Teil 2 der IQN-Berichterstattung

Am 26. Juli fand der elfte Dyke* March Berlin statt. Die Veranstaltung am Vorabend des CSD wurde einst gegründet, damit Lesben sichtbar werden können. Doch während an einem Ende des diesjährigen Dyke* March Berlin die Vernichtung Israels propagiert wird, wird am anderen Ende des Umzugs der Verachtung für homosexuelle Frauen freien Lauf gelassen.

Diese Sichtbarkeit von Lesben war unerwünscht (Foto: privat).

30. Juli 2024 | Chantalle El Helou

Der Dyke* March Berlin startete dieses Jahr auf dem Karl-Marx-Platz in Neukölln. Aufgeheizt ist die Stimmung schon aufgrund der Aggressivität antizionistischer Aktivisten von Anbeginn.

Eine kleine Gruppe von ungefähr 17 Lesben möchte dennoch dem eigentlichen Anliegen des Dyke* March nachkommen und läuft als feministisch-lesbische Gruppe mit. Auf ihren Transparenten steht „My Vulva is a female only space“, „kompromisslos lesbisch“, „Solidarität mit Lesben aller Länder“, „Not your Porn“, „Gender ist the cause of dysphoria not the solution“, „Dyke XX March“ und „unendlich frauenzentriert“.

Sie rahmen ihre kleine Gruppe mit Bannern ein: „Frauenliebe ist unsere Stärke – Lesbenfront“ und „Wir Lesben sind überall“. Das verschränkte Venussymbol und die Doppelaxt sind auf Schildern und zwei Flaggen präsent. Sie rufen: „Viva viva Lesbiana“. Damit bildet die Gruppe den wohl sichtbar lesbischsten Teil auf dem Dyke* March, der ansonsten sehr farblos oder mit Pro-Palästina-Sympathiebekenntnissen daherkommt.

Vorwurf der Transfeindlichkeit

Diese offene und klare Präsentation des eigenen Lesbischseins erregt auf dem Dyke* March Anstoß. Das Verständnis von Homosexualität als auf den geschlechtlichen Körper des anderen Menschen bezogenes Begehren, ist schon lange nicht mehr Konsens in dieser Community. Stattdessen wird die Innerlichkeit, die Geschlechtsempfindung, die Geschlechtsidentität hervorgehoben. Das heißt: Auch männliche Körper sollen im lesbischen Begehren auftauchen können. Somit gelten die Transparente und Motti der lesbisch-feministischen Gruppe als transfeindlich.

Von der breiten Karl-Marx-Straße einbiegend in die engere Anzengruberstraße sehen sich die Frauen bald einem wütenden Mob von etwa 50 Transaktivisten gegenüber, der versucht, die Gruppe vom Dyke* March durch Blockade und Einschüchterung zu vertreiben. Sie werden schließlich von einer anwachsenden Traube aus mindestens 100 Personen eingekesselt und eine halbe Stunde lang am Weitergehen gehindert. Die Aktivisten rufen: „Terfs, verpisst euch, keiner vermisst euch“ – Terf ist das Akronym für Trans-Exclusionary Radical Feminist –, „Haut ab“ und „Macht sie platt“.

In der Einkesselung bilden die Frauen mit ihren Händen das feministische Vulva-Symbol und die Menge bricht in verärgertes Grölen aus.

Mehrmals wird erfolglos versucht, den Lesben das Banner mit der Aufschrift „Frauenliebe ist unsere Stärke – Lesbenfront“ zu entreißen. Ein Schild mit der Aussage „Lesbe – gleichgeschlechtlich liebende Frau“ gelangt hingegen in die Hände der Transaktivisten. Sie zerreißen das Schild und versuchen, es anzuzünden.

Transaktivisten wollen ein erbeutetes Schild anzünden (Foto: J.M.)

Positiver Bezug auf das Lesbischsein

Um es klar zu sagen: Die Lesbengruppe trug keine transfeindlichen Sprüche bei sich, sondern vor allem Schilder mit positivem Bezug auf das Lesbischsein. Ein Schild mit besagter Aufschrift verbrennen zu wollen, bedeutet die Leugnung der weiblichen Homosexualität selbst. Die Lesben veröffentlichen später auch in einem Statement ihre Motivation: „Es ist uns bewusst, dass es aus der Mode gekommen ist, Frauen Vorrang einzuräumen, gerade – und ironischerweise – innerhalb der Lesbenkultur. Es ist Ausdruck von Lesbenhass, wenn die ausschließlich auf Frauen bezogenen, women-only, sexuellen und politischen Grenzen von Lesben in Frage gestellt oder verletzt werden. Frauenhasser weigern sich, Grenzen von Frauen zu akzeptieren oder lesbische Autonomie zu respektieren.“

Erst durch verstärkte Polizeipräsenz löst sich die Blockade durch die Transaktivisten auf und die lesbische Gruppe kann ihre Teilnahme am Dyke* March unter Polizeieskorte fortsetzen. Es kommt auf der Erkstraße zu einer zweiten Blockade – diesmal ist eingehakt in der Menschenkette gegen die Lesben auch die bekannte Journalistin und Transfrau Georgine Kellermann. Die Gruppe wieder in den Zug zu integrieren, bleibt aufgrund von Sicherheitsbedenken unmöglich, sodass die Frauen schließlich nach der Hälfte der Strecke die Demo verlassen.

Georgine Kellermann, in rosa Oberteil und Rock gekleidet, steht mittig zwischen den Blockierern (Video: privat).

Die Reaktion von der Dyke* March Organisation, sowie von der berichtenden Presse wird den tatsächlichen Geschehnissen nicht gerecht und verfolgt eine ähnliche Täter-Opfer-Umkehr wie sie beim israelhassenden Mob vorgenommen wurde.

So behauptet die taz: „Die ungefähr 15 Menschen mit transfeindlichen Schildern versuchten zeitweise den hinteren Teil der Demo zu blockieren.“ Was daran transfeindlich sein soll, wird nicht erläutert. Dafür wird aber behauptet, die Lesben, die am Dyke* March teilgenommen haben, hätten diesen blockiert. Tatsächlich waren es aber die Transaktivisten, die die Demo durch das Blockieren der Lesben aufhielten.

Georgine Kellermann postete auf X ein Foto von der Teilnahme am Dyke March Berlin 2024.

Organisatorin beschuldigt Lesben

Diese irreführende Darstellung wird auch von Manuela Kay, der Initiatorin des Dyke* March Berlin und Co-Verlegerin von Siegessäule und L-Mag, bei Radioeins verbreitet.

Kay macht in ihrer Erzählung aus einer kleinen Lesbengruppe mehrere Gruppen, die transfeindlich gewesen seien. Deren Ziel sei ihrer Meinung nach: Provokation und Spaltung. Kays Darstellung der Konflikte auf der Demo lässt es so aussehen, als ob feministische Lesben, Israelsolidarische und Israelhasser ähnlich stark auf dem Dyke* March vertreten gewesen wären.

Sowohl die feministischen Lesben als auch die israelsolidarischen beliefen sich auf eine geringe Anzahl, während mindestens 500 Antizionisten lautstark beteiligt waren. Die Lesbengruppe in der hinteren Mitte der Demo wird also aufgebauscht, während der judenfeindliche Mob an ihrer Spitze heruntergespielt wird.

Bemerkenswert zudem: Wesentliche Blockaden während der Demo wurden von den Hundertschaften an Israelhassern im zweiten, vorderen Block verursacht, weil sie regelmäßig stoppten, durch verbotene Parolen wie „From the river to the sea“ Polizeieinsätze verursachten und dadurch große Lücken zwischen Demospitze und dem Rest rissen.

Thematisierung von Lesbenfeindlichkeit und Antisemitismus unerwünscht

Die Reaktion der Organisation des Dyke* March ist dieselbe wie auf die Antizionisten: Nicht die Frauen- und Lesbenfeindlichkeit der queeren Szene ist das Problem, sondern deren Thematisierung. Wer es also wagt, das Lesbischsein als zentriert auf Frauen und den biologisch weiblichen Körper darzustellen, gilt als Provokateur und Spalter.

Dabei ist fraglich, ob eine dieser transaktivistischen Lesben jemals mit männlichen Körpern oder Genitalien verkehren wollen würde. Ihre Reaktion auf die lesbisch feministische Gruppe zeigt aber: Es ist ein Tabu, genau das auszusprechen. Dass die exklusive Hingezogenheit zum weiblichen Körper selbstverständlich als transfeindlich gilt, kann ebenso dem Erfahrungsbericht zum Dyke* March Berlin von Christian Bojidar Müller aus der Siegessäule entnommen werden.

Hier schreibt Müller über die Reaktion auf die lesbisch feministische Gruppe und ihre Transparente: „Andere Demonstrierende hielten ihre Trans*-Flaggen hoch, um die trans*-feindlichen und exkludierenden Transparente wie „My Vagina is a female place only“ zu überdecken.“ Dass auf dem Transparent tatsächlich „My Vulva is a female only space“ stand und es auch einen Unterschied zwischen Vulva und Vagina gibt, hier nur nebenbei.

Die Aussage dieses Kommentars ist: Eine Frau, die keinen männlichen Körper, keine Penisse an oder in sich haben will, ist transfeindlich. Damit gilt auch Lesbischsein als transfeindlich.

Weil die Thematisierung von geschlechtlicher Körperlichkeit in der queeren Szene vermieden wird, obwohl sie dennoch weiterhin die unausgesprochene Grundlage gelebter Sexualität bildet, stellen Frauen, die sich offen zum weiblichen Körper bekennen, den Stachel in der verlogenen Harmonie dar und müssen darum umso heftiger bekämpft werden. Sprüche wie „Terfs can suck my trans dick“ erfahren nicht den gleichen Widerspruch und dürfen ohne Probleme in der Demo gezeigt werden.

Mackersprüche durften auf dem Dyke March sichtbar bleiben (Foto: B.G.).

Der Transaktivismus besteht eben nicht daraus, Lesben grundsätzlich auszuschließen, sondern sich selbst mit aller Vehemenz in deren Sexualität zu integrieren. Die Reaktion auf die Gruppe beweist: Wer diesem Vorhaben keinen vorauseilenden Gehorsam zollt, sondern sich einfach auf den weiblichen Körper fokussiert, wird in dieser Szene bekämpft.


Chantalle El Helou, geb. 2000, B.A. in Politikwissenschaft, zurzeit Masterstudium in Gesellschaftstheorie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; auf Ideologiekritik fokussiert, Publikationen zur Kritik an Prostitution, Queertheorie und Antizionismus, engagiert im lesbischen Nachtleben Berlins.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.