Tage vor den Bundestagswahlen ist auch im LGBTI*-Spektrum eine Art moralische Panik ausgebrochen: Man fürchtet um die Errungenschaften der „queeren“ Bewegungen. Droht uns tatsächlich am 23. Februar 2025 um 18 Uhr die Apokalypse?
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19. Februar 2025 | Jan Feddersen
Um nur ein persönliches Beispiel an den Anfang zu stellen: Der Mann, von dem hier gleich die Rede ist, heißt Alfonso Pantisano – und wenn man seinen Posts in den sozialen Medien glaubt, dann ist die aktuelle gesellschaftliche Situation nur Zentimeter von schlimmsten totalitären Heimsuchungen entfernt. Mindestens unmittelbar nach den Bundestagswahlen am kommenden Sonntag drohen offenbar Pech und Schwefel auf unsereins zu fallen. Entsprechend veröffentlichte er folgenden Beitrag auf Instagram und Facebook:
„Die Situation ist besorgniserregend. Das Gefühl ist von Verunsicherung und Angst geprägt. Und irgendwie dürfen wir gerade jetzt nicht stehenbleiben, sondern wir müssen dranbleiben und weitermachen. Ärmel hoch, Stimme erheben und arbeiten, verteidigen, schützen.
Gerade heute war es mir wichtig im Abgeordnetenhaus zu sein und Gespräche zu führen – manchmal sogar wortlos, wo eine Umarmung mehr sagt und mehr verspricht, als viele Worte.
Keine Ahnung, was morgen, übermorgen sein wird. Was aber klar ist, wir müssen gerade jetzt zusammenhalten. Wir Demokrat*innen. Im Parlament. In der Gesellschaft. Und in unserer Community. Gerade in unserer Community kommt es jetzt auf den Zusammenhalt an, denn es steht alles auf dem Spiel. Alles wofür wir gekämpft haben. Alles.“
Zum Verständnis für alle, die nicht in Berlin leben: Pantisano ist, „Ansprechperson der Landesregierung Berlin für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“, so der offizielle Titel seiner Stelle. Das ist kein Minister- oder Senatorenamt, das ist auch kein beamteter Posten als Staatssekretär, aber immerhin: Ansprechperson. Als solche postet er auch – und vermutlich hält er das, was er formuliert, für die realitätstauglichste Wahrnehmung.
Wolkige Untergangspredigten zu den Bundestagswahlen
Aber sagt er tatsächlich etwas Konkreteres? Da ist von „weitermachen“ die Rede, von einer „Umarmung“, die mehr sage oder verspreche, „als viele Worte“, um die er andererseits nie verlegen ist, und zwar in wolkig-pastoralem Ton. Vor Monaten fuhr er dem inzwischen aus der Öffentlichkeit so gut wie verschwundenen, ehemaligen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert öffentlich in die Parade, weil dieser in einem Interview bekundet hatte, mit seinem Freund auch nicht gern an womöglich islamistisch aufgeheizten Männern vorbeizugehen. Pantisano schalt ihn fast einen Rassisten, nur die Angst vor einer Parteirüge (die aus der SPD, der er angehört) hielt ihn davon ab, den klügsten Jungpolitiker der Sozialdemokraten (selbst schwul, aber das nur nebenbei) wie einen unartigen Schuljungen abzuwatschen.
Pantisano aber hat mit der konkreten Verbesserung der Lebenslagen von queeren Personen gar nichts zu tun – wie auch? Er hat keine polizeiliche Macht, behördlichen Einfluss auch nicht so recht, als dass er mehr sein könnte als eine schwule Grüßtante* auf Steuerzahlerkosten.
Gehören nur linksgrüne WählerInnen zur Community?
Alfonso Pantisano hat sich ein schönes Berufsfeld mit Hilfe des SPD-Parteibuchs geschaffen. Aber ich möchte nicht allzu persönlich werden und manchmal hat er doch Lebenstipps parat, wie queer.de berichtete. „Kein Sex mit Nazis“ empfiehlt er – d.h. keine sexuellen Kontakte zu Menschen anzubahnen, die die AfD wählen. Aber wie sollen wir uns das vorstellen? Vor dem Darkroom ein Politcheck per Abfrageliste? Die Chats auf Kontaktbörsen schwuler Art um die Frage erweitert: „Bist Du Nazi? Nur ein bisschen, voll und ganz – nein, doch nicht?“ Mal davon abgesehen, dass es eventuell leichtfertig ist, die AfD politisch mit der NSDAP gleichzusetzen.
Da er von „Zusammenhalt“ der „Community“ spricht: Menschen diesseits der sog. Brandmauer zählen nicht dazu? Guckt man sich an, wie stark vermutlich der Anteil der jungen schwulen und lesbischen WählerInnen an rechtspopulistischen Wahlentscheidungen sind – bleibt zu fragen: Möchte die „Ansprechperson“ Pantisano sie alle aus seinem Sichtkreis ausschließen, weil diese Menschen seiner Meinung nach nicht zur Community gehören.
Islamismus als Gefahr für LGBTI
Angesichts der Umstände bleibt festzuhalten, dass Alfonso Pantisano und die anderen queeren Ansprechpersonen in Bundesländern, großen und kleineren Kommunen vor allem zu befürchten haben, dass ihre einseitige Sicht auf die Gefahren, die Homosexuellen und Transpersonen drohen, abgestraft werden wird. Denn sie alle eint, dass sie die Gefahr ausschließlich im politisch rechten Spektrum verorten, nicht jedoch in jenen Milieus, die islamistisch geprägt sind. Dabei gehen gerade in Metropolen von dort Gefahren aus, etwa von messerbewehrten Männern bedroht zu werden. Diese islamistischen Milieus sind nicht zu verwechseln mit muslimisch geprägten Menschen – aber selbst die Gewalttäter dürfen nicht benannt werden nach der Logik dieser queeren Ansprechpersonen und – als eben Islamisten und schariaverhetzte Menschen. Weil das angeblich Rassismus Vorschub leiste.
Eine ähnliche Weltuntergangsstimmung wie die von Pantisano wird in einem Text des Tagesspiegel anlässlich eines Winterpride-Umzugs in Berlin angestimmt: „Alles, was wir erreicht haben, wird gerade infrage gestellt.“ Aber das ist nicht wahr: Weder die Ehe für alle noch das Antidiskriminierungsgesetz werden von der Union und ihrem Kanzlerkandidaten angezweifelt.
Dafür wird aber das Selbstbestimmungsgesetz kritisiert, dass es männlichen Personen erlaubt, allein per Selbsterklärung zum weiblichen Wesen zu transitionieren und ihnen damit zum Beispiel ermöglicht, in Gefängnisabteilungen von Frauen verlegt zu werden. Kritikwürdig sind auch Regelungen, denen zufolge Minderjährige gegen den Willen der Eltern und auf familiengerichtliche Anordnung ihr amtlich dokumentiertes Geschlecht ändern können. Zu hinterfragen ist auch, dass Frauenräume von biologisch noch männlichen, aber sich weiblich erklärt habenden Personen ohne körperliche Geschlechtsangleichung genutzt werden können. Diese Punkte müssen neu verhandelt werden können, ohne gleich als transphob oder gar „Nazi“ gegeißelt zu werden.

Heute Abend im Queer Talk „Lieber Sekt statt Nazis“ wird Jan Feddersen auch darüber mit seinen Gästinnen, den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz und Co-Moderator Denis Watson, in die Diskussion gehen! Seien Sie live dabei – entweder um 19 Uhr in der taz Kantine oder im Stream auf YouTube!
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
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