Warum Folsom Europe alle angeht, und wieso queeres Leben ohne Fetisch unvollständig erzählt wäre. Ein Gastbeitrag.

27. August 2025 | Denis Watson
Ja, Ich gebe es zu, wenn man „Folsom Europe“ hört, denken viele sofort an halbnackte Männer in Leder und Latex, mit Hundemasken auf der Straße. Berlin im Ausnahmezustand quasi, Sodom und Gomorrha auf der Fuggerstraße. Klingt spektakulär, ist aber nur die halbe Wahrheit.
Denn was hier im Spätsommer jedes Jahr in der Fuggerstraße stattfindet, ist viel mehr als eine schrille Freakshow für Voyeur*innen. Es ist ein internationales Treffen einer Community, die sonst oft im Schatten steht: Menschen, die Sexualität nicht nur im Schlafzimmer, sondern auch als Ausdruck von Identität, Nähe und Solidarität verstehen. Kink, Fetisch, BDSM, dass sind Begriffe, die viele mit Pornoklischees verbinden, sind für uns Teil eines gelebten queeren Spektrums.
Und genau darum geht es: Queeres Leben ist vielfältig und Fetisch gehört halt auch dazu. Wer von queerer Sichtbarkeit spricht, sollte neben den Regenbogenfahnen uund Prideparaden auch diejenigen, die sich in Leder, Gummi oder Uniformen zuhause fühlen nicht vergessen. Denn auch wir fordern nichts anderes ein als alle anderen: das Recht, offen zu leben, wie wir sind.
Folsom Europe ist dabei mehr als nur ein Straßenfest. Es ist eine Plattform für Sichtbarkeit. Jedes Jahr kommen Tausende aus aller Welt nach Berlin. Sie bringen ihre Geschichten mit, ihre Kulturen, ihre Lust und finden hier einen Safe Space, an dem sie nicht schief angeschaut werden, sondern Schulter an Schulter feiern können. Die Botschaft: Du bist nicht allein.
Und weil es nicht nur ums Feiern geht, sammeln wir jedes Jahr Spenden an den Eingängen. Hunderttausende Euro sind so über die Jahre zusammengekommen. Geld, das in Gewaltprävention, Aidshilfe, Aufklärungskampagnen fließt. Das mag weniger sexy klingen als ein Lederharnisch, ist aber mindestens genauso wichtig.
Ja, wir sind laut, manchmal provokant und natürlich immer gut poliert. Aber vor allem sind wir eine Community, die füreinander da ist. Die Bilder von Männern in Harnesses, von Pups in Hundemasken oder von Paaren in Latex sind schön fürs Auge, aber die Substanz liegt darunter: Zusammenhalt, Solidarität, Sichtbarkeit.
Warum also sollte Folsom Europe alle angehen? Weil es zeigt, dass Freiheit nicht verhandelbar ist. Dass queeres Leben immer mehr ist als das, was man auf den ersten Blick sieht. Und dass unsere Gesellschaft genau davon profitiert, wenn auch jene sichtbar werden, die sonst am Rand stehen.
Fetisch ist nicht der Gegensatz zu Politik – er ist politisch. Er erinnert daran, dass Körper, Lust und Lebensformen nicht der Norm gehorchen müssen, um wertvoll zu sein. Und er lädt alle ein, sich darauf einzulassen. Vielleicht mit Verwunderung, vielleicht mit einem Schmunzeln, aber hoffentlich immer mit Respekt.
Folsom Europe ist, um es mit einem Augenzwinkern zu sagen: The sexiest social. Aber es ist eben auch ein politisches Statement. Und das geht uns alle an.
Denis Watson, geb. 1987, Grafiker und Vorstand des Folsom Europe e. V., eines der größten europäischen Fetisch-Events mit starkem Fokus auf queere Community-Arbeit; er engagiert sich aktiv für die Sichtbarkeit und Vernetzung queerer Subkulturen, insbesondere im Bereich Fetisch und Puppy Play; seine Arbeit umfasst Grafikdesign, PR und die Entwicklung von Merchandising-Strategien, zudem beschäftigt er sich mit der Darstellung queerer Ästhetik in visuellen Medien.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.