sich selbst der Auseinandersetzung mit Kritik und wissenschaftlicher Evidenz.
21. August 2024 | Till Randolf Amelung
In der Debatte um die zwei DSD-Boxerinnen bei den Olympischen Sommerspielen in Paris wurde sichtbar, wie schnell gerade bei LGBTIQ-Themen der Reflex in vielen Medien und in den Kommentarspalten greift, jede Kritik als Hetze zu brandmarken. Wer glaubt, damit etwas Gutes für LGBTIQ zu tun, irrt sich gewaltig – denn wo wir selbst nicht mehr zwischen Kritik und Hetze unterscheiden, werden sich auch andere nicht mehr darum bemühen. Warum sollte man noch versuchen, Kritik nuanciert zu äußern, wenn sie doch als Hetze abgetan wird?
Beispiel Olympisches Frauenboxen
Frauenboxen ist bei den Olympischen Spielen nicht unbedingt eine Sportart, bei der man großes Medieninteresse erwartet, doch dieses Jahr in Paris nahmen zwei Boxerinnen teil, die zuvor vom internationalen Boxverband IBA disqualifiziert wurden. Labortests ergaben, dass es sich bei ihnen nicht um biologische Frauen handelt.
Doch da die IBA vom IOC suspendiert wurde, hatte das IOC die Hoheit über die olympischen Boxturniere und damit auch über die Zulassungsbedingungen. Diese sahen so aus, dass allein ein weiblicher Eintrag im Pass reichte. Die von der IBA vorgenommenen Testungen wurden als falsch abgekanzelt und Äußerungen, die beiden Boxerinnen seien biologisch männlich als „russische Desinformation“. Die Durchführung eigener Tests zur Klärung der Causa verweigerte das IOC.
Mit dem nur 46 Sekunden langen Boxkampf zwischen Imane Khelif aus Algerien, einer der beiden umstrittenen Personen, und der Italienerin Angela Carini nahm dann die Kontroverse ihren Lauf. Während es gerade im Netz auch viele erboste Reaktionen gab, weil es offensichtlich kein gewöhnliches Duell war, versagten viele Medien.
IOC bezeichnet Kritik als „russische Desinformation“
Unhinterfragt wurde die Sicht des IOC übernommen, die Hinweise auf biologisch männliche Vorteile der beiden Teilnehmerinnen Imane Khelif und Lin Yu-Ting als „russische Desinformation“ übernommen. Jede Kritik an deren Teilnahme in den Frauenboxwettbewerben wurde als Hetze abgetan, faktenbefreite Faktenchecks von unterschiedlichen Medien wie RND, Correctiv und Volksverpetzer befeuerten das noch. Auch kritische Beiträge im IQN-Blog sahen sich solchen Vorwürfen ausgesetzt.
Dabei ist wissenschaftlich gut belegt, dass eine vermännlichende Pubertät für dauerhafte und mitunter deutliche Leistungsunterschiede im Vergleich zu biologischen Frauen zur Folge hat. Menschen im Frauensport antreten zu lassen, die eine vermännlichende Pubertät durchlaufen haben, hat daher negative Folgen für Fairness und Sicherheit von Frauen.
Einzig die Süddeutsche Zeitung erinnerte sich noch an ihre journalistische Verantwortung und veröffentlichte schließlich Ergebnisse einer umfassenden Recherche zu den Verflechtungen zwischen personellen und institutionellen Verflechtungen zwischen internationalen Sportfunktionären. Es sind Verflechtungen, die weniger von hehren Inklusionsgedanken von geschlechtlichen Minderheiten getrieben sind als vielmehr von Machtstreben und -erhalt sowie Prestigegewinn durch olympische Medaillen. Und auch, dass die Testergebnisse nicht das Produkt russischer Desinformation sind.
Die Integrität des Frauensports und die Sicherheit von Athletinnen spielen bei alledem keine Rolle. Von denen, die jedwede Kritik an der Teilnahme von Imane Khelif und Lin Yu-ting als Hetze abbügelten, ist bislang keine Reaktion auf die fundierten Recherchen der SZ zu vernehmen. Dabei würde es von Größe zeugen, wenn man zugeben könnte, auch mal falsch gelegen zu haben.
Jedwede Kritik wird als Hetze abgetan
Kritik sah sich auch die Cartoonistin Nadia Menze ausgesetzt, als sie beim Humanistischen Pressedienst (hpd) eine Karikatur veröffentlichte, die den Umstand des unfairen Vorteils und die Verweigerung der objektiven Feststellung dessen anhand der Gegenüberstellung „Schwergewicht-Fliegengewicht“ aufgreift. Der Schwergewichtsboxer sagt: „In meinem Pass steht aber ‚Fliegengewicht‘ und es wäre menschenverachtend, mich zu wiegen!“
Man wusste sofort, dass es eine Anspielung auf das olympische Frauenboxen in Paris war. In den Kommentaren, zum Beispiel auf Facebook, waren Dinge zu lesen wie zum Beispiel, dass man damit „misogyne rechtsaußen Narrative“ bediene. Oder auch, dass man „menschenverachtende, faktenfreie Right-Wing-Propaganda“ verbreite.
Als Reaktion auf diese Kritik veröffentlichte Menze einen weiteren Cartoon, dieses Mal unter anderem auf X. In diesem wird ein Wissenschaftler auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Unter den Menschen, die ihn verbrennen, entsteht dieser Dialog: „Hat er denn eigentlich Unrecht?“ – „Ist doch egal – seine Fakten widersprechen meiner Meinung!“
Rund um Geschlechterfragen ist ein Klima entstanden, in dem sich aus vielleicht guten Absichten heraus von biologischen Fakten entfernt wurde – auch jenseits des konkreten Falls bei den Olympischen Spielen. Man wollte trans- und intergeschlechtliche Personen gerechter werden. Dafür wurden biologische Erkenntnisse über Geschlecht bis zur Unkenntlichkeit relativiert, gar behauptet, sie seien überholt. Das stimmt so aber nicht.
Mutwillige Verengung des Meinungskorridors
Auch gesellschaftspolitisch wünschenswerte Anliegen, wie ein besserer Umgang mit Trans und Inter, können wissenschaftliche Evidenz nicht über den Haufen werfen. Und solche Anliegen müssen sich auch da der Kritik stellen können, wo sie in Konflikt mit ebendieser wissenschaftlichen Evidenz geraten. Wer immer nur „Hetze“ schreit, verengt das Overton-Fenster mutwillig auf die Breite einer Schießscharte.
Wenn man nun aber Kritik permanent moralisierend als „rechte Desinformation“ oder Hetze abkanzelt, wird man nur kurzfristig erreichen, dass sie aus dem öffentlichen Diskurs verschwindet. Doch stumm stellen lässt sich das so nicht dauerhaft. Schon gar nicht wird man auf diese Weise weiterhin viel Sympathien in der Bevölkerung erhalten.
Stattdessen kommt es viel schlimmer: Wenn wir nicht bereit sind, nuanciert mit Kritik umzugehen und vor allem nicht mehr Kritik von Hetze unterscheiden wollen, dann werden die Kritiker*innen unserem schlechten Beispiel folgen. So entsteht eine hässliche Eskalationsspirale, bei der man nur verlieren kann. Ebenso trägt man mit der Etikettierung als „rechts“ dazu bei, dass es den so Bezeichneten irgendwann egal wird. Zudem sorgt man mit bewusst übertriebenen und auch falschen Zuschreibungen für eine Relativierung des Begriffs und so wird er am Ende nutzlos.
Das wird am Ende Trans und Inter schaden und bisher erreichte Akzeptanz rückabwickeln. So hat man dann auch noch selbst zum Rechtsruck und zur LGBTIQ-Feindlichkeit beigetragen.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.