Der Supreme Court und die Ehe. Das US-Grundsatzurteil zur Ehe Gleichgeschlechtlicher von 2015 und der Weg dorthin
Tradition kann Neues schaffen | Queer Lecture mit Patrick Bahners
Von Babette Reicherdt
Patrick Bahners, Kulturkorrespondent der FAZ und zeitweiliger Korrespondent in New York City, hielt am 03.11.2016 eine Queer Lecture im taz Café über die rechtsgeschichtliche Entwicklung in den USA zur Eheöffnung für homosexuelle Paare, die mit der Entscheidung des US-Supreme Court im Juni 2015 für alle Staaten bindend wurde.
Bahners erläuterte die Genealogie dieses Gesetzes anhand spannender Einblicke in die Rechtsgeschichte der sogenannten „Homo-Ehe“. So geht die Entwicklung dieser Rechtsinstitution und der Forderung nach ihrer Gleichstellung mit der heterosexuellen Ehe auf eine aktivistische Rechtsklage aus den 1970er Jahren zurück, die sich ihrer Chancenlosigkeit zwar bewusst war, jedoch die Möglichkeiten nutzen wollte, das Rechtssystem herauszufordern.
Nachdem dann in den 2000er Jahren einige Bundesstaaten die Ehe für homosexuelle Paare zugelassen hatten, wurde die generelle Ungleichbehandlung zu heterosexuellen Ehen und Familien erst recht deutlich: Je nach Staat wurden damit Ehen erster und zweiter Klasse produziert.
Fünf zu vier Stimmen
Dieser Aspekt der Diskriminierung war dann auch einer der Hauptgründe, sich auf Bundesgerichtsebene mit dem Gesetz zu beschäftigen. Die Konsequenzen aus der Wiederaufhebung der zunächst eingeführten Ehe für Homosexuelle durch einen Volksentscheid, wie er in Kalifornien realisiert wurde und damit prinzipiell in jedem der anderen Staaten denkbar wurde, war ein weiteres entscheidendes Movens.
Über zwei Jahre zog sich die Entscheidung des Supreme Court hin, die schließlich mit fünf zu vier Stimmen quer durch die jeweilige Parteienzugehörigkeit sichtbar knapp ausfiel. Maßgeblich war nicht etwa eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Konstruktionen von Homo- und Heterosexualität und deren unterschiedlicher Privilegierung, sondern Erwägungen hinsichtlich des individuellen Rechtes auf Selbstbestimmung und einer Revision der konservativen Perspektive auf Tradition, oder wie Bahners hierzu einen der wortführenden Richter am Supreme Court, Anthony McLeod Kennedy zitierte: „Tradition ist nichts nur Begrenzendes, sondern auch etwas, das Neues schaffen kann.“
Normative Kraft des Faktischen
Zwei Fragen erwiesen sich in der anschließenden Diskussion als besonders ergiebig: Der Vergleich des Rechtes auf Ehe für alle in den USA mit dem europäischer Staaten, speziell mit dem bundesdeutschen Recht zeigte die prinzipielle juristische Differenz in den Rechtssystemen durch eine Festschreibung von Heterosexualität als Norm im Grundgesetz der BRD. Diese Artikel steht sämtlichen ebenfalls hierzulande geführte Debatten etwa um den Diskriminierungsgehalt durch die Ungleichbehandlung im Weg, zur offensichtlichen Begründung für eine Gesetzesänderung zu werden.
Der andere Diskussionspunkt, ob ein solches Supreme Court Urteil Bestand habe oder auch wieder revidiert werden könne, insofern sich eine andere Mehrheit im Gericht finde, erweist sich wenige Tage nach dem republikanischen Wahlsieg in den USA als reales Bedrohungsszenario. Mit einer neuen Richterernennung wäre auch eine neue Entscheidung formal möglich, auch wenn die juristischen „Folgeprobleme“ (Bahners) in Gestalt tausender verheirateter homosexueller Paare mit und ohne Kinder einen lebensweltlichen Hintergrund böten, den man nicht problemlos juristisch übergehen könne. Bleibt zu hoffen, dass die „normative Kraft des Faktischen“ dieser Errungenschaften des 21. Jahrhunderts sich nicht mehr hintergehen lässt.
Babette Reicherdt ist Historiker_in und 2. Vorstand von IQN