Tessa Ganserer wird sich nicht mehr für die Bundestagswahl 2025 aufstellen lassen. In ihrer Pressemitteilung beklagt sie, menschenverachtenden Hass für ihr Sein ausgesetzt gewesen zu sein. Dass sie mit ihrem häufig unpassenden Auftreten als Mandatsträgerin selbst dazu beigetragen hat, wird nicht reflektiert.

Artikel der BILD Zeitung über das Foto von Tessa Ganserer in BH und Hot Pants mit Hand in den Schritt.
War dies das eine schlüpfrige Foto zu viel? BILD-Bericht über die Empörung vom 19. September 2024 (Foto: Eigener Screenshot).

3. Oktober 2024 | Till Randolf Amelung

Tessa Ganserer, das wohl bekannteste Gesicht für das Selbstbestimmungsgesetz, hat am 2. Oktober 2024 verkündet, zur nächsten Bundestagswahl nicht mehr kandidieren zu wollen. Ganserer zog 2021 für die Grünen über einen Frauenlistenplatz der bayrischen Landesliste in den Bundestag ein, wofür es vehemente Kritik von einigen Frauenorganisationen gab. Zuvor war sie acht Jahre lang Landtagsabgeordnete dieser Partei im Freistaat.

In ihrem Pressestatement schreibt Ganserer unter Anderem, dass ihr immer klar war, nicht bis zur Rente im Parlament sitzen zu wollen und es auch ein Leben nach der Politik geben solle. Auch schreibt sie: „In dem Mandat als Abgeordnete bin ich voll und ganz aufgegangen. Es hat mich einerseits erfüllt, andererseits aber auch stark vereinnahmt und der menschenverachtende Hass, der mir nicht wegen meiner politischen Inhalte, sondern aufgrund meines Seins entgegen gebracht wurde, ist mir gewaltig an die Nieren gegangen.“

Gesicht für das Selbstbestimmungsgesetz

Niemand sonst steht so sehr für das politische Vorhaben eines Selbstbestimmungsgesetzes wie Ganserer. 2019 outete sie sich als trans und verkündete anschließend, dass sie ihren Vornamen und Geschlechtseintrag nicht über das Transsexuellengesetz ändern lassen werde, da sie sich nicht der vermeintlich „menschenverachtenden“ Begutachtung unterziehen wolle. Vielmehr warb sie für eine Abschaffung des Transsexuellengesetzes zugunsten einer neuen Regelung ohne jedwede Auflagen für die Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags.

Ganserer konnte zwar nicht erreichen, ausschließlich mit dem Wunschnamen auf dem Wahlzettel zu erscheinen, dafür aber im Deutschen Bundestag den gewählten Namen und die Berücksichtigung als „weiblich“ in der Statistik. Neben Ganserer zog noch eine weitere Transfrau für die Grünen in den Bundestag ein, Nyke Slawik.

Ganserer polarisiert

Doch niemand polarisierte so sehr wie Ganserer. Im Bundestag selbst gab es Attacken der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch, die sich weigerte Ganserers selbst gewählten Vornamen und die weibliche Anrede zu verwenden. Darüber hinaus gelangte Ganserer mehrmals in die Schlagzeilen, weil sie während ihrer Tätigkeit mit unpassender Kleidung auffiel, so zum Beispiel im vergangenen November bei der Sachverständigenanhörung zum Selbstbestimmungsgesetz im Familienausschuss des Deutschen Bundestages. Dort trat sie im Negligé auf, was Kristina Schröder (CDU), ehemalige Bundesfamilienministerin, in der Welt so kommentierte: „Tessa Ganserer nimmt sich heraus, was für biologische Frauen undenkbar wäre“.

Tessa Ganserer im Negligé bei der Sachverständigenanhörung zum Selbstbestimmungsgesetz 2023 (Foto: Eigener Screenshot).
Tessa Ganserer im Negligé zwischen ihren Parteikolleginnen Nyke Slawik und Ulle Schauws bei der Sachverständigenanhörung zum Selbstbestimmungsgesetz 2023 (Foto: Eigener Screenshot).

Doch das blieb nicht der einzige Fauxpas, für den Ganserer öffentlich scharf kritisiert wurde. 2022 kursierten Saunafotos, die im Rahmen des Podcasts Splitternackt entstanden sind. Im Februar 2023 postete sie ein Foto eines Tattoos mit einem eindeutig zweideutigen Motiv. Das Kippbild zeigt sowohl eine Frau, die sich an den Hals fasst, als auch einen Griff in die Genitalregion. Zuletzt ließ sie sich am Rande des diesjährigen Folsom in Fetischkleidung ablichten und steckte sich dabei keck eine Hand in die Hot Pants. Auch dieser Auftritt wurde von vielen als unangemessen für ein Mitglied des Deutschen Bundestags empfunden.

Selbstbestimmungsgesetz linkes Kernanliegen

Nun tritt das Selbstbestimmungsgesetz, Ganserers Kernanliegen, am 1. November 2024 in Kraft. Seit 1. August kann man sich dafür beim Standesamt anmelden, dies hat Ganserer bereits getan und öffentlichkeitswirksam auf Instagram verkündet. Doch was bleibt jenseits dieses erreichten Ziels auch für die Grünen als Gewinn aus dieser Personalie? Möglicherweise nicht viel.

Nach den krachenden Wahlschlappen in drei ostdeutschen Bundesländern scheinen in der Partei Umbauprozesse in Gang gekommen zu sein. Der Realo-Flügel um Robert Habeck vergrault nun offenbar linksaußenprogressive Kräfte. Die derzeitige Doppelspitze der Partei, Ricarda Lang und Omid Nouripour hat ihren Rücktritt verkündet, ebenso der gesamte Vorstand der Grünen Jugend.

Das Selbstbestimmungsprojekt ist vor allem ein Herzensanliegen dieses linken Lagers gewesen und Ganserer eine ihrer Identifikationsfiguren. Gerade aber der letzte Shitstorm um ein Foto mit anzüglicher Geste dürfte der Grünenspitze um Habeck klargemacht haben, dass Ganserer nicht hilfreich wäre, um Wählerstimmen aus der Mitte zurückzugewinnen. Es ist daher gut vorstellbar, dass parteiintern auf Ganserer eingewirkt wurde, bei der nächsten Bundestagswahl nicht noch einmal anzutreten.

Unangemessenes Verhalten als Problem

Mit der öffentlichen und medial breit aufgegriffenen Verkündung, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren, bekam Ganserer nochmal die Möglichkeit für den großen Auftritt und die Opferinszenierung. Die Grünen hingegen bekamen das ersehnte frühe Signal, dass diese schwierige Personalie künftig erspart bleiben dürfte.

Fakt aber ist, Ganserer hat sehr deutlich aufgezeigt, dass nicht Transsein das Problem ist, sondern Verachtung von Institutionen, indem man Konventionen wissentlich ignoriert. Nyke Slawik war keiner vergleichbaren öffentlichen Berichterstattung ausgesetzt. Sie fiel auch nicht wiederholt derart unangenehm auf wie ihre Parteikollegin.

Ein türkisches Sprichwort besagt: „Wenn ein Clown in einen Palast einzieht, wird er kein König. Stattdessen wird der Palast zum Zirkus.“ Treffender lässt sich Ganserers Wirken nicht auf den Punkt bringen. Daraus lassen sich aber für Transpersonen und andere Queers auch Lehren ziehen. Zum Beispiel die, dass es auch an uns liegt, Achtung vor gesellschaftlichen Institutionen zu haben, wenn wir Anerkennung wollen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.