Der für seine Knollennasen berühmte Comiczeichner Ralf König ist am 8. August 65 Jahre alt geworden.  Seit den 1980er Jahren begleitet er die queere Szene als Chronist durch alle Wirren und wird heute von einer großen Fangemeinschaft geschätzt. Doch auch er machte bereits Bekanntschaft mit aktivistischem Tugendfuror, worüber er im Jahrbuch Sexualitäten 2020 berichtete.

Ralf Königs Karikatur mit dem Titel "Zwietracht den Unzüchtigen!" zeigt eine Gruppe queerer Personen, die sich streiten und beleidigen, Symbolbild für "Ralf König – der schwule Szene-Chronist feierte seinen 65. Geburtstag".
Ein echter Ralf König aus dem Jahrbuch Sexualitäten 2020: Zwietracht den Unzüchtigen! (Foto: Ralf König).

17. August 2025 | Redaktion

Mit etwas Verspätung gratuliert auch die IQN Ralf König zum 65. Geburtstag! Niemand hat so treffend und so humorvoll die queere Szene in Comics festgehalten, wie er. Sein Humor, mit dem er pointiert und mit liebevoller Verbundenheit die Dinge beim Namen nennt, zeigt er auch in seinem Essay „Brüsseler Spitzen“ für das Jahrbuch Sexualitäten 2020, wo er über den queerfeministischen Furor gegen ein Wandgemälde in Brüssel berichtet. Anlässlich seines Geburtstages stellen wir diesen Essay kostenfrei als PDF zur Verfügung.

Diskriminierendes Wandgemälde

2019 wurden in Brüssel Vorwürfe gegen ein zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre existierendem Wandgemälde von Ralf König erhoben, auf dem ein Tableau an Menschen im berühmten Knollennasenlook vertreten war, was die Vielfalt der queeren Szene zeigen sollte. Vier Jahre nach der Einweihung wurde das Bild von Aktivistas mit den Worten „RACISM“ und „TRANSPHOBIA“ besprüht. Die Darstellungen einiger der Figuren sei rassistisch und transphob – bemängelt wurden dicke rote Lippen bei einer schwarzen Frau und das Aussehen einer männlichen Figur in Frauenkleidung. Deshalb solle der Künstler das Gemälde überarbeiten.

Allerdings wurde in der Berichterstattung deutlich, dass sich die queerfeministischen Aktivistas nicht mit Königs Bildsprache auseinandergesetzt haben. Dicke rote Lippen sollen geschminkte Lippen symbolisieren und der Mann im Kleid mit Perücke ist eher als Tunte oder Dragqueen zu lesen, anstatt als Transfrau. Das stellte auch Ralf König in einer Antwort an die Brüsseler Aktivistas klar. Doch es half nichts, von ihren Interpretationen wollten die Aktivistas nicht abrücken.

Verbissene Interpretationen

Im Essay kommentierte König diese verbissene Interpretation:

„Es ist also verwirrend. Plötzlich bin ich als Zeichner transphob. Rassistisch gar, zusätzlich zu dicken- und frauenfeindlich. Letzterer Vorwurf begleitet mich schon seit den frühen Anfängen, obwohl auch meine schwulen Männchen wenig würdevoll testosteronbesoffen durch die Geschichten irrlichtern und meine Heterokerle oft grunzende Idioten sind. Zum Glück sind gut die Hälfte meiner Leser Leserinnen, die das nicht so verkniffen sehen und mitlachen.“

Ralf Königs Gedanken sind über den konkreten Anlass hinaus auch heute noch lesenswert, denn Interpretationskonflikte um Kunstwerke gibt es immer wieder. Erst im Mai dieses Jahres wurde beispielsweise aus dem Foyer eines Bundesamts in Berlin eine nackte Frauenstatue, eine Nachbildung der in Florenz ausgestellten „Venus Medici“ entfernt. Die Gleichstellungsbeauftragte hatte Sorge, diese Figur könnte als anstößig und sexistisch wahrgenommen werden.

Widersprüchliche Anforderungen

Auch darüber, wie sich Begrifflichkeiten wandeln und Anforderungen von Tugendwächternden widersprüchlich sein können, räsoniert König:

„Diese Anekdote und meine Verwirrung darüber beschrieb ich wiederum in meiner Kolumne, die ich quartalsmäßig für die Berliner »Siegessäule« schreibe, benutzte dabei unbedarft meinen vertrauten alten, weißen Wortschatz und bekam den Text vom Redakteur mit Bitte um Korrektur zurück. Ich weiß noch, wie ich mit Olaf, meinem Freund, vor dieser E-Mail saß und wir versuchten zu verstehen, worum es geht. Wir wussten bis dahin tatsächlich nichts von Begriffen wie »Cis-Mann« und »PoC«! Ich fürchte sogar, Wörter wie »Ausländer« oder »farbig« benutzt zu haben, mea culpa! Aber auch von meinen Kölner Freunden wusste kaum jemand, was ein »Cis-Mann« sein soll. Warum der Begriff »farbig« nicht geht, »People of Color« aber okay ist, will mir nicht einleuchten.“

Festhalten lässt sich diese von ihm formulierte Erkenntnis:

„Ebenjenes Motiv meines Brüsseler Wandbildes wurde übrigens zum Welt-Aids-Tag 2019 in Paris für eine HIV-PrEP-Aufklärungskampagne auf Taschen und Rucksäcke gedruckt und fotogen von Schwulen, Lesben, Drags, Schwarzen und François Sagat in die Kamera gehalten. Offenbar gibt es in der Szene keineswegs Einigkeit in der Frage, was PC ist und was nicht. Aber es gibt Diskussionsstoff, und niemand hat Anspruch auf alleingültige Wahrheiten. Und das ist gut so.“

Und damit auch von uns: Alles Gute nachträglich zum Geburtstag, lieber Ralf König!

Hinweis: Eine Weiterverbreitung ist nur mit Angabe der jeweiligen Quelle, also der entsprechenden Jahrbuch-Ausgabe, zulässig. Ebenso ist eine Verwendung für kommerzielle Zwecke ohne Genehmigung untersagt.


Jahrbuch Sexualitäten 2020

Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von: Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen und Benedikt Wolf.

Mit Beiträgen von Seyran Ateş, Dinos Christianopoulos, Adrian Daub, Stefan Donath, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Christiane Härdel, Patrick Henze, Manfred Herzer-Wigglesworth, Marion Hulverscheidt, Marco Kammholz, Roman Klarfeld, Ralf König, Anike Krämer, Adrian Lehne, Rainer Nicolaysen, Dierk Saathoff, Karsten Schubert, Vojin Saša Vukadinović und Benedikt Wolf.

262 S., 7 z.T. farb. Abb., geb., Schutzumschlag, 15 x 22,3 cm, ISBN 978-3-8353-3786-2

Preis: € 34,90 (D) / € 35,90 (A)


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.