In einem Spiegel-Interview spricht der Kulturwissenschaftler Patrick Wielowiejski darüber, warum es Homosexuelle gibt, die sich in der in Teilen rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) engagieren. Doch anstatt lebensnaher Erklärungen gibt es nur vorgestanzte Schablonen aus den Gender und Queer Studies.

Offen schwul und Mitglied in der AfD? Wahrscheinlich würden sich schwule AfD Mitglieder nicht mit aktivistischen Symbolen wie der Regenbogenflagge zeigen (Foto: Freepik)

4. Januar 2025 | Till Randolf Amelung

Wie passen Homosexualität und eine Mitgliedschaft in der Partei Alternative für Deutschland (AfD) zusammen? Mit Alice Weidel hat die Partei zwar eine offen lesbische Vorsitzende, aber politisch stellt sich die AfD gegen queeren Aktivismus – insbesondere auf das Transthema haben sie sich eingeschossen. Im vergangenen Sommer wurde der von der Bundesregierung eingebrachte Aktionsplan „Queer leben“ von der AfD abgelehnt. Der Abgeordnete Martin Reichardt bezeichnete die politischen Vorhaben als „queeren Firlefanz“ und als „linksideologischen Angriff auf die traditionelle Familie, die Wissenschaft und das Wohl insbesondere von Kindern, Jugendlichen und Frauen“.

Homosexuelle in der AfD

Der Spiegel hat nun den Berliner Kulturwissenschaftler Patrick Wielowiejski gefragt, warum es trotz dieser politischen Äußerungen aus der Partei Homosexuelle gibt, die der AfD zugeneigt sind – der Mann hat jüngst seine akademische Qualfikationsarbeit zum Thema veröffentlicht. Doch das Interview schafft es nicht, diese Frage plausibel zu beantworten. Vielmehr offenbart es die Denkschablonen, die im Bereich der Gender und Queer Studies kursieren, denen sich Wielowiejski zurechnet.

Kulturwissenschaftler Wielowiejski verweist, um die Attraktivität der AfD auf einige homosexuelle Menschen zu erklären, vor allem auf Vorstellungswelten, die den erotischen Männerbund als „staatstragend“ idealisierten:

„Seit den Siebzigerjahren waren es vor allem linksgerichtete und liberale Bewegungen, die Rechte für Homosexuelle erkämpft haben. Deswegen nehmen wir Homosexualität und rechte Gesinnung meist als Widerspruch wahr. Früher war das keinesfalls selbstverständlich. Schon während der homosexuellen Emanzipation ab Ende des 19. Jahrhunderts gab es Schwule, für die Homosexualität eine höhere Form der Männlichkeit bedeutete. Das war eine misogyne, antifeministische, in Teilen antisemitische Vorstellungswelt, die sich in der Tradition antiker erotischer Männerbünde sah. In dieser Vorstellung basiert auch der Staat auf solchen Männerbünden.“

Toxische Männerbunderotik und Islamfeindlichkeit

Einen Popularisierungsschub erhielten diese Vorstellungen in der Zeit der Weimarer Republik durch das Werk von Hans Blüher und wurden laut dem Historiker Alexander Zinn aufgrund ihrer Radikalität unter Intellektuellen populär. Doch auch der spätere SS-Chef Heinrich Himmler las Blühers Werk – und verkehrte dessen Ideen ins Gegenteil. Die staatstragenden Männerbünde wurden bei Himmler zu staatszersetzenden Gemeinschaften – und dies wiederum bildete in der NS-Ideologie eine Rechtfertigung zur Verfolgung Homosexueller. Doch solche Aspekte finden sich nicht im „Spiegel“-Interview. Hauptsache, die Männlichkeit ist „toxisch“.

Als weiterer Aspekt, der die AfD für Homos attraktiv machen könne, wird die Ablehnung des Islams genannt. Wielowiejski will einigen Homosexuellen zwar zugestehen, aufgrund schlechter Erfahrungen negativ gegenüber Muslimen eingestellt zu sein, spricht jedoch nur vom antimuslimischen Rassismus, anstatt auch von ebenfalls vorhandener Homophobie unter religiös orientierten Muslimen. Im Oktober 2024 traf der ehemalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert einen Nerv, als er gegenüber dem Spiegel sagte, aus muslimisch gelesenen Männergruppen käme es häufiger zu einem homophoben Spruch. In linksprogressiven Kreisen werden auch Äußerungen wie diese sehr schnell unter den Verdacht des antimuslimischen Rassismus gestellt, was eine sachlich-konstruktive Problembewältigung erschwert, zum Beispiel durch Alfonso Pantisano, Ansprechperson für queere Menschen und deren Anliegen beim schwarz-roten Senat Berlins.

Effekte gesellschaftlicher Modernisierung

Wielowiejski zufolge hätten es außerdem gesamtgesellschaftliche Modernisierungsprozesse erleichtert, dass inzwischen auch Rechtsextreme Homosexuelle anerkennen müssten, sofern sie noch irgendwie in die sogenannte Volksgemeinschaft passten:

„Die Grenzen zwischen einem »Wir« und »den anderen«, die im Rechtsextremismus sehr scharf gezogen werden, verschieben sich. Das ist eine Reaktion auf veränderte Bedingungen. Homosexualität wird in vielen westlichen Ländern von einem Großteil der Bevölkerung toleriert. Damit wird es auch für eine sich modernisierende extreme Rechte, die für viele attraktiv bleiben will, schwierig, Homosexuelle per se auszuschließen.“

Kontroverse bei Trans verfehlt

Verfehlt wird von Wielowiejski allerdings der Kern dessen, was die Transthematik aktuell so kontrovers macht und wie gefährlich emanzipatorisch gemeinte Traumwelten vom ausschließlich sozial konstruierten (d.h. nicht mehr biologisch begründeten) und frei wählbaren Geschlecht sind, die sich von natur- und auch sozialwissenschaftlicher Evidenz entfernt haben:

„Jenseits der Binarität geht für die AfD nichts. Alles, was darüber hinausgeht, gilt für sie als »pervers«: Wenn Geschlecht als soziales Konstrukt verstanden wird, wenn Menschen selbst über ihre Sexualität und ihre Geschlechtsidentität bestimmen dürfen, wenn sie selbst entscheiden dürfen, wie sie geschlechtlich verortet sind und mit welchen Pronomen sie angesprochen werden möchten.“

Es gibt spätestens seit der Veröffentlichung des Cass-Reports in Großbritannien überdeutliche Hinweise auf die Risiken von frühen affirmativen geschlechtsangleichenden Maßnahmen bei Minderjährigen. Doch das politisch linksprogressive Lager spielt lieber Vogel Strauß. Zum Jahresende verkündete die AfD-Bundestagsfraktion, dass sie ein Verbot von Geschlechtsanpassungen bei Minderjährigen wollen, also bei Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie. Offenbar haben Weidel und Co. in die USA geschaut und vom erfolgreichen Trump-Wahlkampf gelernt.

Insgesamt krankt das Spiegel-Interview daran, dass es lebensfern ist. Das Magazin hätte besser homosexuellen AfD-Mitgliedern selbst Fragen zu ihren Beweggründen gestellt, sich in dieser Partei zu engagieren. Mit Sicherheit wären diese Antworten aufschlussreicher gewesen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil an Gender und Queer Studies Geschulte gern den Fehler begehen, Homosexuelle nur von dieser Eigenschaft, der sexuellen Orientierung, aus zu betrachten, die am gesamten Menschen doch nur eine von vielen anderen ist. Und schon gar nicht muss sie für ein Individuum das zentrale Kriterium bei der Bewertung von Wahlprogrammen und Parteien sein.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.