Queere Verbände und Medien haben zur Bundestagswahl in ihren Wahlempfehlungen linke Parteien und die Grünen empfohlen. Doch Ergebnisse einer nicht-repräsentativen Umfrage des schwulen Datingportals Planetromeo zeigen hohe Zustimmungswerte für die AfD. Sind queere Verbände noch ausreichend in Kontakt mit der Basis?
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12. Februar 2025 | Jan Feddersen
In knapp zwei Wochen finden die Bundestagswahlen statt. Um kurz nach 18 Uhr am 23. Februar wird mit den ersten Hochrechnungen ermittelt, welche Partei mit welcher Prozentzahl abschneidet. Auch die queere Szene – das sammelsurisches Wort für alle, die schwul, lesbisch, trans, bi oder inter sind – hat hierzu ein paar Worte eingelegt. Der LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt mit seinen Wahlprüfsteinen, der Berliner CSD e.V. – und Szenemedien wie queer.de haben sich thematisch zu diesem Thema positioniert.
Und in der Summe kommt heraus: Alles diese gewichtigen Teile der LGBTI-Szene geben eine Wahlempfehlung für die Grünen. Nur diese Partei, die bislang der letzes Jahr im November geplatzten Ampel-Regierung angehörte, stehe programmatisch für das volle Programm.
Wesentliche queeraktivistische Forderungen sind:
- Ergänzung des Grundgesetzes durch eine Passage, in der die „sexuelle Identität“ schützend erwähnt wird;
- Aufnahme von queeren Flüchtlingen und Schutz von LGBTI*-Lebensweisen ; Regenbogenfamilien im Abstammungsrecht anerkennen;
- Leihmutterschaftschancen für schwule Eltern.
Diskussionswürdige queere Forderungen zur Bundestagswahl
Aber diese Fragen sind nicht unumstritten. Dass zwei schwule Männer mit dem Sperma des einen über eine Leihmutter zu einer Elternschaft kommen, wird von Feministinnen heftig kritisiert. Der Schutz der durchaus ja fluiden sexuellen Identität durch das Grundgesetz, muss auch nicht einleuchten. Das Grundgesetz schützt vielleicht die Sexualität, sofern sie nicht jemanden schadet. Aber wie soll eine sexuelle Identität zu schützen sein?
In der queeren Community aber, sind sich offenbar nicht alle einig, ob die Wahlprüfsteine wirklich weiteres Glück verheißen. Vielmehr lassen sich viele schwule Männer, lesbische Frauen und trans Menschen bei ihrer Wahl für eine Partei nicht auf das reduzieren, was queere Interessensverbände für richtig halten.
Die queeren Verbände aber treten öffentlich auf, als seien ihre Anliegen die wichtigsten für queere WählerInnen. Am 23. Februar mag sich das Gegenteil herausstellen: Vor allem jüngere Schwule scheinen die AfD nicht für den homophoben Horror schlechthin zu halten. Sie halten offenkundig, ob berechtigt oder nicht, gewaltvoll entgrenzte Islamisten für die größte Gefahr.
Auch gibt es weiterhin Schwule und Lesben, die Wert darauf legen, dass es nach wie vor wissenschaftlich korrekt nach biologischem Verständnis zwei und nicht mehr Geschlechter gibt, das weibliche und das männliche. Die seltenen Fälle von Intergeschlechtlichkeit oder Trans gehören zu den Raritäten der Schöpfung und sind nicht ihr Kern.
Planetromeo-Umfrage schockiert Aktivisten
Insofern mag es nur queere Aktivistas verwundern, dass bei einer Planetromeo-Umfrage die Jüngeren am stärksten die AfD wählen wollen, aber nicht die Grünen. Jedoch wunderte das nur jene Aktivisten, die im ideologischen Geflecht der siebziger bis achtziger Jahre aufgewachsen sind und dem bis heute treu geblieben sind.
Die Umfrage mag nicht wirklich repräsentativ sein, aber ihre Ergebnisse entsprechen den Resultaten der Wahlen in Österreich, den USA und anderen Ländern: Überall dort bevorzugten Schwule und Lesben Parteien, von denen sie sich mehr für ihre eigene Sicherheit versprechen. Parteien, die beispielsweise wie die Demokraten in den USA einseitig Transinteressen beförderten und zugleich Kritik an islamischen Einwanderern als unmoralisch diskreditierten, wurden an der Wahlurne abgestraft.
Was die Aktivistas früherer und heutiger Tage verkennen, ist, dass unsereins nicht nach politischer Korrektheit wählt, weil Schwule und Lesben und Trans als solche in Ruhe gelassen werden wollen und ihre politischen Entscheidungen nicht notwendigerweise an den Expertisen der queeren Verbände ausrichten.
Queerpolitische Verbände repräsentieren nicht alle
Schwulen- wie Lesbenbewegung waren in den siebziger Jahren normative Bewegungen: Der gute Schwule, die gute Lesben – sie waren offen, outingbereit und schwullesbisch politisch fokussiert. Allerdings stimmte das mit der Wirklichkeit nicht überein: Schwule wählten zwar gern früher FDP, viele später die Grünen, oft auch die SPD, auch die CDU stand auf ihren Zetteln, aber diese Wahlentscheidungen waren nur selten von ‚queeren‘ Kriterien bestimmt.
LGBTI*-Verbände repräsentieren nur sich selbst, nicht das gesamte queere Spektrum. Die Verbände müssen abwägen, welche Dinge sie fordern, um das Leben von Queers zu erleichtern. Leihmutterschaft gehört für mich nicht dazu, auch nicht das grundgesetzlich geschützte Recht auf diverseste Identitäten im sexuellen Spektrum. Die kann sich ohnehin jeder und jede backen, wie er oder sie oder es möchte – das alles braucht keine Gesetze.
lch würde nie CDU wählen, aber das hat familiäre Gründe: Ich bin durch und durch sozialdemokratisch geprägt. Aber dem Unionskandidaten Friedrich Merz transphobe Aussagen zu attestieren, weil er findet, der neue US-Präsident Donald Trump habe recht gesprochen, als er sagte, es gebe nur zwei Geschlechter, ist irre: Dabei ist diese Aussage über die Anzahl Geschlechter immer noch state of the art in der Wissenschaft. Jede andere Auffassung verdient soviel Respekt wie jemand der sagt, die Gesetze der Schwerkraft seien eigentlich Unfug. Aber: auch das ist vom Grundgesetz in Form der Meinungsfreiheit geschützt.
Geschlecht und Islamismus
Mit anderen Worten: Die LGBTI*-Bewegung in Gestalt ihrer Verbände wirken selbst gaga, wenn sie weiter denken, sie würden trans Menschen helfen, indem sie viele eigene Geschlechter attestieren. Ohnehin ist man auch in Deutschland gut beraten, Pubertätsblocker oder andere medizinische Eingriffe einer Transition für Minderjährige zu verbieten: Das wäre hilfreich vor allem für geschlechtsdysphorische Jugendliche. Denn sie können in ihrem Alter nicht wissen, was sie tun.
Tatsächlich sind die politischen Verhältnisse so, wie sie für soziale Bewegungen immer sind: Man dankt ihnen nicht für das, was sie geschafft haben. Im queeren Bereich sind es eine Fülle von Reformen, vor allem die Aushebelung des biologistischen Verständnis von Ehe 2017 – so dass die Ehe nun für alle ist, auch für homosexuelle Paare.
Es scheint, als würde ein Gros gerade junger schwuler Männer und lesbischer Frauen das alles für selbstverständlich nehmen – gut so! Nun aber legen sie starken Wert auf Sicherheit und Integrität. Sie wollen als Homosexuelle nicht gedisst oder mit Gewalt malträtiert werden. Deshalb haben sie vermutlich eine Neigung zur AfD, selbst wenn diese Partei rechtspopulistisch bis rechtsextrem gesinnt ist.
Die Grünen und die SPD jedenfalls stehen für eine ausgesprochen fehlerhafte Politik, wenn es um Islamistisches geht. Bloß nicht den Islam zu stark kritisieren, es könnte ja den Rechten nützen. Das wird diesen beiden Parteien von Teilen der queeren Szene angelastet: Die schützen mich nicht genug.
Am 23. Februar ab 18 Uhr wissen wir mehr!
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.