Der Transgender Day of Remembrance (TDoR) hat sich auch in Deutschland fest in der Landschaft aktivistischer Aktions- und Gedenktage etabliert. Obwohl die Zahlen der dokumentierten Morde im Vergleich zum Vorjahr gesunken sind, wollen Transverbände darin nichts Positives erkennen.

Ein angezündetes Teelicht wird in der Dunkelheit von zwei HÄnden gehalten. Symbolbild für Artikel "Transgender Day of Remembrance: Zwischen schamloser Übertreibung und Ignoranz".
Transgender Day of Remembrance und Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen: Gedenken an Opfer steht im Fokus (Foto von Prateek Gautam auf Unsplash).

22. November 2025 | Till Randolf Amelung

Jedes Jahr am 20. November wird in vielen Ländern zum Transgender Day of Remembrance (TDoR) der gewaltsam zu Tode gekommenen Transpersonen gedacht. Auch in Deutschland gibt es an zahlreichen Orten Veranstaltungen, etwa Gedenkmärsche, Fahnenhissungen an Rathäusern und anderweitige Zusammenkünfte. Traditionell veröffentlicht die Lobbyorganisation Transgender Europe (TGEU) zu diesem Anlass die aktuellen Zahlen ihres „Trans Murder Monitoring“, mit dem weltweit Morde an Transpersonen dokumentiert werden. Zwischen dem 1. Oktober 2024 und dem 30. September 2025 wurden laut TGEU 281 Transgender-Personen und geschlechtsdiverse Menschen als ermordet gemeldet – 69 Personen weniger als im vergangenen Jahr. Seit dem Start des Monitoring-Projekts im Jahr 2009 wurden bis heute insgesamt rund 5.322 ermordete Transpersonen dokumentiert.

Für 2025 gibt TGEU unter anderem folgende Details zu den Todesfällen bekannt:

  • Mit 34 Prozent sind in der Prostitution tätige Transpersonen nach wie vor die am stärksten betroffene Gruppe.
  • Es ist ein deutlicher Anstieg der Morde an Aktivisten zu verzeichnen, die in diesem Jahr mit 14 Prozent der Fälle (gegenüber 9 Prozent im Jahr 2024) die am zweithäufigsten betroffene Gruppe darstellen.
  • 68 Prozent der Morde ereigneten sich in Lateinamerika und der Karibik; Brasilien führt die Liste mit 30 Prozent aller Fälle zum 18. Mal in Folge an.
  • In Europa wurden fünf Fälle gemeldet, gegenüber acht Fällen im Jahr 2024.
  • In den Vereinigten Staaten wurden 31 Fälle gemeldet, gegenüber 41 im Jahr 2024.

Transverbände sehen am Transgender Day of Remembrance Krise

In einer Pressemitteilung des Bundesverband Trans* heißt es dazu:

„Gewalt gegen trans*, nicht-binäre und gender-nonkonforme Personen ist kein gesellschaftliches Randphänomen, sondern Ausdruck einer globalen Krise der Menschenrechte.“

Auch die BundessprecherInnen von Die Linke queer, Maja Tegeler und Frank Laubenburg, beziehen Stellung:

„Wir erinnern heute an die anhaltende Bedrohung, der trans und nicht-binäre Menschen auch in Deutschland ausgesetzt sind. Trotz politischer Fortschritte bleibt transfeindliche Gewalt ein schwerwiegendes, aber weiterhin unzureichend erfasstes Problem.“

Die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit e.V. (dgti) misstraut den gesunkenen Zahlen:

„Es ist unwahrscheinlich, dass die Opferzahlen tatsächlich gesunken sind, besonders in den USA oder Brasilien. Eine veränderte Medienlandschaft, Druck von Regierungen auf Medien oder eine fehlende, nicht trans* sensible Berichterstattung können die Sichtbarkeit solcher Taten verringern. Diese Zahlen zeigen nur einen Teil der Realität. Opfer nicht tödlicher Gewalt fehlen in der Statistik. Suizide infolge eines extrem trans* feindlichen Umfelds oder mangelnder affirmativer Unterstützung werden ebenfalls nicht erfasst.“

Verrutschte Relationen

Zur Einordnung: Jedes Opfer ist zu beklagen. Schaut man sich die Zahlen an, stellt sich jedoch die Frage, ob die Formulierungen „Krise der Menschenrechte“ oder „anhaltende Bedrohung“ zumindest für Deutschland und Europa nicht ein wenig zu dick aufgetragen sind. Zumal die Zahl der dokumentierten Fälle offenbar gesunken ist. Zum Vergleich: Wie die „Tagesschau“ berichtete, veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) anlässlich des bevorstehenden Internationale Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November eine Studie, laut der „mehr als 30 Prozent aller Frauen weltweit im Lauf ihres Lebens Gewalt erfahren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von 840 Millionen Opfern aus.“ Wenn sich etwas für eine „Krise der Menschenrechte“ qualifiziert, dann dies.

Die Bild-Zeitung hat deshalb am vergangenen Donnerstag eine Kampagne gestartet und einen Ticker auf ihrer Website platziert, dem zufolge alle 68 Sekunden eine Frau in Deutschland Gewalt erfährt. Bild-Chefredakteurin Marion Horn schreibt in ihrem Kommentar zur Aktion:

„Aber wir diskutieren lieber über Gendersternchen und Regenbogenfahnen, statt darüber, was passieren muss, damit es nicht fast täglich einen Femizid gibt, also eine Frau getötet wird, weil sie eine Frau ist.“

Viele Ermordete in der Prostitution

Ins Leben gerufen wurde der TDoR 1998 von Transaktivisten in den USA, als Reaktion auf den Mord an der afroamerikanischen Transfrau Rita Hester, da dieser kaum Reaktionen in der Öffentlichkeit auslöste. Der Gedenktag hat sich seither international im Kalender der Mahn- und Erinnerungstage etabliert. Zusammen mit dem „Trans Murder Monitoring“ ist dem Transaktivismus hier eine Kombination von Aktionsformen gelungen, die ideale Trägermedien für Anliegen in die breitere Öffentlichkeit sind.

Doch nicht nur eine überzogen wirkende Darstellung ist ein Problem an dieser Aktion, sondern auch ein inkonsequenter Umgang mit den Daten – dies fällt vor allem beim Thema „Prostitution“ auf. Obwohl Transpersonen in der Prostitution in den Daten des „Trans Murder Monitoring“ die stärkste Betroffenengruppe sind, verbreiten queere Verbände lieber das Märchen von „Häppy Sexwörk“ – also Prostitution als rein selbst bestimmter Arbeit wie jede andere auch. Dabei ist gerade dieser Bereich von hoher Gewalt gekennzeichnet. Zumeist ist Prostitution in der Hand der organisierten Kriminalität, die sich für den Profit nicht um das Wohlergehen der Frauen schert. Auch von vielen Freiern geht Gewalt aus.

Für viele Frauen und auch Transpersonen, die in der Prostitution landen, passiert dies in erster Linie aus einem Mangel an anderen Perspektiven. Prostitution fördert kein Menschenbild, in dem man sich als gleichwertig begegnet. Doch eine Kritik am System „Prostitution“ ist in queeren und damit auch in transaktivistischen Kreisen verpönt. Statt also die Tonlage zu dramatisch aufzudrehen, wäre den Opfern mit einer ehrlicheren Analyse, aus der angemessene Schlüsse zu ziehen sind, mehr geholfen. Solange das nicht passiert, kann man sich das Flaggenhissen und Kerzenanzünden auch sparen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.