Am heutigen Sonntag endet das Folsom Europe Straßenfest in Berlin – das Hochamt für die Fetischcommunity. Auch die Schwestern vom Orden der Perpetuellen Indulgenz, die seit der Aidskrise für karikative Projekte in der Community sammeln waren wieder dabei. In einer sehr persönlichen Rede hat der Schauspieler Gustav Peter Wöhler berichtet, welche Bedeutung Folsom und die Schwestern für ihn als schwuler Mann haben.

Porträtfoto von Gustav Peter Wöhler (Fotografin: Jeanne Degraa), Symbolfoto für Text "Folsom und Schwestern der Perpetuellen Indulgenz: Hommage an zwei Institutionen schwuler Kultur"
Gustav Peter Wöhler (Foto: Jeanne Degraa).

Redaktionelle Vorbemerkung: Dieser Text dokumentiert die Rede von Gustav Peter Wöhler, die er bei der Release-Party des Jahrbuch Sexualitäten 2025 am 18. Juli in der taz Kantine gehalten hat. Darin würdigt er als Erstleser die Essays „Ist der Ledermann noch zeitgemäß?“ von Denis Watson und „Schluss mit der Schuld!“ von Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d`Or.

31. August 2025 | Gustav Peter Wöhler

Wenn du eine Community sichtbar machen willst, musst du ihr eine Bühne geben.

Alain Rappsilber, Box Magazin Nr. 325, September 2020

Als mein schwules Erwachen 1978 begann, waren Lederkerle für mich das Non plus Ultra ! Ich wollte so einem Mann gehören, ein devoter Meisterschüler meines Herrn werden. Aufgewachsen in dörflicher Ödnis, wo der Bauer in der Nachbarschaft mit seinen Gummistiefeln schon Erektionen hervorrief, kam ich dann 1982 nach Hamburg. Hier liefen die Leder-und Fetischkerle mutig und selbstbewusst durch die Lange Reihe oder die Talstrasse. Ein El Dorado.

Doch habe ich es bis heute nicht einlösen können, mich mit Leder oder Gummi einzukleiden. Da war zuviel Angst und Scham, trotz meines offensiven Auftretens als Schwuler. Ein Lederschwuler war noch einmal ’ne Ecke höher angesiedelt , jedenfalls für mich. Und mein damaliger Regisseur Peter Zadek schrie seine Kostümbildnerin an, als sie es wagte mich in einem Shakespeare Stück, in eine enge Lederchaps zu zwängen: „Ich will auf dieser Bühne keine faschistischen Klamotten sehen!“

Ich las dann Eppendorfers: „Der Ledermann spricht mit Hubert Fichte“. Beide durfte ich noch in Hamburg zu ihren Lebzeiten kennenlernen. Der Ledermann ist ein Kerl, ein Mannsbild ein weicher und sensibler Mensch.

Nicht nur kinky Straßenparty

Und Folsom Street Fair oder Folsom Europe ist nicht bloß eine kinky Straßenparty für Fetisch Fans und ihre Voyeure, die sich anschließend darüber aufregen, dass ihre Fantasien nicht eingelöst wurden bzw. dass ja auch kleine Kinder zusehen mussten und ihre Eltern jetzt damit löchern, auch so eine schöne Hunde-oder Pferdemaske zu Weihnachten auf dem Gabentisch vorzufinden.

Es ist ein Fest, um das Leben zu feiern, das Leben, das vielen queeren Menschen durch die HIV und AIDS Jahre genommen wurde. An diese Menschen zu erinnern und der Prävention unter die Arme zu greifen, wurde die „Folsom Street Fair“ 1984 in San Francisco ins Leben gerufen. Patrick Toner, einer der Mitbegründer sagte es in seinen Worten:

„Es war ein Statement: Wir sind hier, wir sind laut und wir lassen uns nicht auslöschen, weder durch eine Krankheit noch durch die Politik.“

Dass es vor allem Leder und Fetisch Schwule waren, die sie gegründet haben lag wohl auch an der traurigen Situation, dass aus diesen Kreisen, die wohl häufigsten HIV- und Aidsfälle und -tode beklagt werden mussten.

Folsom Europe wurde 2004 erstmals in Schöneberg veranstaltet. Es hat sich im Lauf der Jahre zu einem vielfältigen Schauplatz unterschiedlichster Gruppen und Fetische entwickelt und zeigt die Bandbreite und Lust sexueller Identitäten auf, ohne dabei die politischen und sozialen Aspekte, die damit zusammenhängen, unter den Tisch zu kehren. Ich danke Denis Watson sehr für seinen Beitrag im Jahrbuch Sexualitäten 2025. Ich habe vieles neu erfahren. Viele Klischees wurden aufgeklärt und entwirrt

Cover Jahrbuch Sexualitäten 2025

Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von Jan Feddersen, Marion Hulverscheidt und Rainer Nicolaysen.

Mit Beiträgen von: Kerstin Söderblom, Dinçer Güçyeter, Zaal Andronikashvili, Manuela Torelli, Chantalle El Helou, Till Randolf Amelung, Ioannis Dimopulos, Julia Kaiser, Denis Watson, Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater dʼOr OSPI, Karl-Heinz Steinle, Norbert Finzsch, Aaron Gebler, Werner Renz, Clemens Schneider, Vojin Saša Vukadinović  und Alexander Zinn. 232 S., gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-8353-5917-8, 34,00 Euro.

Perpetuelle Indulgenz und schwules Selbstbewusstsein

Ebensolchen Dank spreche ich Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d’Or vom Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz für ihren Beitrag in diesem Jahrbuch aus.

Auf keinem Folsom, auf keinem CSD, auf so gut wie allen schwulen Festivitäten und queeren Demonstrationen trifft man sie an und sie geben mir jedes Mal das Gefühl, am richtigen Ort zu sein. Ihre Art mit den Menschen das Fest der Liebe, des schwulen Selbstbewusstseins, der Würde und des politischen Zusammenhalts zu feiern, zu leben, zu lieben, packt mich jedes Mal an der Wurzel meiner eigenen Empathie.

Perpetuelle Indulgenz: dauerhafte Gnade, Güte, Nachsicht, Nächstenliebe. Diese Nonnen bezeichnen sich auf ihrer Website als aktivistisch, spirituell und ein bisschen verrückt. Sie wollen uns die „Schuld“ nehmen, uns mit Ihrer Liebe und Verbundenheit, das Recht auf Lust und Freude an der schwulen, queeren Sexualität wiedergeben oder den ersten Schritt dazu, zu wagen.

Und sie erinnern uns mit jeder Geste und mit jeder Erscheinung daran, all die Bedürftigen und Kranken nicht zu vergessen und die vielen Freunde, PartnerInnen, LiebhaberInnen, die an AIDS sterben mussten, zu ehren und sie durch unsere Liebe und Gedanken unter uns zu wissen. Gegründet wurde der Orden 1979 in San Francisco und wurde schnell zu einem Bestandteil der Folsom Street Fair. Mittlerweile hat sich der Orden über die ganze Welt verbreitet.

Ihre farbenfrohe Erscheinung ist bis heute überall auf der Welt bei schwulen Festen und Demos nicht mehr wegzudenken. Ihre weiß geschminkten Gesichter symbolisieren den Tod und die bunten bis schrillen Ornate, die sie tragen, und die in jedem Land, in dem ihr Orden existiert, anders ausfallen, das Leben und die Freude und Lust. Ihre Spiritualität zeugt von allumfassender Liebe und Verständnis.

Selbstverständlich wird auf all diesen Events fleißig die Kollekte gesammelt, die 100 Prozent an die bedürftigen Stellen weitergeleitet wird. Die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz sind anerkanntes Mitglied der Deutschen Aidshilfe e.V. und des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Landesverband Berlin e.V.

Wer jetzt auf den Gedanken kommt, eine dieser Nonnen zu werden, sollte schnellstens dieses Buch kaufen und Schwester Daphnes Beitrag lesen oder ins Gespräch mit Schwester Daphne Sara Maria Sanguina Mater d`Or kommen. Es wird ein harter, entbehrungsreicher Weg, um in diesen Orden einzutreten. Prüfungen und Exerzitien wechseln einander ab, doch wer durchhält wird von Liebe und Glückseligkeit durchströmt und bekommt auf jedem CSD-Truck den besten Platz. Umsonst!


Gustav Peter Wöhler ist ein deutscher Schauspieler, Sänger und Hörspielsprecher. Als Theaterschauspieler hat er mit Regisseuren wie Claus Peymann und Peter Zadek zusammengearbeitet. Im Fernsehen ist er vor allem durch Krimiserien bekannt geworden. 2013 erhielt er den Deutschen Hörbuchpreis als Bester Interpret. Mit seinem Mann Albert Wiederspiel lebt er in Berlin. Im Februar 2021 nahm er an der Initiative #actout im SZ-Magazin mit 184 anderen queeren SchauspielerInnen teil.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.