Der Vorwurf von Transfeindlichkeit kann wie nichts anderes dafür sorgen, dass man Mechanismen der Cancel Culture am eigenen Leib erfährt – bis hin zur Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz. An einem Fall zeigt sich, wie hochgradig manipulativ Aktivistas diesen Vorwurf einsetzen – und damit nicht nur Personen, sondern auch einer demokratischen Debattenkultur schaden.

20. August 2025 | Till Randolf Amelung
Ein kleiner Fall zeigt eindrucksvoll, wie Cancel Culture funktioniert: Die Kommunikationsberaterin Sigi Lieb wurde vom Berufsverband Vielfalt und Karriere e.V. (früher: Völklinger Kreis) für einen Workshop zum Thema „Gendern für Profis“ gebucht. Doch wenige Tage nach dem Start der Werbung für diese Veranstaltung, wurde diese vom Bundesvorstand des Verbands wieder abgesagt. Wie Lieb auf der Plattform LinkedIn in einem öffentlichen Beitrag schreibt, seien an die Adresse der Veranstalter Beschwerden gerichtet worden, sie wäre transfeindlich. Kurios: Dabei wäre es in der Veranstaltung um Fragen der praktischen Umsetzung von geschlechtersensibler Sprache und nicht um das Thema „Trans“ gegangen.
Cancel Culture zerstört wirtschaftliche Existenzen
Lieb traf die darauf folgende Absage unvorbereitet, und sie machte ihrer Frustration Luft:
„Seit Erscheinen meines Buches ‚Alle(s) Gender‘ im März 2023 gibt es eine radikalisierte Minderheit, die gegen mich hetzt, mobbt, hinter meinem Rücken Auftraggeberinnen kontaktiert und versucht, meine wirtschaftliche Existenz zu zerstören. Ich dachte, der Völklinger Kreis sei stabil und zeige Rückgrat. Tut er nicht, sondern knickt ein, fragt mich nicht einmal, sondern sagt ab. Danke für nichts. Diese Art von Hetze ist nicht nur eine psychische Tortur, sondern auch eine körperliche Erfahrung. Ich habe kaum geschlafen und mich viel übergeben. Die wirtschaftliche Bedrohung brauche ich nicht zu erklären.“
Frank Sarfeld, ein Mitglied des Bundesvorstands des VK, reagierte auf Liebs Öffentlichmachen der Veranstaltungsabsage ebenfalls auf LinkedIn und bestätigte darin, dass jene an den Vorstand herangetragenen Bedenken den Ausschlag für die Ausladung Liebs gaben:
„Die für den 8. September geplante Veranstaltung ‚#Gendern für Profis‘ war die Initiative einiger Mitglieder unseres Verbands. Kurz nach Veröffentlichung der Einladung erreichten uns zahlreiche Rückmeldungen mit Bedenken zur Person der Referentin, insbesondere im Hinblick auf ihre Positionen zu #trans* Themen. Nach Abwägung aller Aspekte kam der Vorstand des VK zu dem Schluss, dass unter diesen Umständen der offene und unbefangene Austausch, den wir bei unseren Veranstaltungen anstreben, nicht gewährleistet gewesen wäre. Wir nehmen die geäußerten Bedenken ernst und bedauern gleichzeitig den Unmut der Referentin. Angesichts des Zeitplans war die Absage die einzig sachgerechte Entscheidung.“
Unkonkrete Vorwürfe
Die Bedenken wurden jedoch nicht weiter konkretisiert – auch nicht gegenüber der Referentin selbst, wie diese sagte. In einem Hintergrundgespräch von IQN mit einem Vertreter des VK wurden ebenfalls keine Details offenbart. Lieb macht das fassungslos, da sie sich nach eigener Darstellung immer darum bemühe, Transpersonen nicht zu misgendern (d.h. nicht mit abgelegten Namen und Anrede zu adressieren) sowie sich seit Jahren für geschlechtergerechte Sprache einsetze – trotz Anfeindungen aus dem politisch rechten Spektrum.
Aus anderen Cancel-Fällen ist bekannt, dass es selten detaillierte Begründungen braucht, um von Veranstaltern zu verlangen, dass eine bestimmte Person nicht auftreten/engagiert/gebucht werden darf. Unter dem LinkedIn-Beitrag von VK-Vorstandsmitglied Sarfeld wird dies dankenswerterweise von anderen Mitgliedern der Plattform in den Kommentaren vorgeführt. Ein Mann, der auch Mitglied im VK ist, schrieb:
„Wir stehen für Respekt, Vielfalt und Miteinander – und dafür, dass sich alle bei unseren Veranstaltungen sicher und willkommen fühlen können.“
Lieb wiederum ging in die Offensive und kommentierte darunter ihre Vermutung, weshalb ihr „Transfeindlichkeit“ vorgeworfen wird:
„Ich bin der Meinung, wir müssen über Interessenskonflikte zwischen Frauenrechten, Homosexuellenrechten und Transrechten offen reden und dürfen diese Debatte nicht rechten Medien überlassen. Es gibt Teile [der Transaktivistas, Anm. d. A.], die fordern ‚No Debate‘. Aus dieser Ecke kommt, soweit ich das beobachte, die Verleumndung [sic!] und der Hass gegen mich und gegen alle, die es wagen, offen debattieren zu wollen.“
Wie bestellt, kommentierte dort auch eine Transfrau und richtete sich an Lieb:
„Dann lesen Sie sich mal durch, mit welchen unsinnigen Argumenten Sie gegen das Selbstbestimmungsgesetz öffentlich agitiert haben. Glauben Sie, dass die Art und Weise, in Sie das dort verbreiten, dem Thema angemessen ist?“
Lieb reagierte darauf:
„Bitte nennen Sie mir konkret, welches Argument Sie warum kritisieren. Dann können wir uns in Sachargumenten und in Respekt austauschen.“
Doch die Transfrau schlug Liebs Angebot aus:
„Ich werde als gelernte Politikwissenschaftlerin und Jursitin [sic!], die selbst zum gesellschaftlichen Spektrum der trans Gender gehört, sicher keine Diskussion mit Ihnen über dieses Thema führen, weil ich mich durch Ihre Haltung in meiner Würde verletzt fühle.“
Verletzte Würde als Manipulationstaktik
Mit Verweis auf (vorgeblich) verletzter Würde oder eine (behauptete) herausragende Vulnerabilität (Verletzlichkeit) lässt sich vor allem beim Thema „Trans“ jede Sachdebatte abwürgen. Wer nicht zu hundert Prozent die Positionen und Forderungen transaktivistischer Akteure und Verbände bejaht, wird von diesen bekämpft. Doch was wird im Fall Sigi Liebs eigentlich bekämpft?
In ihrem Blogbeitrag zum Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetz erläutert sie, welche Kritikpunkte es am Gesetz gibt. Insbesondere der Verzicht auf jedweden Nachweis über die Motivation für eine Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags öffnet Tür und Tor für Personen, denen es offensichtlich um andere Gründe als um einen Einklang zwischen Identität und Ausweisdokumenten geht. Besonders gefährdet sind davon Frauen, weshalb einige von ihnen vehement gegen das Selbstbestimmungsgesetz kämpfen.
Seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gibt es Berichte über fragwürdige Fälle und Schlupflöcher. Zuletzt machte der Fall von Marla-Svenja Liebich Schlagzeilen, da bei der Person aus der rechtsextremistischen Szene von Halle erhebliche Zweifel bestehen, ob die Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsgesetzes tatsächlich auf einen Konflikt mit dem Geschlecht beruhte oder nur eine drohende Inhaftierung vermieden werden sollte. Nun wurde bekannt, dass Liebich in ein Frauengefängnis soll – trotz nicht vollzogener körperlicher Angleichungsschritte an das weibliche Geschlecht.
Auch die Schlupflöcher, die sich durch das Selbstbestimmungsgesetz auftun, sind interessant. Eine auf Steuerrecht spezialisierte Anwaltskanzlei informiert offen über die Möglichkeit, mittels einer Änderung des Geschlechtseintrags Steuern einzusparen:
„Die voraussetzungslose Änderung des Geschlechtseintrags aufgrund der neuen Rechtslage nach dem SBGG kann vor einer Schenkung oder Veräußerung gegen Leibrente zu steuerlichen Vorteilen führen.“
Eine vorherige, sorgfältige Rechtsfolgenabschätzung war jedoch von den Verfechtern des Selbstbestimmungsgesetzes unerwünscht – auch hier wurden gern verletzte Würden und Gefühle ins Feld geführt. Wie lange kann man noch auf diese Weise manipulativ notwendige Debatten abwürgen?
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.