Seit Mai 2024 sind in Großbritannien Verordnungen von Pubertätsblockern an Minderjährige verboten. Dieses Verbot umfasst auch privatärztliche Versorgung und eine Beschaffung über ausländische Quellen. Nun wurde das Verbot, was noch die letzten Tory-Regierung erlassen hat, von der neuen Labour-Regierung auf unbestimmte Zeit verlängert. Damit folgen sowohl Linke als auch Konservative der Vernunft.
13. Dezember 2024 | Till Randolf Amelung
In Großbritannien hat das Gesundheitsministerium nun ein bereits im Mai 2024 erlassenes Verbot von Pubertätsblockern auf unbestimmte Zeit verlängert. Die Labour-Regierung setzt den bereits unter der letzten Tory-Regierung eingeschlagenen Kurs gegenüber Pubertätsblockern fort. Damit reagiert das Ministerium auf Expertenempfehlungen, darunter die der Kommission für Humanarzneimittel. In einem unabhängigen Gutachten befanden die Kommissionsmitglieder, dass die fortgesetzte Verschreibung von Pubertätsblockern an Kinder derzeit ein inakzeptables Sicherheitsrisiko darstelle.
Pubertätsblockerverbot schließt Schlupflöcher
Das nun entfristete Verbot will vor allem Lücken durch privatärztliche Verordnungen schließen. Im Versorgungssystem des National Health Service (NHS) werden Pubertätsblocker seit März 2024 nicht mehr verschrieben. Ein Ausweichen auf Privatärzte oder gar ins Ausland ist mit dem Verbot ebenfalls verhindert.
James Palmer, Direktor im NHS sagt dazu: „Wir begrüßen die Entscheidung der Regierung, den Zugang über private Verordner weiter zu verbieten und damit ein Schlupfloch zu schließen, das ein Risiko für die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen darstellte. Für die betroffenen jungen Menschen und ihre Familien wird dies jedoch eine schwierige Zeit sein, weshalb wir allen, die von der Verbotsverfügung betroffen sind, gezielte Unterstützung durch ihre lokalen psychiatrischen Dienste anbieten.“
NHS-Patienten, die diese Arzneimittel bereits zur Behandlung von Geschlechtsinkongruenz und/oder Geschlechtsdysphorie erhalten, können sie weiterhin beziehen, ebenso wie Patienten, die diese Arzneimittel für andere Zwecke erhalten.
Auch Nordirland und Schottland folgen dem englischen Beschluss. Die schottische Sandyford-Klinik, die ebenfalls Behandlungen mit Pubertätsblocker angeboten hatte, stellt seit April dieses Jahres keine neuen Verordnungen von Pubertätsblockern sowie Geschlechtshormonen für Minderjährige mehr aus.
Klage gegen Verbot erfolglos
Die Interessengruppe TransActual und ein anonym bleibender junger Mensch fochten das Verbot vor dem Obersten Gerichtshof an und behaupteten, dies sei zuvor nicht streng genug geprüft worden und durch die persönlichen Ansichten der damaligen Tory-Gesundheitsministerin Victoria Atkins motiviert. Das Gericht entschied jedoch, dass Atkins im Einklang mit dem Gesetz gehandelt habe.
Bei sogenannten Pubertätsblocker handelt es sich medizinisch korrekt eigentlich um GnRH-Analoga, die zur Senkung des Testosteron- oder Östrogen-Spiegels im Blut eingesetzt werden. Zugelassen sind diese Medikamente vor allem für die Behandlung von Prostata- oder Brustkrebs und der Endometriose, d.h. krankhafter Wucherungen von Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter.
Die Gabe dieser Medikamente zum Zwecke der Pubertätsunterdrückung bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie fand als sogenannter Off-Label-Use, also jenseits des Zulassungszwecks als medizinisch begründete Ausnahme statt und gründet sich im Wesentlichen auf einen Behandlungsansatz aus den Niederlanden. Mit diesem wollte man denjenigen Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie helfen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter eine Geschlechtsangleichung vollziehen würden.
Pubertätsblocker sollen Transpersonen falsche Pubertät ersparen
Das Ziel war es, eine als falsch empfundene geschlechtliche Entwicklung zu blockieren und dann mit der Gabe von Geschlechtshormonen die gewünschte einzuleiten. Durch diese Behandlung wollte man psychische Erkrankungen mindern, die bei vielen transsexuellen Erwachsenen als Folge des Leidens unter der falschen körperlichen Entwicklung gelten.
Doch was vielleicht gut gemeint war, entwickelte sich zu einer riskanten Menschenversuchsreihe an Kindern und Jugendlichen. Während die niederländischen Pioniere noch vorsichtiger agierten, wurden Pubertätsblocker international nach 2010 unter queerideologischem Einfluss zunehmend zur Standardbehandlung bei Geschlechtsdysphorie. Zugleich stiegen die Zahlen der Transitonswilligen insbesondere unter biologisch weiblichen Teenagern stark an..
Das Desaster wurde dann auch noch von queeren TransaktivistInnen verstärkt, die eine sorgfältige psychiatrische Anamnese vor Einleitung medizinischer Maßnahmen wie der Gabe von Pubertätsblockern ideologisch immer stärker als „Gatekeeping“ diffamiert und unter den Verdacht der „Konversionstherapie“ gestellt haben.
Cass-Report deckt Mängel auf
In Großbritannien war bis März 2024 der Gender Identity Development Service (GIDS) in der Londoner Tavistock-Klinik das Zentrum für diesen Ansatz. Doch die Untersuchung von Hilary Cass, mit der sie 2020 beauftragt wurde, wies gravierende Mängel nach. Die medizinische Evidenzbasis, so ihr Befund, war zu dünn und damit mögliche Risiken für die Behandlung mit Pubertätsblocker zu wenig bekannt. Einige dieser möglichen Risiken: ungünstige Einflüsse auf die Knochendichte, erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Unfruchtbarkeit. Noch ungeklärt sind Auswirkungen auf die neurologische Entwicklung. Dagegen wurden Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden wohl zu positiv dargestellt, denn jüngste Studien relativieren dies.
Das nun verlängerte Verbot wird daher auch von Hilary Cass begrüßt: „Pubertätsblocker sind starke Medikamente mit unbewiesenem Nutzen und erheblichen Risiken, und deshalb habe ich empfohlen, dass sie nur nach einer multidisziplinären Bewertung und im Rahmen eines Forschungsprotokolls verschrieben werden sollten. Ich unterstütze die Entscheidung der Regierung, die Abgabe von Pubertätsblockern zur Behandlung von Geschlechtsdysphorie außerhalb des NHS weiterhin einzuschränken, wenn diese wesentlichen Sicherheitsvorkehrungen nicht getroffen werden.“
Prozess von Keira Bell ist Wendepunkt
Wie kam es überhaupt so weit? Seit 2019 wurde bekannt, dass es auch innerhalb des GIDS und des NHS MedizinerInnen gab, die erhebliche Bedenken anbrachten, aber erst ein von der ehemaligen Patientin und Detransitioniererin Keira Bell angestrengter Prozess brachte den NHS dazu, eine unabhängige Untersuchung durch Hilary Cass einzuleiten. Dessen Ergebnisse wiederum führten zur Schließung des GIDS und zum Abschied vom gender-affirmativen Modell.
Auch die queeren AktivistInnen und ihre Verbündeten im medizinischen Sektor wissen um die Bedeutung vom Cass-Report. Deshalb versuchen sie unablässig, Hilary Cass und die Inhalte ihres Berichts zu diffamieren, in Zweifel zu ziehen.
Die British Medical Association (BMA), die wichtigste nationale Ärztegewerkschaft, hatte im Sommer eine Pause bei der Umsetzung der Empfehlungen des Cass-Reports gefordert und wollte, dass das Verbot von Pubertätsblockern für unter 18-Jährige aufgehoben wird. Doch rund tausend leitende Ärzte haben in einem Offenen Brief an die BMA ihre große Enttäuschung über deren Haltung zum Ausdruck gebracht, und so ruderte die Führungsspitze der Gewerkschaft wieder zurück und will eine neutrale Haltung einnehmen.
Kritiker wurden mit Hass überzogen
Die Ergebnisse des Cass-Reports werden, wie am nun unbefristeten Verbot von Pubertätsblockern zu sehen, von den beiden wichtigsten politischen Parteien lagerübergreifend anerkannt. Der Weg bis hierhin was für KritikerInnen jedoch ein sehr steiniger. TransaktivistInnen und ihre Verbündeten bezichtigten alle als Transfeinde und versuchten, ihren Ruf zu zerstören. Das betraf nicht nur MedizinerInnen, sondern auch Lesben und Schwule, zum Beispiel die in der LGB Alliance organisierten. Sie waren die einzige homosexuelle Organisation, die davor warnte, dass viele eigentlich schwule und lesbische Teenager unter dem Translabel unnötige medizinische Eingriffe mit irreversiblen Folgen erhielten.
Alle anderen homosexuellen und queeren Organisationen, darunter der große Verband Stonewall UK, unterstützten die Attacken gegen KritikerInnen und verteidigten Pubertätsblocker. Dabei brauchen junge Lesben und Schwule keine Pubertätsblocker, sondern sensible Unterstützung, um einen Platz in dieser Welt zu finden und sich als gleichgeschlechtlich begehrend zu akzeptieren.
Only one gay rights group had the courage to campaign against the use of puberty blockers for gender-confused children: @AllianceLGB. They fought for the right of gender-questioning kids to grow up with their bodies and fertility intact. Blockers have now been banned in the UK. https://t.co/4vXPAakRYj
— J.K. Rowling (@jk_rowling) December 11, 2024
Die prominenteste Hexe, die auf dem queeraktivistischen Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, war allerdings die Harry-Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling. Sie verschaffte den Missständen beim Transthema internationale Reichweite, da sie viele queere Fans von Harry Potter verärgerte und sich auf Social Media Shitstorms bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt sah, die wiederum in der Mainstreampresse aufgegriffen wurden.
Nun ist in Großbritannien mit dem Cass-Report die Vernunft zurückgekehrt. Jetzt gilt es, dessen Empfehlungen umzusetzen und Ideologie weiter aus der Medizin zurückzudrängen. Das unbefristete Pubertätsblockerverbot kann nur der Anfang sein. Auch Politik sowie queere Organisationen müssen aufarbeiten, warum sie medizinische Eingriffe mit einer solch schwachen Beweisgrundlage unterstützt und damit zuvörderst jungen Menschen, aber letztlich auch der Reputation queerer Anliegen schwer geschadet haben.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.