Im Podcast „Flipside“ mit der ehemaligen österreichischen Nationalratsabgeordneten Faika El-Nagashi als Host berichten Eltern und ExpertInnen aus Psychologie sowie der Lesben- und Schwulenbewegung, welchen Schwierigkeiten man ausgesetzt ist, wenn man einer schnellen Bestätigung einer Transidentität bei Kindern und Jugendlichen skeptisch gegenübersteht.

Frau hat die Augen mit Haaren bedeckt und Kopfhörer auf, Symbolbild für den Artikel "Flipside - ein Podcast über die Schattenseiten des gender-affirmativen Modells"
Podcast „Flipside“: Man sollte sich auch die andere Seite zumindest einmal anhören (Foto von Elice Moore auf Unsplash).

21. April 2025 | Till Randolf Amelung

Die im März veröffentlichte medizinische Leitlinie S2k-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung“ soll nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz und in Österreich Anwendung finden. Kern dieser Leitlinie ist, dass Minderjährige, die eine vom biologischen Geschlecht abweichende Geschlechtsidentität äußern, darin möglichst bestätigt werden sollen – auch mit Maßnahmen wie Medikamenten zur Pubertätsblockade und gegengeschlechtlichen Hormonen.  

Kritik in Deutschland, Österreich und der Schweiz

In den DACH-Ländern sind jedoch vermehrt kritische Stimmen zu vernehmen. In Österreich gehören dazu Faika El-Nagashi, lesbische Politikerin und ehemalige Nationalratsabgeordnete für die Grünen, und der Verein Europäische Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit Österreich (EGGÖ). El-Nagashi und EGGÖ haben nun eine Kooperation gestartet und eine vierteilige Podcast-Miniserie veröffentlicht.

Flipside, wie der Podcast heißt, will die andere Seite der Medaille vom gender-affirmativen Modell beleuchten und lässt drei Elternpaare erzählen, „was passiert, wenn ihre Kinder plötzlich sagen: ‚Ich bin trans.‘“  Diese berichten von „überforderten Schulen, einseitigen Beratungsstellen, ideologisierte Therapeutinnen und Therapeuten“, für die es keine Alternative zum affirmativen Modell gibt. 

In zwei vorgestellten Fallgeschichten geht es um biologische Mädchen, in der dritten um einen biologischen Jungen. Allen Fällen ist gemeinsam, dass sie im Jugendalter begonnen haben, sich als trans zu identifizieren und sie bereits vor diesem Coming-Out teils schwerwiegende psychische Erkrankungen aufwiesen. Social-Media-Konsum während der Corona-Lockdowns war bei allen drei Jugendlichen ebenfalls ein wichtiger Katalysator. Keiner der drei Jugendlichen war laut Schilderungen ihrer Eltern vorher mit Geschlechtsdysphorie, also einem tiefen Unbehagen mit den körperlichen Merkmalen des biologischen Geschlechts aufgefallen.

Zweifelnde Eltern und berechtigte Kritik

Während alle der von El-Nagashi interviewten Eltern ihren Kindern helfen wollten, aber erhebliche Zweifel hatten, ob eine unmittelbare Affirmation der geäußerten Geschlechtsidentität dem Wohl ihres Kindes dienen würde, waren es oft die Schulen, in denen zuerst Fakten geschaffen wurden. Vor allem, wenn sich das Kind in der Schule selbst outete. Eltern, die hier auf die Bremse getreten sind, hatten gegenüber der Schule zumeist einen schweren Stand.

Allerdings war es auch schwierig, Ärzte und Psychologen zu finden, die beim Signalwort „trans“ nicht sofort jegliche Ursachenerkundung einstellten. In einem der drei vorgestellten Fälle begann es bei einem biologischen Mädchen mit einem Trans-Coming-Out im Alter von zwölf Jahren und setzte sich mit einer schweren Anorexie fort. Die Magersucht wurde zwar behandelt, aber weil die Eltern in der Transfrage nicht kooperativ waren, wurde das Mädchen aus ihrer Obhut genommen und in eine Jugendhilfeeinrichtung gegeben.

Es wurde gar gerichtlich erwirkt, dass die Betreuer in der Jugendhilfe medizinische Entscheidungen wie gegengeschlechtliche Hormoneinnahme und Operationen anstelle der Eltern treffen dürfen. Doch nichts dergleichen wurde eingeleitet und eines Tages begann der Teenager, sich mit seinem biologischen Geschlecht zu arrangieren und bedankte sich schließlich bei ihrer Mutter, die besonders geblockt hatte.

Es mögen Schilderungen wie diese sein, an denen die Warnungen von kritischen Ärzten wie beispielsweise Florian D. Zepf vom Universitätsklinikum Jena hier im Blog Konturen bekommen. Zepf bemängelt am affirmativen Modell, „dass es immer noch keine klaren Beweise für dauerhafte und wesentliche Verbesserungen bei Minderjährigen mit solchen geschlechtsbezogenen Problemen gibt.“ Obwohl das affirmative Modell und seine Komponenten wie Pubertätsblocker zum gegenwärtigen Zeitpunkt als experimentell eingestuft werden müssen, wollen TransaktivistInnen es aber zum Standard machen.

Siegeszug der Transaktivisten

Zum Abschluss der Podcastreihe gibt es ein Gespräch mit Kurt Krickler, einem Veteranen der österreichischen Lesben- und Schwulenbewegung sowie der Psychoanalytikerin Bettina Reiter und Elfi Rometsch von EGGÖ. Neben den stellenweise erschütternden Schilderungen der Eltern gibt es auch in diesem Gespräch sehr interessante Einblicke. Insbesondere Krickler, der aufgrund seines über vierzigjährigen politischen Engagement auch international gut vernetzt war und ist, schildert, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass Lesben- und Schwulenorganisationen das Transthema so aufgenommen hat.

Ein Schlüsselmoment sei, so Krickler, die Weltkonferenz der ILGA (The International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, and Intersex Association) 1995 in Rio de Janeiro gewesen, wo das Transthema sehr stark in die Lesben- und Schwulenbewegung getragen worden sei. In der Folge engagierten sich Transpersonen, die damals vor allem klassische Transsexuelle mit sozialer und operativer Angleichung waren, zunehmend mehr in lesbischen und schwulen Vereinen, die sich dann auch on LGB zu LGBT erweitert hatten. Laut Krickler sei das eine logische, nicht antagonistische Entwicklung gewesen. Später sei noch Intersexualität als Thema dazugekommen. Die heutige Begriffs- und Ideenwelt mit vielen Geschlechtern und Nonbinarität habe sich aber erst ab den 2010er Jahren entwickelt.

Zusammengefallen sei das mit immer mehr fundamentalen gesellschaftlichen Fortschritten für Lesben und Schwule, die für ihre organisatorischen Strukturen neue Themen brauchten, um ihren (staatlich subventionierten) Erhalt begründen zu können. Für den Transaktivismus war das eine sehr komfortable Lage, so an bereits etablierte Strukturen andocken zu können, die Personal, Räumlichkeiten und eben staatliche finanzielle Förderung  –  nicht zu vergessen – auch Reputation beinhaltete.

Krickler führt weiter aus, dass sich dadurch auch die Inhalte zu verändern begannen und alles rundum „inklusiv“ hinsichtlich Trans und Inter sein musste. Eigenständige homosexuelle Positionen seien zunehmend verdrängt worden. Das alles habe auch Auswirkungen auf die Lobbyarbeit, die Beratung und andere Bereiche gehabt, in denen es um LGBTIQ oder Queer geht – bis dorthin, dass akademische Felder wie insbesondere Medizin, Psychologie oder Pädagogik im aktivistischen Sinne beeinflusst wurden.

Eindrücklich sind auch die Schilderungen von Bettina Reiter und Elfi Rometsch, den Mitgründerinnnen des Vereins EGGÖ. Beide sagen übereinstimmend, dass sie sich nur deshalb öffentlich kritisch äußern könnten, weil sie pensioniert seien. Unter denjenigen, deren berufliche Karrierewege noch nicht erfolgreich am Ziel angelangt seien, würde sich nahezu niemand öffentlich zur Transthematik kritisch positionieren – aus Angst vor nachteiligen Konsequenzen.

Empfehlenswerter Podcast

Dem Podcast gelingt es, in vier Teilen erstmals für den deutschsprachigen Raum gebündelt die andere Seite der Medaille des gender-affirmativen Modells darzustellen. Das liegt auch an der inhaltlich kompetenten, strukturierten und empathischen Gesprächsführung von Host Faika El-Nagashi.  Es kommen nunmehr die Geschichten vor, die anderswo zugunsten einer glatten und geschönten Version von Transitionen unter den Teppich gekehrt werden.

Niemand sagt, dass man die schönen Geschichten gar nicht erzählen sollte, aber man muss wenigstens auch die nicht so schönen kennen. Einem differenzierteren gesellschaftspolitischen Diskurs kann das nur nützlich sein und wichtig für das Wohl von Kindern und Jugendlichen ist es allemal. Darauf sollten sich auch sowohl KritikerInnen und BefürworterInnen des affirmativen Ansatzes einigen können.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.