Berichterstattung zum Gesetz bleibt unkritisch, obwohl viele Fragen offengeblieben sind

Am 1. November 2024 trat das umstrittene Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Auch jetzt schafften es die meisten Medien nicht, differenziert über das Gesetz zu berichten, was auch eine faire Darstellung der Kritik daran bedeutet hätte. Wie nachhaltig das Gesetz ist, muss sich noch zeigen.

Aktivist*in mit Prideflagge für Trans (Foto von ev auf Unsplash).

4. November 2024 | Till Randolf Amelung

Nun ist also das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, für das Transaktivist*innen und ihre Unterstützer*innen so intensiv nach allen Regeln des NGO-Lobbyismus gestritten haben. Wie bekannt wurde, haben mit etwa mehr als 15.000 Anmeldungen weit mehr Menschen die Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags beantragt als ursprünglich erwartet. Dieses Gesetz löst das Transsexuellengesetz (TSG) und Paragraf 45b des Personenstandsgesetz für intergeschlechtliche Personen ab.

Statt Attest und Gutachten reicht eine Erklärung

Das TSG sah zuletzt noch zwei Sachverständigengutachten und ein Verfahren beim Amtsgericht vor. Transaktivist*innen fühlten sich durch die Begutachtungen in ihrer Menschenwürde angegriffen. Intergeschlechtliche Personen benötigten für eine Änderung des Vornamens und des Personenstands ein ärztliches Attest. Fortan reicht für alle Menschen eine einfache Erklärung auf dem Standesamt, ohne Nachweis über Trans- oder Intergeschlechtlichkeit. Für Minderjährige unter 14 Jahren können die Eltern diese Erklärung abgeben, ab dem 14. Lebensjahr können Jugendliche dies gemeinsam mit den Eltern tun. Eine wie auch immer geartete Beratung ist nicht erforderlich, es muss lediglich eine Versicherung abgegeben werden, dass man beraten wurde.

Keine ausgewogene Berichterstattung

Die bundesweite und lokale Medienberichterstattung zum Gesetz fokussierte sich vor und am 1. November vor allem darauf, Einzelpersonen in den Vordergrund zu rücken, die sich positiv über die Erleichterung äußern, kein Verfahren über das Amtsgericht mit zwei Gutachten mehr zu benötigen. Kritik am Gesetz kam kaum zur Sprache und wenn, wurde sie verkürzt oder verzerrt. Auch öffentlich-rechtliche Medien wurden ihrem Auftrag an ausgewogener Berichterstattung zum allergrößten Teil nicht gerecht.

In einem NDR-Beitrag beispielsweise, durfte sich die 23-jährige Transfrau Maylie aus Hamburg über das Selbstbestimmungsgesetz freuen und ausführlich darstellen, welche Erleichterung es für sie bedeutet, ihren Vornamen und Geschlechtseintrag per einfacher Erklärung auf dem Standesamt ändern zu lassen. Kritik am Gesetz wird auf „Kritikerinnen und Kritiker bemängeln, dass Menschen durch die vereinfachte Regelung leichtfertig Name und Geschlechtseintrag ändern und übereilte Entscheidungen treffen könnten“ eingedampft und schnell mit Maylies persönlicher Erfahrung abgebügelt, dass sie sich schon lange sehr sicher sei.

Vor allem kritischen Frauen geht es auch darum, dass mit den voraussetzungslosen Änderungen des Geschlechtseintrags Errungenschaften für und Sicherheit von Frauen gefährdet würden. Um zu erfahren, dass diese Befürchtungen berechtigt sind, reicht es, nach Spanien zu schauen. Dort ist seit etwas über einem Jahr ein mit dem deutschen vergleichbaren Gesetz in Kraft. Seither gab es zum Beispiel Männer, die mit dem Wechsel ihres Geschlechtseintrags von Frauenfördermaßnahmen profitieren oder sich vor höheren Strafen bei partnerschaftlicher Gewalt schützen konnten.

Kein Hinterfragen des affirmativen Ansatzes

Ebenfalls im NDR konnte Robin Ivy Osterkamp vom Queeren Netzwerk Niedersachsen und aus dem Vorstand des Bundesverband Trans* im Interviewgespräch mit Tim Krohn darlegen, warum das Selbstbestimmungsgesetz wichtig ist. Weder Krohn noch Osterkamp zeigten sonderlich viel Verständnis für Kritikpunkte. Als die Kritik der CDU/CSU an den Regelungen für Minderjährige zu Sprache kam, durfte Osterkamp erläutern, dass Transaktivisten eigentlich selbstverantwortete Änderungen ohne Sorgeberechtigte ab einem Alter von 14 Jahren wollten. Als Begründung wurde vorgebracht, dass man ansonsten transphoben Eltern ausgeliefert wäre und eine Unterdrückung von Transbedürfnissen negative Folgen für die psychische Gesundheit habe.

Diese Forderung und ihre Begründung ist Teil des gender-affirmativen Ansatzes, demzufolge man die Äußerungen über die Geschlechtsidentität auch bei Minderjährigen ohne Umschweife direkt zu bestätigen habe. Hinterfragt wird dies auch vom NDR-Moderator nicht, obwohl die internationalen Entwicklungen längst andere Erkenntnisse offenbaren. Im Ausland weiß man, dass nicht nur die Suizidzahlen von Aktivist*innen oftmals übertrieben sind, sondern dass mit einem affirmativen Ansatz Jugendliche durchs Raster rutschen, die eigentlich andere Lösungen für ihre Probleme brauchen.

Doch darüber erfährt man in den Medienbeiträgen zum Selbstbestimmungsgesetz nichts, und anscheinend fehlt es in vielen Redaktionen auch an Expertise, um Aktivist*innen die richtigen Fragen zu stellen.

Das wurde auch im „heute journal“ des ZDF im Gespräch zwischen Dunja Hayali und Influencer Fabian Grischkat deutlich. Grischkat durfte Kritik, Bedenken und Widerstand ausschließlich als Resultat von religiös-fundamentalistischen und rechtsextremen internationalen Netzwerken darstellen und dass die meisten Leute dem Ansinnen doch positiv gegenüberstünden, wenn man es ihnen richtig erkläre. Damit wiederholt er das perfide und auch sachlich falsche queeraktivistische Framing, dass eine Ablehnung dieses Gesetzes nur rechtsextremer Gesinnung entspringen könne.

Ebenso konnte Grischkat unwidersprochen behaupten, dass es überhaupt keinen bedenklichen Anstieg unter Minderjährigen gebe, die eine Transition anstreben. Dabei liegen unterschiedliche Zahlen aus verschiedenen Ländern, auch aus Deutschland, vor, die etwas anderes zeigen.

Immerhin gab es in den ZDF „heute“-Nachrichten noch einen Beitrag, wo tatsächlich auch kritische Stimmen zu Wort kamen, darunter der Erziehungswissenschaftler Bernd Ahrbeck und Teilnehmerinnen von der Protestveranstaltung der Initiative „Lasst Frauen sprechen“ in Berlin.

Umfragen und ihre Aussagekraft

Nun gab es im Vorfeld eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov  zum Selbstbestimmungsgesetz, deren Ergebnisse bedeuten würden, dass eine relative Mehrheit dafür sei. Nach YouGov befürworten 47 Prozent der Befragten das Selbstbestimmungsgesetz „nach allem, was sie darüber wissen“. 37 Prozent lehnen es ab. Im Gegensatz zur YouGov-Befragung zeigten mit Civey durchgeführte Umfragen von „Welt“ und „T-Online“ unter ihren Leser*innen, dass eine deutliche Mehrheit das Gesetz ablehnt.

Die Autorin Sigi Lieb weist in einem Kommentar auf LinkedIn darauf hin, dass solche Umfragen nur eine begrenzte Aussagekraft haben, und verweist auf die Antwort der zweiten YouGov-Frage: Dort gaben etwa drei Viertel der Befragten an, nur wenig oder nicht über den Inhalt des Selbstbestimmungsgesetzes informiert zu sein. Und auch diese Aussage beruht letztlich auf einer Selbsteinschätzung. Es ist nicht bekannt, wie gut die Befragten tatsächlich informiert sind.

Bei der „Ehe für alle“, also der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, sei das anders gewesen, so Lieb. Die Menschen wussten einerseits, was sich durch das Gesetz ändern würde. Und die Zustimmung lag im Vorfeld bei etwa zwei Drittel der Bevölkerung.

Pro-kontra-Umfragen zu komplexen Fragen, bei denen unklar ist, was die Befragten darunter verstehen, haben generell ein Validitätsproblem. Denn die Leute antworten auf das, was sie verstehen und das ist individuell sehr verschieden.

Eine tatsächlich informierte Auseinandersetzung hätte bedeutet, dass das Thema in allen Medien auch jenseits von herzerwärmenden persönlichen Einzelschicksalen aufgegriffen wird, inklusive kritisch-professioneller Distanz zum Framing queerer Aktivist*innen.

Bundestagswahl 2025 als Stimmungstest?

Wie sich nun also die gesellschaftliche Stimmung zum Gesetz entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Ebenso, ob es sich für die Ampel-Parteien 2025 an der Wahlurne positiv auswirken wird. Für die meisten Menschen mögen zwar andere Themen wie Wirtschaft am relevantesten für ihre Wahlentscheidung sein, aber ein schlecht gemachtes Gesetz, welches eine kulturell sensible Frage berührt, kann ebenfalls mitentscheiden, wo das Kreuz auf dem Wahlzettel gesetzt wird. Sollten vorher strittige Fälle viral gehen, die aus den Mängeln des Selbstbestimmungsgesetz resultieren, wird das sicherlich Einfluss auf die Stimmung unter Wähler*innen haben.

Unklar ist auch, ob die CDU/CSU das Selbstbestimmungsgesetz zumindest teilweise wieder rückgängig machen, beziehungsweise verändern werden, wenn sie wieder an die Regierung kommt. Immerhin gab es auch Bedenken von Sicherheitsbehörden, dass es das Gesetz Straftätern erleichtern könne, ihre Identität zu verschleiern. Gerade die Unionsparteien haben außerdem die Mängel beim Schutz von Kindern und Jugendlichen in den Vordergrund gestellt. Momentan sieht es nicht danach aus, als könnten SPD, Grüne oder gar FDP als stärkste Kraft aus der kommenden Bundestagswahl hervorgehen. Zu desaströs ist das Bild, das alle drei Parteien als Ampel-Regierung gerade abliefern. Daher könnte die Freude von Transaktivist*innen über dieses Selbstbestimmungsgesetz nur von kurzer Dauer sein.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.