Umfrageergebnisse auf Planetromeo schockieren
Das schwule Datingportal wollte von seinen Usern wissen, welcher Partei sie bei der nächsten Bundestagswahl ihre Stimme geben wollen. Die AfD belegt den Spitzenplatz, besonders bei jungen Männern. Unterdessen mobilisiert eine Kampagne vom CSD Deutschland gegen die Wahl einer Partei wie die AfD. Was ist da los?
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5. Februar 2025 | Till Randolf Amelung
Zur Bundestagswahl hat das schwule Datingportal Planetromeo seinen Usern wie schon im vergangenen Jahr zur Europawahl die „Sonntagsfrage“ gestellt, welcher Partei sie ihre Stimme geben würden. 27,9 Prozent votierten für die in Teilen rechtsextreme AfD. Besonders deutlich fielen die Ergebnisse in der Gruppe der 18 bis 24-Jährigen aus: 34,7 Prozent wollen die AfD wählen. Und das, obwohl die Partei zum Beispiel die „Ehe für alle“ wieder abschaffen will. An der nicht-repräsentativen Umfrage nahmen vom 24. Januar bis 2. Februar 2025 60.560 Männer teil.
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Manipulierte Zahlen?
Planetromeo räumte ein, dass Manipulationen nicht ausgeschlossen werden könnten und zum Beispiel der Umfragelink außerhalb der Plattform weitergegeben worden sein könne. Vor den Europawahlen 2024 erzielte die AfD in einer vergleichbaren Umfrage hohe Zustimmungswerte, was bereits damals für schockierte Schlagzeilen über das Wahlverhalten schwuler Männer sorgte. Das Newsportal Queer.de hielt den jüngsten „Romeo“-Daten Zahlen einer eigenen, ebenfalls nicht-repräsentativen Umfrage von Dezember 2024 entgegen, wo immerhin 44 Prozent der Befragten die Grünen wählen würden. Die AfD würde mit 4,6 Prozent nicht mal über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Die Ergebnisse auf Queer.de und Planetromeo sagen wohl mehr über die jeweiligen User, als über „die“ schwule Community generell.
Alfonso Pantisano, der Queerbeaufragte des Berliner Senats, teilte aus diesem Anlass auf seinen Social-Media-Profilen den Slogan „Aus Gründen: Kein Sex mit Rassisten und Nazis!“ Dazu schrieb er noch: „Unabhängig davon, ob Umfragen auf Dating-Portalen je repräsentativ sein können, bin ich der Auffassung, dass auch wir in unserer Community große Probleme mit unseren internalisierten Rassismen haben.“ Mit einer ähnlich gelagerten Reaktion verzockte er sich bereits 2024, als er den ehemaligen Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert für Aussagen zu Erfahrungen mit muslimischen Männergruppen scharf angriff.
Queere Kampagne gegen die AfD
Der Dachverband CSD Deutschland e.V. hat zur Bundestagswahl die Kampagne „Wähl Liebe“ gestartet, die sich gegen rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien richten will. Die Kernforderungen sind: „Als queere Community fordern wir außerdem von der zukünftigen Regierung, dass queere Menschen endlich ins Grundgesetz aufgenommen werden, die finanzielle Absicherung unserer Communitystrukturen und mehr Engagement gegen Hasskriminalität.“ Flankiert wird die Kampagne von Demonstrationen für die Demokratie am 15. Februar in mehreren Städten. Uhrzeit: Fünf vor Zwölf.
Offenbar aber haben nicht alle in „der“ Community den Eindruck, es sei „Fünf vor Zwölf“ für die Demokratie oder werden durch queere Organisationen und Medien zumindest ideologisch nicht mehr erreicht. Interessant sind daher zwei Artikel in der Frankfurter Rundschau und auf der Website der ZDF heute-Nachrichten, die im Januar 2025 veröffentlicht wurden. Beide beschäftigten sich mit homosexuellen AfD-Wählern und ihren Beweggründen.
Migration, Sicherheit und Wirtschaft
Die Frankfurter Rundschau fragte bereits 2023 lesbische und schwule AfD-WählerInnen, warum sie ihre Stimme ausgerechnet dieser Partei geben. Schon damals waren Sicherheit und Wirtschaft die ausschlaggebenden Themen. Ein 29-Jähriger aus Berlin sagte: „Es wird immer schlimmer. Mehr denn je werde ich als erkennbar queerer Mensch in Berlin angefeindet, beschimpft, bespuckt und auch körperlich angegangen. Ich brauche keine Aktionspläne oder einen Ehering, ich will mich wieder sicher fühlen, ohne Angst haben zu müssen, verprügelt zu werden.“ Grüne, SPD und FDP warf dieser Mann gegenüber FR völliges Versagen vor.
Die ZDF heute-Nachrichten haben ein schwules Ehepaar interviewt. Beide sagten, in ihrem Freundeskreis würden viele die AfD wählen. Die Ablehnung der „Ehe für alle“ spiele bei der Entscheidung keine Rolle, vielmehr zeigten sich die beiden Männer überzeugt, dass die AfD sich am Ende wichtigeren Themen zuwenden würde und in der Hinsicht nichts passiere. Wahrscheinlich trägt zu diesem Glauben die offen lesbische Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin Alice Weidel bei, die das Berufliche und Private beinahe schizophren zu trennen weiß.
Die beiden vom ZDF interviewten Männer gaben „Sicherheit und Migration“ als wesentliche Gründe an. „Das haben die etablierten Parteien jahrelang verschlafen, erst Angela Merkel, jetzt die Ampel-Parteien. Wir glauben, dass die AfD die einzige Partei ist, die das Thema momentan angeht und verbessert“, sagte einer der beiden dazu. Und: „Ich wurde noch nie von Rechten oder Deutschen angegriffen, dafür aber von Arabern, Türken und Flüchtlingen. Man kann, glaube ich, erahnen, dass ich schwul bin. Und genau dieser Personenkreis hat ein Problem mit meiner Sexualität.“
Mit der Einstellung gegenüber Migration passen die Männer in die derzeitige Stimmungslage, die es innerhalb der deutschen Gesellschaft gibt. Eine repräsentative Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der ARD von Ende Januar zeigt, dass eine deutliche Mehrheit mit der derzeitigen Steuerung der Zuwanderung unzufrieden ist – sogar unter den WählerInnen der Grünen.
Alles Rassismus?
Lassen sich diese Stimmungen allesamt in Gänze dem rassistischen Ressentiment zurechnen, wie es beispielsweise Alfonso Pantisano tut? Das leugnet, dass es durchaus ein Sicherheitsproblem im öffentlichen Raum gibt, was mit rechtsstaatlichen Mitteln bearbeitet werden sollte. Mit Rassismus-Vorwürfen wird man keinen schwulen AfD-Wähler mehr zurückholen – eher im Gegenteil.
Ein Blick auf das bekannte Modell der Bedürfnishierarchie nach Abraham Maslow macht klar, woran das liegen könnte: Existenz- und Sicherheitsbedürfnisse bilden das Fundament. Erst danach kommen soziale Bedürfnisse wie Liebe. Die Erhöhung der Sicherheit im öffentlichen Raum sowie eine bessere Wirtschaftslage könnten eher dabei helfen, auch schwule Wähler von der AfD zurückzuholen, anstatt Demos, die diese Probleme nicht angemessen adressieren.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.