Sprechen über Tätergruppen bei Homophobie und sexueller Belästigung unter Rassismusverdacht

Alfonso Pantisano, der Queerbeauftragte Berlins, hat seinen Parteigenossen Kevin Kühnert für Äußerungen über Tätergruppen, von denen häufiger aggressive Homophobie ausgeht, scharf angegriffen. Nun wird er selbst mit Kritik überschüttet.

Probleme verschwinden nicht, wenn man sie nicht sehen will (Foto von Taras Chernus auf Unsplash).

9. Oktober 2024 | Till Randolf Amelung

Der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano steht mal wieder im Kreuzfeuer der Kritik, nachdem er seinem Parteigenossen Kevin Kühnert am 4. Oktober vorwarf, mit Äußerungen über Tätergruppen aggressiver homophober Attacken rassistische Ressentiments zu bedienen.

Grund sind Äußerungen des inzwischen aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretene SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.  Kühnert sagte:

„Klassische Treiber von Homophobie sind unter anderem streng-konservative Rollenbilder und religiöser Fundamentalismus. Außerdem hat aggressive Homophobie ein klar männliches Gesicht. Und so kommt es in meinem Erleben aus muslimisch gelesenen Männergruppen häufiger zu einem homophoben Spruch, als man es sonst auf der Straße erlebt. Natürlich ist der Großteil der Muslime in meinem Wahlkreis nicht homophob. Aber die, die es sind, schränken meine Freiheit ein und haben kein Recht darauf. Und darüber werde ich nicht aus taktischen Gründen schweigen.“

Pantisanos Reaktion auf Kühnerts Interview

Pantisano  reagierte noch am selben Tag auf seinen Social-Media-Profilen scharf:

„Lieber Kevin, echt jetzt? Wir wollen hier alle nichts verharmlosen, denn die Gefahr, die durch Queerfeindlichkeit ausgeht, ist für unsere Community mehr als real. Doch während Du hier behauptest, ein Großteil der muslimischen Community sei nicht „schwulenfeindlich“, erzeugst Du genau dieses horrende Bild. […] Die Queerfeindlichkeit ist überall präsent. Diese hat auch viel mit Religionen zu tun, ja – aber warum wir uns immer die Muslime als singuläres Phänomen rauspicken, bleibt mir schleierhaft.“

Besonders störte sich Pantisano an Kühnerts Formulierung „muslimisch gelesen“ und postete noch ein älteres Foto von sich in Kufiya, was aus seiner Zeit als Model für Werbekampagnen stammt. Da er auch Werbefotografien im arabischen Raum zierte, wollte er damit demonstrieren, dass er auch muslimisch gelesen und unter Generalverdacht gestellt werden könne.

Alfonso Pantisano auf Instagram (Foto: Eigener Screenshot).

Cem Özdemirs Tochter und Unsicherheit im öffentlichen Raum

Vor Kühnert äußerte sich der grüne Landwirtschaftsminister in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und sprach darüber, dass seine Tochter und ihre Freundinnen im öffentlichen Raum zunehmend Unsicherheit aufgrund aggressiver sexueller Belästigung vornehmlich durch junge Männer aus dem arabischen Raum erleben. Auch dies tut Pantisano verächtlich ab: „Dient es der Rhetorik und dem Storytelling eines Cem Özdemir, der jetzt plötzlich eine Veränderung in der Wahrnehmung von Frauen durch migrantische Männer feststellen will – eine Veränderung, die früher anders, also besser, gewesen sein soll? Und die es bei den Männern ohne Migrationsbiographie nicht gibt? Wirklich?“

Der umstrittene Tweet vom 22. Januar 2022 (Foto: Screenshot auf X).

Dass für Pantisano die Wahrnehmung von Frauen nicht viel zählt, bewies er schon ein Jahr vor seiner Ernennung als Queerbeauftragten, als er Redakteurinnen der „Emma“ auf X als „Hündinnen“ bezeichnete. Alice Schwarzer und das von ihr gegründete Blatt sind im aufgrund ideologisch nicht genehmer Äußerungen zum Thema „Trans“ ein Dorn im Auge. Der Tweet wurde kurze Zeit danach von ihm gelöscht, inklusive Entschuldigung.

Sachliche Diskussion über Tätergruppen nicht möglich

Pantisanos Haltung und die Verunmöglichung einer sachlichen, aber präzisen und konstruktiven Problembeschreibung, von wem im öffentlichen Raum aggressive Homophobie sowie sexuelle Belästigung häufig ausgeht, waren in den vergangenen Jahren der Sound im linksprogressiv geprägten Aktivismus. Inklusive krudem Gefasel von einem vermeintlichen Homonationalismus.

Doch inzwischen haben immer mehr Menschen auch in linken und queeren Kreisen die Nase voll davon, nicht über den Elefanten im Raum sprechen zu dürfen. Unter Pantisanos Instragram-Postings kann man eine Vielzahl Kommentare finden, die Kühnert beipflichten. Auch Prominente wie der ehemalige Bundestagsabgeordnete für die Grünen, Volker Beck, meldeten sich zu Wort. Auf Facebook kommentierte er unter Pantisanos Beitrag: „Aber Problemlagen verleugnen oder aufhübschen ist halt gefährlich. Bin froh, dass die SPD Berlin hier ihren Kurs neu justiert. Linke Politik muss die Probleme lösen, um die Hegemonie der Rechten zu verhindern oder zu brechen.“

Der CDU-Politiker und ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sprang Kühnert nun ebenfalls im Tagesspiegel bei: „Der reflexhafte Rassismus-Vorwurf ist Unsinn. Es ist schlicht die Realität: Deutschland ist durch irreguläre Migration homophober, frauenfeindlicher und gewaltaffiner geworden.“

Und LSVD-Bundesvorstandsmitglied Erik Jödicke antwortete Pantisano auf Instagram: „Ich sehe deinen Punkt, aber gleichzeitig sehe ich, dass wir die Debatte um alle Formen von LGBTIQ*feindlichkeit und auch Antisemitismus, auch derjenigen, die von muslimisch sozialisierten Menschen ausgeht, als Demokrat*innen in einem demokratischen Diskurs führen. Das tut weh das weiß ich. Aber wenn das Thema von den Nazis von rechts übernommen wird, dann wird das der Schade von all den Muslim*innen sein, die überhaupt kein Problem mit LGBTIQ* oder Juden haben.“

Auch der Islamismus-Experte Ahmad Mansour äußerte sich auf X dazu: „Die SPD, genauso wie die Grünen, täten gut daran, gerade jetzt die identitätspolitischen Kräfte in den eigenen Reihen zu erkennen und kritisch zu hinterfragen. Es gibt auch andere Wege, Antirassismus und sexuelle Selbstbestimmung zu fordern, ohne dass jede Kritik an Missständen in der muslimischen Community sofort als islamophob oder als „Wasser auf die Mühlen der AfD“ abgestempelt wird. Mit diesen Kräften ist eine offene Debattenkultur kaum möglich.“

Rücktrittsforderungen aus der SPD

Inzwischen werden aus der Berliner SPD Rücktrittsforderungen an Pantisano laut, der schon bei seinem Amtsantritt als umstritten und egozentrisch galt. Dem Tagesspiegel liegt ein Offener Brief vor, in dem es heißt: „Wir sagen ganz deutlich, Du vertrittst uns als Schwule, Lesben und Bisexuelle, die wir in der SPD jenseits der AG Queer Politik machen, nicht mehr.“ Der „Tagesspiegel“ zitiert weiter: „Kühnert habe ausdrücklich eine Mehrheit der muslimisch Gläubigen in Deutschland von seiner Aussage ausgenommen, beschreibe aber eine Realität, „die jeder und jede von uns erleben musste“.“ Schließlich warfen die Parteigenoss*innen Pantisano vor, „Debatten zu verhindern und Menschen mundtot zu machen“.

Von der woken Diskursabwürgung profitiert allein eine rechtspopulistische und in Teilen bereits rechtsextreme Partei namens AfD. Wir brauchen eine Politik, die Probleme klar ansprechen kann. Denn nur so können sinnvolle Lösungen entwickelt werden. Das erwarten Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in unserem Land.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.