Eine neue Broschüre vom Bundesverband Trans* und der Amadeu-Antonio-Stiftung möchte für Zusammenhänge zwischen Transfeindlichkeit und Rechtsextremismus sensibilisieren. Doch aufgrund eines ignoranten Umgangs mit Fakten ist fraglich, ob diese Publikation ihre Ziele erreichen kann.

Rotes Neonlicht, Toiletten-Piktogramme für Mann und Frau, Symbolbild für Artikel "Mit Faktenfreiheit gegen Transfeindlichkeit und Rechtsextremismus"
Biologische Geschlechter – es gibt nur zwei davon beim Menschen (Foto von Nicolas COMTE auf Unsplash).

18. Mai 2025 | Till Randolf Amelung

Wie hängen Transfeindlichkeit und Rechtsextremismus miteinander zusammen und warum ist das demokratiegefährdend? Und: Gibt es überhaupt einen Zusammenhang? Das will eine Broschüre erklären, die Anfang Mai vom Bundesverband Trans* (BVT*) und der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) veröffentlicht wurde. Doch es ist fraglich, ob die Broschüre ihr Ziel erfüllen kann, denn es gibt schon einen grundsätzlichen und folgenschweren Fehler: Naturwissenschaftliche Fakten werden zu einem „Glauben“ und Bestandteil rechtsextremer Ideologien erklärt.

In diesem Sinn heißt es auf Seite 10 der Broschüre:

„Der Glaube an eine ‚natürliche Zweigeschlechtlichkeit‘, d. h. dass es aus biologischer Sicht ausschließlich Männer und Frauen gäbe, spielt in extrem rechten Ideologien eine zentrale Rolle. Aus diesem Glauben werden klar definierte Rollen für Männer und Frauen abgeleitet, die als unveränderbar gelten. Männlichkeit wird gegenüber Weiblichkeit aufgewertet. Diese Ungleichwertigkeit von Männlichkeit und Weiblichkeit ist eine Grundlage der gesellschaftlichen und politischen Ordnung in extrem rechten Ideologien.“

Ideologie vs. Fakten

Die biologische Zweigeschlechtlichkeit ist kein Glaube, sondern Fakt. Für die Definition ist nach wie vor entscheidend, ob ein Organismus Spermien oder Eizellen produziert. Das bestätigen viele MedizinerInnen und NaturwissenschaftlerInnen, die zunehmend aufgrund der moralisch aufgeladenen Ideologisierung verzweifeln, da man dadurch ungerechtfertigt politisch etikettiert wird.

Die neue Broschüre vom Bundesverband Trans* und der Amadeu-Antonio-Stiftung

An die Behauptung, die biologische Zweigeschlechtlichkeit sei ein Glaube, schließt sich im oben zitierten Broschürentext sogleich der nächste Fehler an: Denn rechtsextreme Geschlechterbilder beruhen nicht auf einem Glauben, sondern auf weltanschaulich hergeleiteten Interpretationen der biologischen Tatsachen. Die definierten Rollenvorstellungen ergeben sich aus den biologischen Reproduktionsfunktionen.

Das Gegenmodell, was vor allem von queeraktivistischer Seite verbreitet wird, will das biologische Geschlecht als Spektrum darstellen und eine selbstbestimmte und unveränderliche Geschlechtsidentität , die völlig unabhängig vom biologischen Geschlecht ist, als definitorische Richtschnur vorgeben. Problematisch ist, dass eine solche Geschlechtsidentität wissenschaftlich bislang weder hinreichend bewiesen noch klar definiert ist.

Ilse Jacobsen, Professorin für Mikrobielle Immunologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, gehört zu der langsam wachsenden Zahl an Fachleuten, die öffentlich gegen falsche Darstellungen Position beziehen. Gegenüber dem Humanistischen Pressedienst (hpd) erklärt sie die derzeitige Diskurslage:

„Das Thema biologisches Geschlecht ist Teil der aktuellen Diskussionen um Geschlechtsidentität und den Umgang mit Personen, die sich nicht als ihr biologisches Geschlecht identifizieren. Diese Diskussionen werden oft sehr emotional und unerbittlich geführt, auch mit Argumenten in Bezug auf Biologie, die einfach faktisch falsch sind. Das schadet nicht nur der Diskussion, sondern gerade auch den Betroffenen.“

Rechtsextreme instrumentalisieren Biologie

Es ist nicht ein Glaube, aus denen Rechtsextreme ihre Geschlechterbilder ableiten, sondern biologische Fakten werden für ihre Ideologie instrumentalisiert. Diese Klarstellung ist notwendig, um angemessen mit gesellschaftlich brisanten Themen und Fragestellungen überhaupt umgehen zu können, wie auch Jacobsen gegenüber dem hpd sagte:

„Eine sachliche, zielführende Diskussion, gerade zu emotionalen gesellschaftlichen Themen, ist aber nur dann möglich, wenn Fakten als Fakten akzeptiert werden.“

Doch im Akzeptieren von Fakten mangelt es der Broschüre von BVT* und AAS auch an anderen Stellen – insbesondere, wenn erklärt werden soll, was Transfeindlichkeit ist. Als von rechtsextremen Kreisen verbreitete „Desinformation“ gilt folgendes:

„Trans*geschlechtlichkeit sei ein ‚Trend‘ oder ‚Hype‘, der besonders Kinder (und Jugendliche) beeinflussen würde. Häufig wird diese Erzählung gemeinsam mit Falschinformationen über die medizinische Versorgung trans* und nicht-binärer Kinder und Jugendlicher genutzt, um sich gegen die Menschenrechte von trans* Personen ganz allgemein zu stellen. Beispielhaft zeigt sich dies an Behauptungen, dass durch das Selbstbestimmungsgesetz Kinder und Jugendliche zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen (wie Hormontherapien und/oder operativen Eingriffen) gedrängt würden. Dabei regelt das Selbstbestimmungsgesetz ausschließlich den Rahmen von Namens- und Personenstandsänderungen und trifft keinerlei Regelungen zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen oder anderen medizinischen Fragen.“

Hierbei betreibt die Broschüre selbst Desinformation, denn in der Medizin ist international unstrittig, dass die Zahl transitionswilliger Minderjähriger in einem Umfang angestiegen ist, der sich nicht allein mit besserer Aufklärung erklären lässt. Hinzu kommt, dass das von Transaktivistas bevorzugte Behandlungsmodell für diese Kinder und Jugendlichen mit frühestmöglicher sozialer Transition und medikamentösen Eingriffen wie Pubertätsblockern eine unzureichende Evidenzbasis hat – d.h., die Studienlage ist zu schwach, um zu belegen, dass es vor allem nützt und kaum schadet.

Verschwiegene Probleme um gender-affirmativen Ansatz

Im Ausland wenden sich deshalb immer mehr Staaten von diesem als „gender-affirmativ“ bekannten Ansatz wieder ab. In Großbritannien hat der Cass-Report eindrücklich gezeigt, dass im gender-affirmativen Modell besonders vulnerable Kinder und Jugendliche gefährdet wurden, wenn ihre geäußerte Geschlechtsidentität ohne sorgfältige Diagnostik anderer möglicher Ursachen für das Unbehagen mit den körperlichen Geschlechtsmerkmalen affirmiert, also bestätigt wurde. Gerade Mädchen und Jungen mit einer homosexuellen Entwicklung können oft auch Geschlechtsdysphorie haben und sollten nicht voreilig als Trans behandelt werden.

Ebenso wiesen viele britische Kinder und Jugendliche laut Cass-Report schwere psychische Erkrankungen, Symptome von Autismus, posttraumatische Belastungsstörungen auf oder stammten aus biografisch sehr prekären Verhältnissen. Nun wird die Versorgung für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie umgestaltet. Künftig soll eine Diagnostik immer auch ein Screening auf Autismus einschließen und psychotherapeutische Interventionen die erste Wahl sein, anstatt gleich Pubertätsblocker einzusetzen.

Doch nicht nur Großbritannien, auch Länder wie Schweden, Dänemark, Finnland haben innerhalb der vergangenen fünf Jahre eine vergleichbare Kehrtwende vollzogen. Und in noch mehr Ländern ist aufgrund der erheblichen Schwächen des gender-affirmativen Models mindestens eine Diskussion um dieses entbrannt.  Der jüngste Staat in dieser Reihe ist Chile, wo nun eine Untersuchungskommission empfohlen hat, das Behandlungsprogramm für Transitionen von Kindern und Jugendlichen auszusetzen. Laut Medienberichten hat die Abgeordnetenkammer per Abstimmung den Bericht dieser Kommission gebilligt.

Mindestens ebenso Desinformation ist in der Broschüre das Verleugnen von psychologischen Prozessen von Kindern und Jugendlichen in Bezug auf eine Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags mittels Selbstbestimmungsgesetz. Dieses Gesetz regelt zwar in der Tat nicht den Zugang zu medizinischen Behandlungen, aber die einzelnen Transitionsschritte (sozial, rechtlich und medizinisch) können nicht isoliert voneinander betrachtet werden.

Jeder Schritt erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Schritte gegangen werden. Zudem kann es gerade Kindern und Jugendlichen schwerfallen, von bereits getätigten Schritten wieder zurückzugehen, da man in diesem Alter auch besonders sensibel für den Wunsch nach sozialer Anerkennung und der Angst vor ihrem Verlust ist.

Trans-Lobby nur Verschwörungsglauben?

Auch der nächste Vorwurf in der Broschüre, Verschwörungsideologien zu verbreiten, muss kritisch unter die Lupe genommen werden:

„Trans* Personen hätten extrem viel Macht und seien eine im Geheimen agierende Gruppe, die Weltgeschehnisse steuern wolle – dies knüpft an antisemitische Erzählungen an.  Diese verschwörerische Erzählung einer einflussreichen ‚Trans-Lobby‘ wird auch immer wieder als Grund dafür genannt, weshalb es heute mehr trans* Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene gäbe: Sie seien der ‚gesteuerten Umerziehung‘ durch die ‚Trans-‘ und ‚Pharma-Lobby‘ ‚zum Opfer gefallen‘.“

Sicherlich gibt es manche Menschen, die so grob schnitzen und damit den Gegenstand verfehlen. Dennoch hat der Vorwurf gegen Transverbände, einflussreich zu sein, einen wahren Kern: Verbände wie der Bundesverband Trans* e.V. oder die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) e.V. bekommen seit Jahren finanzielle Zuwendungen aus staatlichen Töpfen und haben verstärkt die Aufmerksamkeit der Politik. Einen Eindruck darüber gibt die Suche im Lobbyregister des Deutschen Bundestags. Übrigens ist auch die in diesem Artikel kritisierte Broschüre mit finanziellen Mitteln aus dem Förderprogramm „Demokratie leben“ ermöglicht worden.

Populisten profitieren von Schwachstellen

Selbstredend sind auch rechtsextreme und -populistische Akteure längst über all diese Vorgänge informiert und wissen daher um offensichtliche Schwachstellen, wo sie ihren Hebel ansetzen können. Vor allem der desaströse Umgang mit wissenschaftlich belegbaren Fakten, für den hier BVT* und AAS mit ihrer Broschüre stellvertretend stehen, kann im Kampf gegen Rechtspopulismus und -extremismus zu einem Rohrkrepierer für das linksprogressive Lager werden.

Auf diese Weise können die PopulistInnen und ExtremistInnen den Fuß in die Tür des gesellschaftlichen Mainstreams bekommen, weil sie nur wissenschaftliche Fakten nach vorne stellen brauchen. Diese fungieren dann als Türöffner, um das geschlechterpolitisch Ideologische des rechten Rands hinterherziehen zu lassen. Denn je weiter sich das linksprogressive Lager von den Fakten entfernt, desto instabiler wird deren gesamte Verteidigungslinie.

Die Motive von Transaktivistas, solche Positionen zu vertreten, sind zumindest insofern nachvollziehbar, als dass sie ideologisch an gender-affirmativen Behandlungsgrundsätzen sowie am Selbstbestimmungsgesetz festhalten. Doch Organisationen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, gefährden dadurch erheblich ihre bisherige Autorität. Wenn man auch noch all diejenigen braun anmalen will, die auf die Faktenlage verweisen, wird man keine Sensibilität gegenüber Rechtextremismus erhöhen, sondern eher Gleichgültigkeit verstärken. Ob das im eigenen Interesse ist?


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.