Am Mittwochabend diskutierte unser Vorsitzender Jan Feddersen mit Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d’Or vom Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, Jacky-Oh Weinhaus von Travestie für Deutschland und Denis Watson von Folsom Europe e.V. in der taz Kantine, was die LGBTI-Community von dieser Bundestagswahl erwarten kann.

taz Queer Talk "Lieber Sekt statt Nazis" am 19. Februar 2025 in der taz Kantine in Berlin. Auf dem Podium sitzen von links nach rechts: Denis Watson (Folsom Europe e.V.), Jacky-Oh Weinhaus (Travestie für Deutschland), Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d'Or (Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz), Jan Feddersen (Initiative Queer Nations e.V.)
taz Queer Talk am 19. Februar 2025 in der taz Kantine in Berlin. Auf dem Podium sitzen von links nach rechts: Denis Watson (Folsom Europe e.V.), Jacky-Oh Weinhaus (Travestie für Deutschland), Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d’Or (Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz), Jan Feddersen (Initiative Queer Nations e.V.)

20. Februar 2025 | Till Randolf Amelung

Wie geht die queere Community damit um, dass sowohl konservative als auch rechtspopulistische Parteien bei den bevorstehenden Bundestagswahlen in der WählerInnengunst deutlich überwiegen werden? Jan Feddersen, Urgestein in der taz-Redaktion und Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations diskutierte unter dem Motto „Lieber Sekt statt Nazis“ darüber mit Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d’Or vom Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, Jacky-Oh Weinhaus von Travestie für Deutschland und Denis Watson von Folsom Europe e.V.

Mit dem vorzeitigen Aus der Ampel-Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP unter Bundeskanzler Olaf Scholz endete eine Bundesregierung, die sich auch für queere Menschen als Fortschrittskoalition verstanden hat. Wichtige queerpolitische Vorhaben wie das Selbstbestimmungsgesetz wurden umgesetzt, andere wie die Reform des Abstammungsrechts blieben liegen.

Die Podiumsteilnehmer am Mittwochabend waren sich darin einig, dass unter einer höchstwahrscheinlich unionsgeführten Bundesregierung mit Friedrich Merz eher nicht mit weiteren Reformen zu rechnen sei. Jan Feddersen merkte an, dass dies auch nicht der Kern der CDU/CSU wäre, mit progressiven Reformen voranzugehen. Man dürfe die Union daher nicht an grünen Maßstäben messen.


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Sorge vor Rechtsruck

Spürbar war auch eine große Sorge, wie es um gesellschaftliche Freiheiten künftig bestellt sein könnte. Anlass sind die beiden Abstimmungen der Union im Bundestag, bei denen es um Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik ging und wo die Erlangung einer Mehrheit mit Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD zumindest in Kauf genommen wurde. Bis auf Jan Feddersen sprachen alle Podiumsgäste von „Zusammenarbeit der Union mit der AfD“. Doch das entspricht in der Dramatik nicht den Tatsachen, wenngleich diskussionswürdig ist, wie klug das Vorpreschen von Friedrich Merz unter dem Eindruck der Tat von Aschaffenburg vor den Wahlen war.

Biologische Geschlechter und Islamismus als Triggerpunkte

Bei so viel Einigkeit auf dem Podium war es dann vor allem Jan Feddersen vorbehalten, den Konsens immer wieder herauszufordern und für eine lebhafte Diskussion zu sorgen. Zwei Themen entfachten den Widerstand der Podiumsgäste besonders: Die Anzahl der biologischen Geschlechter sowie das Verhältnis zum Islamismus und dadurch motivierte Gewalt gegen Queers.

Die Union erfreute sich unter den Diskutanten auch deshalb keiner Beliebtheit, weil sie das erst eingeführte Selbstbestimmungsgesetz wieder ändern möchte. Auch dass Merz im TV-Duell mit Olaf Scholz ein gewisses Verständnis für die Äußerung Donald Trumps bekundet hat, dass es nur zwei Geschlechter gibt, hat der CDU/CSU hier keine Sympathien beschert. Verpasst wurde allerdings, die drei Verteidiger des Selbstbestimmungsgesetzes mit dem nun spätestens durch Marla-Svenja Liebich offenkundig gewordenen Missbrauchsrisiko zu konfrontieren.

Das Islamismus-Thema, welches Teil der größeren Migrationsdebatte ist, die vor allem seit den letzten Anschlägen in Magdeburg, Aschaffenburg und München tobt, offenbarte die Schwierigkeiten im linken und queeren Spektrum, eine Sprache dazu zu finden. Jan Feddersen konfrontierte seine Gäste damit, dass Islamismus von etlichen LGBTI als größere Bedrohung als der Rechtsextremismus empfunden würde. Doch die Mitdiskutanten taten sich damit eher schwer.

Interessant war dieser Diskussionsabend mit drei Gästen aus etablierten queeren Vereinen und Initiativen auch vor dem Hintergrund, dass vor Kurzem eine nicht-repräsentative Umfrage zur Bundestagswahl auf der Dating-Plattform Planetromeo für Aufregung sorgte. Die Mehrheit der Befragten gab an, der AfD ihre Stimme geben zu wollen. Also einer Partei, die trotz ihrer lesbischen Vorsitzenden Alice Weidel wiederholt mit queerfeindlichen Äußerungen aufgefallen ist. Die Umfrage wurde in ihrer Aussagekraft jedoch heftig angezweifelt, inklusive Manipulationsverdacht.

Einen Sekt auf queere Sichtbarkeit

Wie sehr das auf dem Podium Vertretene sich mit Stimmungen unter WählerInnen aus der LGBTI-Community deckt, wird man wohl spätestens nach der Bundestagswahl wissen. Umso interessanter wäre es daher gewesen, wenn eine zu queeren Organisationen dissidente Position nicht nur vom Moderator in die Diskussion eingebracht, sondern auch von einer Person auf dem Podium vertreten worden wäre.

Nach all dieser Schwere endete der Abend auf dem Podium mit einem ermutigenden Aufruf, sich nicht einschüchtern zu lassen und erst recht Sichtbarkeit mit CSD-Demonstrationen und dem Folsom-Straßenfest in Anspruch zu nehmen. Darauf ließ sich mit einem Glas Sekt vor, während und am Ende des Abends doch gern anstoßen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.