Im letzten Jahrzehnt profitierte die queere Community mit ihren Organisationen von einer erhöhten Aufmerksamkeit der Politik, die sich auch finanziell auszahlte. Doch angesichts der drängenden gesamtgesellschaftlichen Aufgaben sollte man nicht erwarten, dass dieses Niveau an finanziellen Zuwendungen gehalten werden kann.

24. Februar 2025 | Till Randolf Amelung
Die Bundestagswahlen sind vorüber, die Ergebnisse entsprechen in etwa den Prognosen. Während SPD und FDP für die vorherige Ampel-Koalition vom Wähler abgestraft wurden und CDU/CSU zwar stärkste Kraft wurden, aber trotzdem hinter den Erwartungen zurück blieben, haben besonders die populistischen Ränder profitiert. Vor allem das starke Ergebnis der in Teilen rechtsextremen AfD ist zwar erwartet worden, bleibt aber dennoch schockierend. Gerade in der Gruppe der 18 bis 24-Jährigen war sie zweitstärkste Kraft, auf Platz 1 fand sich in dieser Wählergruppe die bis vor drei Monaten noch totgeglaubte Linkspartei.
Was bedeutet das Ergebnis nun aber für die politischen Aspekte der LGBTI-Frage? Große Sorge herrschte zuletzt unter anderem, weil die Union im Wahlprogramm verkündet hat, das Selbstbestimmungsgesetz in der jetzigen Form nicht beibehalten zu wollen. Und auch eine von queeren Verbänden geforderte Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes um „sexuelle Identität“ ist mit CDU/CSU nicht zu machen.
SPD als Puffer für queere Community
Doch vielleicht könnte es die Gemüter ein wenig beruhigen, dass die Union nicht allein regieren kann, sondern dazu die SPD braucht, die einige queerpolitische Lieblingsprojekte mitverantwortet hat – insbesondere das Selbstbestimmungsgesetz. Allerdings sollte die SPD die Chance zu notwendigen Korrekturen an diesem in der jetzigen Form schlicht verantwortungslosen Gesetz wahrnehmen. Nur so kann man es noch aus einer Gemengelage weiterer Polarisierung wieder rausnehmen. Das würde dem Schutz von Transpersonen am ehesten dienen.
In der GroKo im Bundesland Berlin zeigt sich außerdem, dass die SPD bereit ist, allzu brutale Kürzungen bei queeren Projekten abzufedern. Die Berliner Bildungsverwaltung unter CDU-Senatorin Katharina Günther-Wünsch hatte unter der Notwendigkeit zum Sparen mehreren queeren Projekten die Gelder gestrichen. Die SPD-geführte Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung unter der Leitung von Cansel Kiziltepe springt nun ein und versucht das fehlende Geld der betroffenen Projekte zumindest teilweise auszugleichen.
Aktionsplan „Queer leben“ ungewiss
Auf Bundesebene könnten die Sozialdemokraten also ein Hoffnungsschimmer gegen Untergangsszenarien in der queeren, mit Steuergeld subventionierten Communitylandschaft sein. Eine Ausweitung der Finanzierung queerer Wunschprojekte ist aber eher nicht zu erwarten. Der Aktionsplan „Queer leben“, der unter der Leitung des nun ehemaligen Queerbeauftragten Sven Lehman (Bündnis 90/Die Grünen) erstellt wurde, wird kaum erfüllbar sein, da helfen auch gute Kontakte zur LSU, den Lesben und Schwulen in der Union, nicht.
Aktuell ist die Ausweitung der Subventionierung von queeren Projekten und Vereinen mit Steuergeld nicht das vordringlichste Aufgabenfeld einer kommenden Bundesregierung. Vielmehr ist für die queeren Vereine das Gebot der Stunde, nicht allein auf den Staat zu schauen, sondern sich auch andere Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen und damit resilienter zu werden – etwa über Stiftungen oder durch die Akquise von Geldern aus mäzenatischen Händen. Ein Menschenrecht auf dauerhafte üppig polsternde Subventionierung queerer Projekte gibt es nicht.
Außenpolitik, Sicherheit und Wirtschaft haben Priorität
Eine künftige Bundesregierung hingegen muss dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Insbesondere bezahlbare Mieten für Wohnen und Gewerbe sowie Senkung von Energiekosten, unter Letzterem ächzt die Wirtschaft neben zu viel Bürokratie gerade besonders. Erfolge auf diesen Gebieten kommen auch queeren Zentren und der Clubkultur zugute. Eine steigende Wirtschaftsleistung sorgt für mehr Kaufkraft und Spendenbereitschaft – auch das ist für den Erhalt queerer Infrastruktur nur förderlich.
Außenpolitisch wird ein sicheres und freies Europa gerade in der Ukraine herausgefordert. Ein Sieg des russischen Despoten Wladimir Putins würde eine erhebliche Schwächung des freien Westens bedeuten und eine ernsthafte Bedrohung für den Frieden in Europa darstellen. Und damit eben auch für das Leben und die Freiheit von LGBTI. Deshalb muss die Unterstützung der Ukraine Priorität haben, die Waffenlieferungen müssen ausgeweitet werden. Das alles wird eben auch den Preis haben, dass dafür nötiges Geld woanders weggenommen wird.
Das Thema „Sicherheit“ ist auch innenpolitisch von hoher Bedeutung, die letzten Anschläge von Magdeburg, Aschaffenburg und München haben in der Bevölkerung die Stimmung befördert, die derzeitige Migrationspolitik abzulehnen. Aber auch in queeren Kreisen ist die fehlende Sicherheit im öffentlichen Raum zuletzt ein Faktor gewesen, der in Teilen eine Hinwendung zur AfD begünstigt hat. In diesem Feld muss der Staat mehr tun und dies kostet ebenfalls Geld.
Doch wenn die queeren Strukturen wieder mehr lernen, auch unabhängiger von staatlichen Zuwendungen zu funktionieren, so kann das langfristig für die Lebensfähigkeit nur von Vorteil sein. In der Talksendung von Caren Miosga anlässlich der Bundestagswahlen sagte der eingeladene schwule CDU-Politiker Jens Spahn, dass wir nur noch eine Wahl von österreichischen und italienischen Verhältnissen entfernt seien, wenn man die Kernprobleme jetzt nicht in den Griff bekomme. Spätestens dann würde so manche Subvention wegfallen. Besser ist also, man orientiert sich schon jetzt neu.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.