Auch 2025 gibt es am Tag vor dem Berliner CSD wieder einen Dyke March, der von einem neuen Organisationsteam unter dem Namen „Community Dyke* March“ beworben wird. Nachdem 2024 ein antisemitischer Pro-Palästina-Block den Marsch anführte, lassen die Ankündigungen für dieses Jahr ebenfalls nichts Gutes erahnen. Die Dyke Marches sind Teil einer bedauernswerten Verwahrlosung eines sich als politisch linksprogressiv verstehenden Spektrums.

Jemand hält ein Schild mit der Aufschrift "Proud Queer Jew and Zionist" hoch. Symbolbild für Artikel "Dyke March: Und ewig grüßt das Murmeltier … oder der Israelhass"
Jüdisch, queer und zionistisch – alles auf linksprogressiven Veranstaltungen nicht erwünscht (Foto von Levi Meir Clancy auf Unsplash).

14. Juli 2025 | Till Randolf Amelung

Im vergangenen Jahr zeigte sich auch auf queeren Veranstaltungen, wie tief als Israelhass verkleideter Antisemitismus in Szenen des progressiven Spektrums Einzug gehalten hat. IQN-Autorin Chantalle El Helou berichtete zum Beispiel entsprechend über den Dyke March 2024 in Berlin, der von gegen Israel gerichteten pro-palästinensischen Kräften gekapert wurde.  Für dieses Jahr hat sich die bisherige Orga des Dyke March Berlins zurückgezogen – aus gesundheitlichen Gründen, wie sie am 25. Juni auf Instagram verkündeten. Eine Lücke wird nicht entstehen, denn es haben sich andere gefunden, die am 25. Juli, also einen Tag vor dem Berliner CSD, einen „Community Dyke* March“ durch die Hauptstadt laufen lassen wollen.

Keine Sensibilität für Antisemitismus

Doch bereits der Demoaufruf auf Instagram zeigt, trotz der beflissenen Aufzählung von intersektionalen Marginalitäten, dass Israelhass beim Dyke* March erneut mitmarschieren wird: „Wir solidarisieren uns mit allen FLINTA*, die weltweit unter patriarchaler und autoritärer Unterdrückung leiden. Sei es in Palästina unter Apartheid und systematischer Auslöschung, im Sudan und der Demokratischen Republik Kongo unter brutaler Kriegsgewalt oder auch in Iran und Afghanistan unter institutionalisierter, geschlechterspezifischer Gewalt.“

Wer die Phrase „Palästina unter Apartheid“ drischt, versteht unter Solidarität mit „FLINTA*“ unter patriarchaler und autoritärer Unterdrückung wohl eher nicht diejenigen, die im Gazastreifen oder im Westjordanland von ihren streng patriarchalen und islamischen Familien oft mit Gewalt davon abgehalten werden, ein offen selbstbestimmtes und queeres Leben zu führen. Nicht selten droht Queers der Ehre wegen auch der Tod.

Stattdessen adressiert „Palästina unter Apartheid“ den einzigen Staat im Nahen Osten, wo LGBTI vor Verfolgung geschützt sind – Israel. Ebenso wird die dicke Lüge ad nauseam wiederholt, in Israel herrschten Zustände wie damals in Südafrika, wo rechtlich, politisch und gesellschaftlich eine Rassentrennung herrschte, die die schwarze Bevölkerung diskriminierte.

Screenshot vom Community Dyke March Berlin mit dem Selbstverständnis
Das Selbstverständnis des „Community Dyke* March Berlin“ auf Instagram (Foto: Eigener Screenshot).

Dyke March New York gegen Zionisten

Doch nicht nur in Berlin hat ein Dyke* March Probleme mit Israel, auch in New York wurden „Zionisten“ vom Dyke* March ausgeschlossen. Wie die Berlinerinnen, so framen sich auch die New Yorkerinnen als links, antikapitalistisch, queerfeministisch und vor allem intersektional. Israel firmiert in diesem manichäischen Weltbild als Unterdrücker, imperialistischer Kolonialist und faschistischer Feind – die Palästinenser hingegen, gelten als die „Verdammten dieser Erde“ eines antikolonialen Befreiungskampfes, für den man auf die Barrikaden müsse. Eine kritische Analyse, ob diese Positionsbestimmungen überhaupt ein solides Fundament haben, findet in diesen aktivistischen Kreisen nicht statt.

Auch Mitgefühl mit Israelis und Juden generell sucht man vergeblich, worauf Michaela Dudley jüngst in der taz hinwies:

„Weder die Demonstrierenden noch ihre Fürsprecher in Talkrunden erheben Freiheitsforderungen, die sich an die Hamas richten. Das Fehlen von Wahlen unter der Hamas seit nahezu 20 Jahren und die schwierige Lage von Frauen oder der LGBTQ+-Community werden geflissentlich ignoriert. Auf den propalästinensischen Kundgebungen wartet man vergeblich auf auch nur ein Wort Empathie für die über eintausend Opfer der Hamas vom 7. Oktober. Stattdessen wird von „Widerstand mit allen Mitteln“ gesprochen.“

Antisemitische Verwahrlosung progressiver Milieus

Die Dyke* Marches in Berlin und New York sind Teil einer antisemitischen Verwahrlosung linksprogressiver Milieus, inklusive der Popkultur. Auf dem „Glastonbury“, dem größten Musikfestival Großbritanniens beispielsweise, heizte das Grime/Punk-Duo Bob Vylan das Publikum mit  „Hell yeah, from the river to the sea, Palestine must be, will be – inshallah – it will be free!“ und „Death to the IDF” an – live übertragen von der BBC.

Einen bündigen Befund des Elends liefert das Portal Mena-Watch:

„Die aktuelle Situation der linken Szene und der Popkultur erinnert an das, was der Philosoph Theodor W. Adorno als ‚konformistische Rebellion‘ bezeichnete. Gemeint ist eine Haltung, die sich subjektiv als moralisch überlegen und subversiv wähnt, objektiv jedoch reaktionäre und entindividualisierende Denkmuster reproduziert.

Die ‚Free Palestine‘-Rufe auf europäischen Festivals, begleitet von Schweigen über oder gar Zustimmung zu den Gräueltaten der Hamas, sind kein Ausdruck politischen Bewusstseins, sondern eine Folge regressiven Denkens. Kritik wird durch eine moralische Pose ersetzt, Analyse durch vereinfachende Schwarz-Weiß-Narrative. Es geht nicht um Frieden oder Menschenrechte, sondern um das Bedürfnis, Teil eines identitätspolitischen Widerstandsnarrativs zu sein – einfach, um dazuzugehören und auf der richtigen Seite zu stehen.“

Popkultur und Aktivismus leben von der inszenierten Pose, aber wer sich als links und queer versteht, sollte sich fragen, ob man ausgerechnet Islamismus, Queer- und Judenhass unterstützen will. Oder wie es ein bekanntes Sprichwort treffend formuliert: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.“


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.