Seit einem Jahr gibt es nun das Selbstbestimmungsgesetz, mit dem Trans- und Interpersonen ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ohne medizinische Nachweise auf dem Standesamt ändern können. Für viele Personen im queeren Aktivismus ist dieses Gesetz ein Erfolg, doch die gesellschaftliche Akzeptanz ist rückläufig.

6. November 2025 | Till Randolf Amelung
Im November ist das Selbstbestimmungsgesetz seit nunmehr einem Jahr in Kraft. Das noch von der Ampel-Koalition unter Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz beschlossene Gesetz ermöglicht es, Vorname und Geschlechtseintrag auf dem Standesamt zu ändern – ohne ein aufwändiges Gerichtsverfahren mit Gutachten oder anderweitigen medizinischen Nachweisen. Auch bei Minderjährigen entfällt dies. Kürzlich veröffentlichte Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen, dass im Zeitraum November 2024 bis Juli 2025 ungefähr 22.049 Menschen ihren Geschlechtseintrag ändern ließen. Damit liegen die Zahlen deutlich über den von der Ampel-Regierung geschätzten 4.000 Personen jährlich.
Von Beginn an war das Selbstbestimmungsgesetz von heftiger Kritik und Skepsis begleitet – darunter auch meiner. Hauptkritikpunkte waren – und sind nach wie vor – die Missbrauchsanfälligkeit, die fehlende Rechtsfolgenabschätzung und zu wenig Schutzmaßnahmen für Minderjährige. Gerade die Kontroverse um Rechtsextremist Liebich hat deutlich gemacht, welche Schwierigkeiten es geben kann, wenn offenkundige Verächter des bundesdeutschen Rechtsstaats Gebrauch von dieser Regelung machen.
Kolloquium zieht Bilanz
Am Montag wurde bei einer Veranstaltung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld Bilanz gezogen. Im kleineren Kreis haben Personen aus verschiedenen Verbänden referiert, wie erfolgreich sie das Selbstbestimmungsgesetz bewerten. Da die Veranstaltung nicht öffentlich war, sei so viel verraten: In der Summe haben alle das Selbstbestimmungsgesetz als längst überfällige Maßnahme bewertet und die bisherige Nutzung zeige, dass dieses Gesetz seinen Zweck erfülle. Für viele Trans- und Interpersonen sei es eine notwendige Erleichterung.
Allerdings hat der Fall Liebich auch unter Befürwortenden Diskussionsbedarf angeregt, wie sich solche Fälle in Zukunft möglichst vermeiden ließen – und zwar, ohne die Wiedereinführung von Plausibilitätsprüfungen mittels Gutachten oder auch vorgeschriebener Beratung. Erleichtert zeigte man sich zudem, dass die Initiative von Innenminister Alexander Dobrindt gescheitert ist, mit einer Verordnung Daten über vollzogene Änderungen nach dem Selbstbestimmungsgesetz automatisch an alle Behörden weiterzuleiten und jederzeit sichtbar zu machen.
Doch auch von den Teilnehmenden des Kolloquiums ist längst spürbar bemerkt worden, dass trotz dieses Erfolgs gegen Innenminister Dobrindts anvisierte Verschärfung des Selbstbestimmungsgesetzes, das gesellschaftliche Klima gegenüber Transfragen ungemütlicher wird. Vor allem die Frage, ob Geschlechtsidentität und das biologische Geschlecht gleichrangig zueinander sind, rückt zunehmend in den Fokus. In Großbritannien fiel kurz vor Ostern das international registrierte Urteil, dass sich die Bedeutung von „Geschlecht“ in Gleichstellungsgesetzen auf das biologische Geschlecht und nicht die Identität bezieht.
Außerdem wurde bemerkt, dass nach dem deutschen Erfolg mit dem Selbstbestimmungsgesetz anderswo Bestrebungen, vergleichbare Reglungen einzuführen, stagnieren oder erst gar nicht mehr aufkommen. Außerdem zeigt die Einführung von Gentests als Teilnahmevoraussetzung in Frauenwettbewerben durch mehrere Sportverbände, dass Biologie bei Geschlecht elementar bleibt.
Aktivismus gegen Selbstbestimmungsgesetz
Hier lohnt sich ein Blick auf Berichte über eine Tagung, die am Wochenende im beschaulichen Siegburg von dem Verein „Frauenheldinnen e.V.“ ausgerichtet wurde. Dort versammelten sich Frauen, deren Aktivismus sich gegen die Gleichsetzung von Geschlechtsidentität mit dem biologischen Geschlecht richtet und damit auch gegen das Selbstbestimmungsgesetz. Auch Prominenz, wie EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer oder die britische Aktivistin Kellie-Jay Keen-Minshull (bekannt unter dem Pseudonym „Posie Parker“) war in Siegburg zu Gast.
Während sich Schwarzer ausweislich eines Tagungsberichts im Blog Ruhrbarone zumindest für eine Rückkehr zum Transsexuellengesetz mit Begutachtungen aussprach, machten andere deutlich, dass sie jede Regelung für eine Änderung des amtlich registrierten Geschlechtseintrag ablehnen und generell in Abrede stellen, dass Geschlechtsangleichungen für manche Personen eine hilfreiche und unterstützenswerte Maßnahme sind.
Im Ruhrbarone-Beitrag lässt sich auch lesen, wie die in Siegburg eingeladenen britischen Aktivistinnen ihre Erfolge einordneten:
„Entscheidend fanden die Britinnen, dass normale Menschen, die Hausfrauen und Mütter, für den Kampf gegen die Entwertung des biologischen Geschlechts der Frau gewonnen werden konnten, da die Akademikerinnen kaum zu erreichen sind.“
Diese Kluft zwischen akademischen, linksprogressiven Blasen und denen, die sich darin nicht bewegen, sollte nicht unterschätzt werden. Zumal es genau dort relevant wird, wo man sich im öffentlichen Raum begegnet. Dies kann man aktuell an einem Beispiel aus den USA sehen, was gerade im Kurznachrichtendienst X zirkuliert: Tish Hyman, eine in Los Angeles lebende Sängerin, beschwerte sich dokumentiert per Video über einen biologischen Mann im Frauenumkleidebereich ihres Fitnessstudios – und bekam dafür vom Studiobetreiber die Mitgliedschaft gekündigt. Nun will sie auch andere Frauen mobilisieren, sich gegen das Primat der Geschlechtsidentität als Zutrittskriterium zu nach Geschlecht getrennten Räumen zu wehren.
Geschlechtsidentität reicht nicht
Fälle wie diese tragen dazu bei, Vorbehalte und Abwehr gegenüber Transpersonen und andere gender-nonkonforme Personen zu fördern. Und das liegt nicht ausschließlich an rechtsextremer Agitation, wie viele queere Verbände postulieren, sondern ist auch ein hausgemachtes Problem. Brianna Wu, eine US-amerikanische Transfrau, die sich zwischen den Extremen queeraktivistischer Negierung körperlicher Realitäten und transfeindlicher Rechten für einen moderaten Umgang mit Transfragen einsetzt, kommentierte den jüngsten Fall auf X:
„Als ich vor zwanzig Jahren meine Transition begann, führten Transsexuelle offene Gespräche und gaben sich gegenseitig Feedback darüber, wann wir weit genug fortgeschritten waren, um die Damentoilette zu benutzen. […] Denn vor 20 Jahren war der gesellschaftliche Vertrag mit den Frauen für die Gemeinschaft von großer Bedeutung. ‚Wir versuchen, so gut es geht, eine von euch zu sein.‘ Und die meisten Frauen erkannten diese Bemühungen und begegneten ihnen mit Freundlichkeit. […]
Heute scheint es, als seien beide Seiten dieses gesellschaftlichen Gefüges zerbrochen. Transpersonen und die Politik der Selbstidentifizierung haben zu einem Anspruchsdenken geführt, selbst bei Menschen, die sich nicht anpassen. Doch es gibt auch ein politisches Projekt, das uns verfolgt und erniedrigt. Wir alle müssen versuchen, friedlich zusammenzuleben.“
In Wus Beitrag steckt viel Bedenkenswertes, insbesondere für den Transaktivismus. Es war ein Fehler, zu propagieren, ausschließlich die Geschlechtsidentität entscheide und man müsse rein gar nichts tun, um auch nur ansatzweise im sozialen Gefüge plausibel zu sein. Wer Validierung von der Umwelt verlangt, kann dies nicht ohne eigene Leistung dafür tun – sprich: Passing durch Optik und Verhalten ist unumgänglich. Alles andere mag zwar bei AkademikerInnen auf Gegenliebe stoßen, die sich für radikale Theorien Judith Butlers begeistern, wird aber zwangsläufig scheitern, sobald es auf Schutz- und Intimsphärebedürfnisse der vielen Frauen außerhalb des Hochschul- und NGO-Betriebs trifft.
Insofern wird der Transaktivismus in den kommenden Jahren Herausforderungen zu bewältigen haben, sich im komplexen Spannungsfeld zwischen Anerkennung der Relevanz des biologischen Geschlechts sowie Berücksichtigung der Geschlechtsidentität zu bewegen. Ohne die Berücksichtigung von Aspekten, die sich aus dem biologischen Geschlecht ergeben, wird jedoch keine gesellschaftliche Befriedung um die Transfrage erreicht werden können.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.