Ein Bericht der Initiative „Geschlecht zählt“ wirft dem Bundesfamilienministerium und ihm nahestehenden NGOs vor, durch Förderpolitik und manipulierte Übersetzungen von Istanbul-Konvention und UN-Frauenrechtskonvention die Geschlechtsdefinition in Deutschland von Biologie zur Geschlechtsidentität zu verschieben.

Eine Tür einer Toilette mit einem Symbol für Frauen. Daneben steht "Women". Symbolbild für Artikel „Geschlecht zählt“-Bericht: Wie Förderpolitik die Definition von Geschlecht in Deutschland verändert.
Auch die Frage des Zutritts zu Toiletten ist Teil des Streits um die Definition von Geschlecht (Foto von Joshua Hoehne auf Unsplash).

10. Dezember 2025 | Till Randolf Amelung

Haben das Bundesfamilienministerium und von ihnen geförderte NGOs gezielt ein Verständnis von Geschlecht bedient, was auf Identität beruht und nicht auf dem biologischen Geschlecht und damit biologische Frauen benachteiligt? Die feministische Initiative „Geschlecht zählt“ veröffentlichte kürzlich einen Bericht, der genau dies nahelegt.

In diesem Report dokumentiert die Initiative ihren Antrag nach Informationsfreiheitsgesetz vom März 2025 beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) auf Offenlegung von Unterlagen zur Fördermittelvergabe an den Deutschen Frauenrat, das Bündnis Istanbul-Konvention und die CEDAW-Allianz Deutschland.

Die Aktivistinnen von „Geschlecht zählt“ bekamen Zweifel an der rechtskonformen Förderung der drei NGOs, nachdem die damals noch regierenden Parteien SPD und Grüne nach dem Ausscheiden der FDP aus der Ampelregierung Ende 2024 ihren Entwurf für ein Gewalthilfegesetz vorgelegt hatten. „Geschlecht zählt“ wirft ihnen vor, sich im Gesetzesentwurf „auf Verfälschungen der Istanbul-Konvention und der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW)“ gestützt zu haben, die von den genannten NGOs verbreitet würden.

Identität statt Biologie

Konkret geht es darum, wie „Geschlecht“ ausgelegt werden soll.  Grundlage für die Definitionen sind die Istanbul-Konvention, also das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, und die UN-Frauenrechtskonvention.

Nach dem Willen des damals noch von den Grünen geführten Bundesfamilienministeriums sowie der genannten NGOs sollte der Fokus jedoch nicht auf dem biologischen Geschlecht, sondern auf der Geschlechtsidentität einer Person liegen. Laut „Geschlecht zählt“ hätten so auch biologisch männlichen Personen, die sich als „trans*“ oder „non-binär“ bezeichnen, einen Rechtsanspruch auf Plätze in Frauenhäusern.

Manipulierte Übersetzungen

Um die Neuinterpretation zu fördern, sei bei den (amtlich nicht bindenden) deutschen Übersetzungen der internationalen Konventionen manipuliert worden, indem beispielsweise „Frau“ mit Sternchen geschrieben wurde. Ebenso sei „Gender“ falsch als „Geschlecht“ übersetzt worden, obwohl „Geschlechtsrollenstereotype“ gemeint seien.

Der sogenannte „Alternativbericht“ der CEDAW-Allianz Deutschland von 2019 wird von „Geschlecht zählt“ ebenfalls als Beispiel angeführt. Darin heißt es:

„CEDAW gilt als völkerrechtlich wichtigstes Menschenrechtsinstrument für Mädchen* und Frauen* und verbietet die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Geschlechtsidentität in allen Lebensbereichen.“

Im englischen Originaltext komme „Geschlechtsidentität“ jedoch nicht vor. Klar sei auch, dass sich die UN-Frauenrechtskonvention auf das biologische Geschlecht beziehe, wie „Geschlecht zählt“ kritisiert. Ein Problem sei auch:

„Eine weitere maßgebliche Rolle spielt die ‚Berichterstattungsstelle geschlechts-spezifische Gewalt‘ im Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) mit ihrer vom BMFSFJ in Auftrag gegebenen und geförderten Publikation ‚Monitor Gewalt gegen Frauen – Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland‘. In diesem Dokument werden die gleichen verfälschenden Informationen zur Istanbul-Konvention und zur CEDAW verbreitet wie oben beschrieben.“

Hinführung zum Selbstbestimmungsgesetz

Die Initiative „Geschlecht zählt“ sieht in der Bevorzugung von Geschlechtsidentität bei Definitionsfragen um das Thema Geschlecht auch hinsichtlich finanziell geförderter Organisationen eine systematische Hinführung zum von der Ampelregierung erlassenen Selbstbestimmungsgesetz:

„Das BMFSFJ gestaltete seine NGO-Förderpolitik in den Jahren 2020–2024 im Widerspruch zum gleichstellungs-politischen Auftrag gemäß Art. 3 des Grundgesetzes und zu den internationalen Frauenrechtskonventionen. Es förderte zweckentfremdend Lobbyorganisationen dafür, dass sie genderidentitäre Verfälschungen von CEDAW und Istanbul-Konvention in Parlament, Justiz und Öffentlichkeit als rechtskonform propagierten.

All dies fand statt, während die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP die Einführung ihres sog. Selbstbestimmungsgesetzes vorbereitete. Der Bundestag verabschiedete es am 14. April 2024. Wer rechtlich als Frau oder Mann gilt, beruht seit dessen Inkrafttreten am 1. November 2024 auf dem ideologischen Konzept der Gender Identity. Jede Person kann jetzt ihren amtlichen Geschlechtseintrag per einfacher Erklärung beim Standesamt einmal im Jahr ‚selbstbestimmt‘ wählen.“

Gefolgschaft nur des Geldes wegen?

Dies suggeriert, die NGOs für Frauenrechte hätten den Definitionsshift von biologisch-körperlichen Gegebenheiten hin zu Identität nur des Geldes wegen vollzogen. Doch wer mindestens ab 2012 national und international im NGO-Wesen verkehrte, hat mitverfolgen können, wie schon weit vor 2020 sukzessive die biologieferne Kategorie „Geschlechtsidentität“ priorisiert wurde. Und wie kritische Stimmen zunehmend an den Rand gedrängt wurden.

In Deutschland bekamen diese Dynamiken um die Jahre 2013/2014 einen enormen Schub, als im damals SPD-geführten Bundesfamilienministerium eine interministerielle Arbeitsgruppe installiert wurde, die sich mit Fragen rund um sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität beschäftigte. Schon damals stand die Ablösung des Transsexuellengesetzes durch eine den queeren Aktivistas genehmere Lösung auf der Agenda.

Doch die von der Initiative „Geschlecht zählt“ festgestellten Manipulationsversuche weg von einem biologischem hin zu einem identitärem Geschlechtsverständnis sind nicht gänzlich ohne Grundlage in internationalen Vereinbarungen wie der Istanbul-Konvention. Der neugegründete Think Tank Athena Forum hat in seinem Report aufgezeigt, wie vor allem in europäischen Institutionen mithilfe von queeren NGOs wie ILGA oder Transgender Europe (TGEU) Bemühungen forciert werden, eine selbstbestimmbare Geschlechtsidentität zum Maß aller Dinge zu erheben.

Manipulation bei Begriffen international

So liegt „Geschlecht zählt“ zwar richtig, dass die Istanbul-Konvention in ihrem Kerntext bei der Erwähnung von Geschlecht vom biologischen ausgeht, aber er taucht im Kleingedruckten, also in der Diskriminierungsklausel auf. Der Think Tank Athena Forum kritisiert, dass der Begriff der „Geschlechtsidentität“ auf diese Weise nun in das Völkerrecht gelange, obwohl er nicht definiert sei. Überhaupt lohnt es sich, den Report des Athena Forum zu lesen, in dem sie aufzeigen, wie auf europäischer Ebene versucht wird, bei der Definition von „Geschlecht“ Geschlechtsidentität zu etablieren und das biologische Geschlecht zu verdrängen.

Wer in diesen Fragen einen Kurswechsel herbeiführen will, muss sich darauf einstellen, einen langen Atem zu benötigen. Denn nicht nur in vielen NGOs und europäischen Institutionen, sondern auch in deutschen Ministerien sitzt längst Personal an wichtigen Schaltstellen, was in Fragen rund um Geschlecht und LGBTIQ im Sinne des queerfeministischen Aktivismus gepolt ist. Bei Regierungswechseln mögen in den Ministerien die Posten der MinisterInnen und Staatsekretäre ausgetauscht werden, aber in den darunterliegenden Ebenen gibt es viele personelle Kontinuitäten.

Diese sind oft entscheidend, wenn es darum geht, was inhaltlich passiert: Es sind beamtete, also nicht kündbare Kräfte, die in jeder Hinsicht gesetzlich verabschiedete Prozesse befördern, aber auch sabotieren können. Doch auch, wenn sich das Zurückdrängen queerfeministischer Ideologie als sehr mühsam erweist – diese Arbeit ist notwendig, um einiges wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.