Trans und Inter im Frauensport
Ein Boxkampf in der Frauenkategorie bei den olympischen Sommerspielen in Paris entfacht die Auseinandersetzung neu, ob trans- und intergeschlechtliche Athlet*innen an Frauenwettkämpfen teilnehmen dürfen sollten.
2. August 2024 | Till Randolf Amelung
Nur 46 Sekunden dauerte das Achtelfinal-Duell im olympischen Frauenboxwettbewerb in der Klasse bis 66 Kilo am 1. August 2024 zwischen Angela Carini (Italien) und Imane Khelif (Algerien). Dann gab Carini auf, um ihre Gesundheit zu schützen. Sie sagte, sie habe noch nie so harte Schläge bekommen. Noch während des Kampfes habe sie ihrem Trainer zugerufen, es sei nicht fair.
„Das ist gefährlich, was hier passiert. Ich will nicht für das Olympische Komitee urteilen und ich weiß, dass das Thema schwierig ist. Aber dieser Kampf war unfair“, sagte auch der Trainer der Italienerin, Emanuele Renzini laut der Welt. Denn dies ist kein gewöhnlicher Boxkampf unter Frauen gewesen.
Umstrittene Teilnehmerin aus Algerien bei WM 2023 disqualifiziert
Imane Khelif wurde 2023 bei der Weltmeisterschaft disqualifiziert – wegen zu hoher Testosteronwerte. Auf die Olympiateilnahme von Khelif hatte dies bemerkenswerterweise keine Auswirkungen. Offenbar weil der WM-Ausrichter, der Internationalen Box-Verband IBA, vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nicht anerkannt wird. Musste Angela Carini bei Olympia also mit einem biologischen Mann in den Ring steigen?
Hierzu ist ausweislich der bisherigen Berichterstattung auch in internationalen Medien unklar, ob es sich bei Khelif um eine Transfrau oder um jemanden mit einer Variante aus dem Bereich der Intersexualität handelt. Das IOC kritisierte den medialen Umgang mit dem Fall und stellte schließlich klar, dass es nicht um Trans, sondern um Inter geht. Unstrittig ist jedoch, dass Khelif erhebliche Vorteile durch einen hohen Testosteronspiegel, vielleicht sogar schon von der Pubertät an zu haben scheint.
Empörung ist groß
Entsprechend empört fallen viele Reaktionen aus. Das feministische Magazin Emma kommentierte: „Olympia hat den ersten Skandal. Er ist ein Schlag ins Gesicht für alle Frauen.“ Die ehemalige deutsche Boxweltmeisterin Regina Halmich kommentierte auf Instagram: „Meine Meinung: das geht leider gar nicht. Ein Mann hat eine andere Genetik, mehr Muskulatur. Für mich dürfen solche Kämpfe nicht stattfinden.“
Der „Zeit“-Journalist Jochen Bittner schrieb auf dem Kurznachrichtendienst X: „Auch wenn sie intersexuell ist, gilt: Es muss nüchtern geprüft werden, ob ihr Antreten im Frauensport fair ist.“
Die weltbekannte Autorin J.K. Rowling schrieb, ebenfalls auf X: „Könnte ein Bild unsere neue Männerrechtsbewegung besser zusammenfassen? Das Grinsen eines Mannes, der weiß, dass er von einem frauenfeindlichen Sportestablishment beschützt wird, das sich am Leid einer Frau erfreut, der er gerade auf den Kopf geschlagen hat und deren Lebensambitionen er gerade zerstört hat.“
Sharron Davies, ehemalige britische Schwimmerin und Medaillengewinnerin bei Olympischen Spielen, schrieb auf X, dass es bei den Geschlechtstest vor allem um die Chromosomen gehe, der Testosteronspiegel sei als wichtiger Hinweisgeber zu verstehen. Sie forderte eine sachlich korrekte Berichterstattung, damit das Problem überhaupt erfasst werde.
IOC verteidigt Teilnahme
Das IOC verteidigte hingegen seine Entscheidung, Imane Khelif und die zweite umstrittene Person, die taiwanesische Boxerin Lin Yu-ting, antreten zu lassen. Der Sprecher Mark Adams sagte laut Welt: „Es sind Menschen involviert, wir sprechen über das Leben von Menschen. Sie sind in Frauenwettbewerben angetreten, sie haben gegen Frauen gewonnen und sie haben gegen Frauen verloren über die Jahre.“ Und das, sowohl Khelif als auch Yu-ting grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Zulassung erfüllen würden, da sie in ihren Pässen als „weiblich“ eingetragen seien. Auch Yu-ting wurde 2023 bei der WM wegen zu hoher Testosteronwerte disqualifiziert.
Auch aus der Politik kamen Reaktionen, so zum Beispiel von Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni: „Ich stimme nicht mit dem IOC überein. Ich denke, Athletinnen mit männlichen genetischen Merkmalen sollten nicht an Frauen-Wettbewerben teilnehmen dürfen. Nicht, weil wir jemanden diskriminieren wollen, sondern um das Recht der weiblichen Athleten zu schützen.“
Inter im Frauensport
Gerade Trans und Inter sorgen in den Frauenriegen des Spitzensports immer wieder für hitzige Debatten. Im Zentrum steht die Frage, wie groß die Vorteile durch eine vermännlichende Pubertät sind und später bleiben, selbst wenn es bei Transfrauen eine feminisierende Hormontherapie erfolgt.
Bei Varianten von Intersexualität mit deutlich erhöhtem Testosteronspiegeln wird inzwischen verlangt, dass dieser medikamentös gesenkt wird, so geschehen bei der südafrikanischen Mittelstreckenläuferin Caster Semenya. Die Mittelstrecklerin verfügt eine genetische Anomalie – ihre Leistungen in Frauenwettbewerben sind grundsätzlich allen anderen stark überlegen, zugleich kann sie nicht mit Männern leichtathletisch konkurrieren, dafür reicht es allen Trainingsmühen zum Trotz nie. Ihre Versuche, gegen diese pharmakologische Auflage vorzugehen, waren bislang erfolglos. Nun ist eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.
Intersexualität als Herausforderung für Frauensportwettbewerbe ist kein neues Phänomen. Testosterongrenzwerte und andere Auflagen, wie zum Beispiel bis in die 1960er Jahre hinein Genitalinspektionen und Chromosomentests, wurden deshalb eingeführt. Heutzutage ist vor allem der Testosteronwert das entscheidende Kriterium.
Teilnahme von Transfrauen an Frauenwettbewerben
Die Teilnahme von Transfrauen an Frauenwettbewerben bekam durch die Teilnahme von Lia Thomas an Schwimmwettbewerben im College-Bereich international Aufmerksamkeit. 2022 entschied der Welt-Schwimmverband FINA, dass nur noch in der Frauenkategorie startberechtigt ist, wer nie eine männliche Pubertät durchlaufen hat. Bei Transfrauen hieße dies, einen frühen Einsatz von Pubertätsblockern anzustreben. Diese sind international inzwischen hochumstritten oder, je nach Land, verboten, weil langfristige Risiken für die Gesundheit bei Heranwachsenden bislang nicht ausreichend geklärt werden konnten.
Auch andere Sportverbände zogen nach und regelten die Zugangsvoraussetzungen zu den Frauenwettkämpfen neu: Die Weltverbände für Leichtathletik, Rugby und Radsport haben vergleichbare Einschränkungen wie der Schwimmverband erlassen. Das IOC überlässt es den von ihnen zugelassenen Verbänden, Regelungen zu treffen.
Biologisches Geschlecht als Risikofaktor
Der Weltboxverband hat Transfrauen von Frauenwettkämpfen ganz ausgeschlossen. Im Boxen ist nicht nur die Fairness zu berücksichtigen, sondern auch ein erhöhtes Verletzungsrisiko. „Laut einer Studie von British Journal of Sports Medicine sind Frauen im Kampfsport einem höheren Risiko für Gehirnerschütterungen und andere schwere Verletzungen ausgesetzt, wenn sie gegen physisch überlegene Gegner antreten“, heißt es auf dem Portal Boxen1.
Dies bestätigt der Fall um Fallon Fox. Fox, eine US-amerikanische Transfrau und ehemalige Mixed-Material-ArtKämpferin. 2014 trat sie in einem Kampf gegen ihre Landsfrau Tamikka Brents an. Brents verlor nicht nur, sondern erlitt auch noch eine Schädelfraktur. Später klagte Brents, vergleichbar wie nun 2024 Angela Carini, dass sie noch nie so harte Schläge in einem Kampf unter Frauen erhalten habe und dies kein fairer Kampf gewesen sei.
Inklusion kommt an ihre Grenzen
Der aktuelle Fall von den Olympischen Spielen in Paris zeigt: Inklusion hat Grenzen, und biologische Faktoren können bei Geschlecht weder wegdiskutiert noch kleingeredet werden. Schon gar nicht sollte mit Inklusion die Toleranz anderer strapaziert werden, deren Wettbewerbe mit solchen Belastungen für faire Bedingungen ruiniert werden.
Dies fördert Frustration und Abwehr und trägt nicht zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Trans- und Interpersonen bei. Die Grenzen, die durch biologisch-körperliche Bedingungen auferlegt werden, können für Betroffene aus dem Trans- oder Interbereich persönlich eine Zumutung sein. Man kommt aber nicht umhin, diese anzuerkennen – wenn vielleicht auch zähneknirschend.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.