Der Festakt zum 150. Geburtstag von Magnus Hirschfeld am 14. Mai 2018 im Berliner Haus der Kulturen der Welt
von Benno Gammerl
Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld hatte geladen, und Regierungsvertreter*innen, Aktivist*innen sowie 900 Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen des sexuellen und geschlechtlichen Spektrums waren gekommen, um Magnus Hirschfeld zu ehren und um sich mit der Frage zu beschäftigen, wie sein Denken und Wirken auch heutige Auseinandersetzungen beleben und bereichern können. Dass sich dieser engagierte und nachdenkliche Nachmittag gleich von Beginn an durch eine besonders warmherzige, familiäre und weltoffene Atmosphäre auszeichnete, lag nicht zuletzt daran, dass Großnichten, Großneffen und andere Verwandte von Hirschfeld aus den USA, Australien und weiteren Ländern angereist waren, um an dem Festakt teilzunehmen. Unter ihnen war auch Ilan H. Meyer, der Anfang Mai 2018 in einer von der Initiative Queer Nations ko-organisierten Queer Lecture über sein Konzept des minority stress und über seine Untersuchungen zur psychischen Gesundheit von LSBTI* Personen gesprochen hatte.
Zum Leben und Werk des Magnus Hirschfeld
Gleich zu Beginn machten drei Vertreter von Organisationen, die sich in besonderer Weise um das Erbe Magnus Hirschfelds bemühen, deutlich, wie aktuell das Gedenken an den Geehrten ist. Dass dabei auch das Projekt Elberskirchen-Hirschfeld-Haus prominent zur Sprache kam, war für die Initiative Queer Nations natürlich besonders erfreulich. Der Vorsitzende der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh, betonte zunächst, wie unerlässlich der von der Stiftung und anderen geführte Kampf gegen die Diskriminierung und für die Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten nach wie vor ist. Das verdeutlicht nicht zuletzt der Umstand, dass seit der letzten Bundestagswahl auch die homo- und transfeindlichen Positionen der AfD im Kuratorium der Stiftung selbst vertreten sind. Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, die sich wie keine andere Organisation um die Erforschung von Hirschfelds Leben und Werk verdient gemacht hat, stellte fest, dass sich mit und über Hirschfeld auch aus historisch-wissenschaftlicher Perspektive nach wie vor Faszinierendes entdecken lasse. Und Jan Feddersen vom Verein der Freund*innen des Elberskirchen-Hirschfeld-Hauses – Queeres Kulturhauses kündigte an, dass dieses Haus 2022 eröffnet wird. Fast 80 Jahre nach der Zerstörung von Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft durch die Nazis solle so in der Mitte Berlins endlich wieder ein offener und gut sichtbarer Ort für die Auseinandersetzung mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt entstehen.
Nach den Vertretern der Zivilgesellschaft sprachen die Politiker*innen. Katarina Barley, als Bundesjustizministerin auch Vorsitzende des Kuratoriums der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, erwähnte die großen Erfolge, die dem Kampf um die Anerkennung von Schwulen und Lesben in den letzten Jahren beschieden gewesen seien, von der Rehabilitierung derjenigen, die nach 1945 unter dem Paragrafen 175 StGB verurteilt worden waren, bis hin zur Ehe für Alle. Gerade angesichts dieser Errungenschaften gelte es, im Streben nach Gleichstellung auch in Zukunft nicht nachzulassen. Den Willen, sich weiterhin für dieses Ziel einzusetzen, bekundete auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, indem sie sozusagen als bloße Zuhörerin ebenfalls am Festakt teilnahm. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verwies in ihrem verlesenen Grußwort darauf, wie wenig selbstverständlich die Gründung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld vor knapp zehn Jahren gewesen sei. Umso wichtiger sei die Arbeit der Stiftung in der heutigen Zeit, in der Diffamierungen und Diskriminierungen bedauerlicher Weise immer hoffähiger würden. Wie hilfreich die Erinnerung an Magnus Hirschfeld in diesen aktuellen Auseinandersetzungen sein könne, betonte schließlich auch der Berliner Kultursenator Klaus Lederer. Trotz aller notwendigen Kritik an den von Hirschfeld vertretenen eugenischen Positionen und trotz seinem aus heutiger Perspektive vielleicht naiv wirkenden Glauben an die Überzeugungskraft des wissenschaftlichen Fortschritts, so Lederer, seien der Jubilar und anderer Aktivist*innen, die sich in der Vergangenheit für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten stark gemacht haben, wichtige Vorbilder für heutige Kämpfe um die Rechte nicht nur von Schwulen und Lesben, sondern auch von Trans* und Intersexuellen. Deswegen bekräftigte Lederer auch erneut seinen Willen, den Bau des Elberskirchen-Hirschfeld-Hauses weiterhin mit Nachdruck zu unterstützen.
Ein ‚internationaler‘ Festakt
Die New Yorker Historikerin Dagmar Herzog schloss in ihrer Festrede nahtlos daran an. Sie verteidigte Hirschfeld gegen seine früheren und heutigen Kritiker*innen und betonte in ihrer Analyse vor allem drei Thesen, die sie als Kernthemen seines wissenschaftlichen und politischen Wirkens betrachtete. Erstens: „Das Sexuelle ist kostbar.“ Deswegen müssten sich staatliche und andere Kontrollinstanzen aus dem unendlich vielfältigen Feld des Begehrens heraushalten, auf dem erwachsene Menschen sich frei und individuell entfalten sollten. Diesen Anspruch habe Hirschfeld mit seiner einfühlsamen Forschung besonders nachdrücklich vertreten. Zweitens: „Gerechtigkeitsaktivismus tut not.“ Weil er davon überzeugt war, habe Hirschfeld als erfolgreicher Netzwerker Einiges erreichen können, trotz der perfiden Angriffe der Nazis, die ihn schon in den 1920er Jahren heftig angriffen und die seinen Bemühungen mit der Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaft im Mai 1933 ein (vorläufiges) Ende setzten. Und drittens: „Menschen sind lernfähig.“ Aus dieser Überzeugung schöpfte der Geehrte, so Herzog, seinen schier unermüdlichen Optimismus, der ihn befähigte, sich auch im Exil bis zu seinem Tod im Jahr 1935 weiterhin für die Rechte sexueller und geschlechtlicher Minderheiten einzusetzen. Hirschfeld, so betonte Herzog abschließend, sei mit seiner Skepsis gegenüber der Macht, mit seinem nicht-paranoiden Aktivismus und mit seinem kämpferischen Optimismus ein zutiefst nicht-faschistischer Mensch gewesen.
Deswegen ließen die Sängerin Vivian Kanner und das Publikum zum Ende des hoffnungsfrohen Festakts und frei nach Hildegard Knef rote Rosen regnen für Magnus Hirschfeld.