Die südafrikanische Sportlerin will Präsidentin des Weltleichtathletikverbands werden

Ein harmloses, da unkritisches ARD-Exklusiv-Interview mit der südafrikanischen Leichtathletin und zweifachen Olympiasiegerin Caster Semenya zeigt die Probleme eines Aktivismus auf, der nicht wissenschaftsbasiert ist und dadurch den Frauensport gefährdet. Medien und Spitzenverbände sind gefordert, professionelle Distanz zu wahren.

Caster Semenya im Interview in der ARD-Sportschau während der Olympischen Sommerspiele in Paris 2024 (Foto: Screenshot)

10. August 2024 | Till Randolf Amelung

Die südafrikanische ehemalige Leichtathletin Caster Semenya will als Präsidentin des Weltleichtathletikverbands kandidieren. Der derzeitige Amtsinhaber, der Brite Sebastian Coe, ist noch bis 2027 im Amt, eine weitere Amtszeit ist laut Berichten ausgeschlossen. Semenya, in London 2012 und Rio de Janeiro 2016 Olympiasiegerin über 800 Meter, beschäftigt die Sportwelt sei Jahren.

Bekanntester DSD-Fall in der Leichtathletik

Aufgrund einer Variante der Geschlechtsentwicklung oder auch Differences of Sex Developement (DSD), 5-ARD (5α-Reductase deficiency), verfügt Semenya über XY-Chromosome und Hoden. Das so produzierte körpereigene Testosteron wirkt, kann aber aufgrund eines Enzymdefekts nicht in Dehydrotestosteron umgewandelt werden. Das führt dazu, dass sich das männliche Genital während der embryonalen Entwicklung nicht wie gewöhnlich ausbildet. So kann, je nach Ausprägung, das äußere Genital bei Geburt typisch weiblich erscheinen oder ein unterentwickelten männliches Genitale mit Mikropenis sein. Es findet dennoch in den meisten Fällen eine vermännlichende Pubertät statt, allerdings in individuell unterschiedlich starker Ausprägung.

Bei Semenya führte diese Variante der Geschlechtsentwicklung nun dazu, dass sie in Frauenwettbewerben zumindest im Mittelstreckenbereich wie über 800 Meter allen Konkurrentinnen stark überlegen war. Zugleich hätten ihre Leistungen nicht genügt, um im Männerwettbewerben über die gleiche Distanz mitzuhalten. Seit 2009 geriet die Südafrikanerin immer wieder in die Schlagzeilen. Im Kern geht es darum, ob es fair ist, wenn jemand wie sie bei den Frauen antritt und wenn nein, unter welchen Bedingungen es fair sein könnte.

Der Weltleichtathletikverband war immer wieder gefordert, geltende Regelungen unter die Lupe zu nehmen, zumal sich auch biologisch weibliche Konkurrentinnen ohne DSD-Varianten beschwerten, dass Semenya bei den Frauen starten durfte. Schließlich erließ der Verband Auflagen für eine Starterlaubnis, dass ein hoher, nicht auf Doping zurückgehender Testosteronwert mindestens über zwei Jahre lang auf einen festgelegten niedrigeren Wert gesenkt werden muss. Dies geht nur mit Medikamenten, die Semenya aber nicht nehmen möchte. Sie ging daher mehrfach, aber erfolglos gegen diese Auflage vor. Darunter auch mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Urteil noch aussteht.

Semenya verkündet Kandidaturabsicht

Nun also will sie selbst den Weltverband der Leichtathletik führen und hat zum Anlass ihrer Kandidaturabsicht der ARD-Sportschau ein Exklusivinterview gegeben. Nicht zuletzt war sie auch aufgrund der aktuell laufenden Kontroverse im Frauenboxen um zwei Athletinnen mit einer mutmaßlichen Variante der Geschlechtsentwicklung als Gesprächspartnerin gewählt worden. Daher geht es vor allem um einen Rückblick auf die Kontroverse um Semenya selbst sowie den Umgang mit ihr.

Dieses Interview vom 8. August, welches vom langjährigen Sportjournalisten und Dopingexperten Hajo Seppelt geführt wurde, ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert da fern aller Gründlichkeit. Es sparte nicht nur da an kritischen Nachfragen und Konfrontation mit wissenschaftlichen Fakten, wo es nötig gewesen wäre, sondern zeigt auch, wie bei diesem Thema identitätspolitisch moralisierend und manipulativ argumentiert wird. Zugleich offenbart es, für wen Semenya sich im Sport einsetzen will und wen sie eigentlich meint, wenn sie von „Frauen“ spricht.

Bereits zum Einstieg wird dies deutlich:

HS: Caster, danke dass Sie für ein Interview mit der ARD bereitstehen. Zunächst interessiert mich, da sie jetzt hier in Paris sind als zweimalige Olympiasiegerin…  wie ist das jetzt für Sie, wenn Sie die Spiele hier verfolgen?

CS: Nun, erstmal danke für die Einladung. Ich würde es vielleicht so sagen: Es sind gemischte Gefühle als Sportlerin, oder soll ich sagen Ex-Sportlerin ist mein Startverbot etwas, was frühere, negative Gefühle wieder hochkommen lässt. Ich denke daran, wie unfair ich behandelt wurde. Das geht mir dann immer noch ziemlich nahe. Manchmal bin ich auch ein bisschen wütend. Die Gefühle sind durcheinander. Manche kann ich nicht erklären. Manchmal kommt der Gedanke auf „Ich hätte dabei sein können, Medaillen gewinnen können!“ Aber jetzt ist für mich das Wichtigste, dass ich hier bin. Ich werde andere Frauen unterstützen, die an den Wettkämpfen teilnehmen.

Im Zentrum ihrer Selbstdarstellung steht, dass sie sich unfair behandelt fühlt, weil sie nicht mehr starten darf. Zugleich sagt sie, dass sie andere Frauen unterstützen will. Doch wen meint sie genau mit „andere Frauen“? Geht es ihr um die Frauen, die sich über Semenya aufgrund des unfairen Vorteils in der Vergangenheit beschwert haben oder ausschließlich um welche, die mit einer vergleichbaren körperlichen Besonderheit gesegnet sind?

HS: Was macht Sie am meisten wütend?

CS: Am wütendsten macht es mich, wie sie mich behandelt haben. Dass mir die Persönlichkeitssphäre genommen wurde, dass ich entmenschlicht wurde, dass ich im öffentlichen Raum Fragen ausgesetzt war. Das hat bei mir zu großen Verletzungen geführt. Sowas kann einen schon sehr wütend machen. Es ist wie ein Loch, was aufgerissen wird, dass sich nie wieder füllen lässt. Das kann einen innerlich zerstören. Wenn ich zurückblicke und mir die Geschehnisse von damals nochmal vor Augen führe, dann wird mir nochmal klar, was mir angetan wurde. Das macht mich immer noch wütend.

In dieser Passage spielt Semenya darauf an, dass die Zweifel an ihrem biologischen Geschlecht, beginnend mit der Leichtathletik-WM von 2009, stets öffentlich und medial ausgebreitet wurden. Ebenso darauffolgende medizinische Testergebnisse zumindest andeutungsweise öffentlich gemacht wurden.

Um 2000 herum gab es in vielen Verbänden, allen voran dem IOC, Entscheidungen zur Abschaffung von sogenannten Geschlechtertests. Das meint: Labortests zur Bestimmung der Chromosomen. Ein klarer Rahmen, wer bei den Frauen starten darf, war zugleich aber nicht definiert worden. Das öffnete im Frauensport die Tür für Teilnehmer*innen, die auf der großen Bühne kritische Fragen provozieren mussten.

Große Kränkung

Die große Verletztheit Semenyas nimmt insgesamt viel Raum im Interview ein, so auch in der folgenden Sequenz.

HS: Angefangen hat es 2009 bei den Weltmeisterschaften in Berlin. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie der Generalsekretär des Weltverbandes damals Infos zu vom Verwandt initiierten Geschlechtstests von Ihnen preisgab.  Sie erinnern sich an die Situation?

CS: Natürlich, ich erinnere mich sehr klar an diese Situation. Wissen Sie, ich war damals gerade 18 Jahre alt. Und ich hatte keine Ahnung, was passiert war. Ich hatte gar kein Gefühl dafür. Zurückblickend sehe ich natürlich, wie mit diesen Dingen umgegangen wurde.

Es ist einfach falsch, junge Frauen so zu behandeln. Den Körper eines Menschen quasi so zu verletzen, besonders den einer jungen Frau. Ich stamme aus Afrika. In meiner Kultur gilt es als Schande, wenn man so behandelt wird. Wenn eine bestimmte Person kommt und sowas in der Art sagt wie, ja, sie mag zwar eine Frau sein, aber nicht Frau genug, das kann einen zerstören. Es kann dich in den Selbstmord führen. Es macht einen zu einem anderen Menschen. Es schafft eine dunkle Seite in dir. Es kann dein Leben für immer verändern.

Aber was kann ich sagen? Man sollte nicht einfach daherreden, sondern wir sollten uns alle gegenseitig respektieren. Es geht um das Verständnis, dass es so etwas wie Privatsphäre gibt, so etwas wie gegenseitige Unterstützung und Respekt.

Semenya hat hier durchaus einen sehr wichtigen Punkt, indem sie ausführlich beschreibt, was die öffentlich geführte Kontroverse um ihr Geschlecht und ihre Teilnahmeberechtigung in Frauenwettbewerben an psychischen Belastungen für einen jungen Menschen bedeuten kann. Aktuell sichtbar wird das auch an der umstrittenen algerischen Boxerin Imane Khelif, die nun im Finale die Goldmedaille holte. Im Zuge ihres Halbfinalkampfes brach sie beim Pressetermin gar in Tränen aus, so groß war der Druck.

Gerade deshalb wäre es aber wichtig, dass Verbände klare Regeln für die Startgenehmigung in Frauenwettbewerben schaffen, die auf nachprüfbaren, wissenschaftlichen Grundlagen beruhen. Ein Mittel hierfür wäre die Wiedereinführung von verpflichtenden Chromosomentests. Selbstredend können dessen Ergebnisse nicht das alleinige Entscheidungskriterium sein, aber sie geben einen wichtigen, zuverlässigen Hinweis auf weiteren Klärungsbedarf. So kann verhindert werden, dass es auf den großen Sportbühnen zu Kontroversen kommt, die auch individuell extrem belastend sind.

Oft wird angeführt, auch von Semenya selbst, Geschlechtstests seien entwürdigend. Das mag auf frühere Jahrzehnte zutreffen, als die Sportlerinnen nackt von einem Mediziner oder Funktionär begutachtet wurden. Heutzutage lässt sich die Bestimmung der Chromosomen mit einem Wangenabstrich durchführen. Um das ins Verhältnis zu setzen: Eine Urinprobe für den Dopingtest muss unter Aufsicht abgegeben werden – man pinkelt unter dem gestrengen Blick des Kontrolleurs in einen Becher und hat sich auch nicht über diese Prozedur zu beschweren.

Semenya lehnt klare Zugangsregelungen ab

Doch im weiteren Verlauf des Gesprächs mit Hajo Seppelt wird deutlich, dass Semenya solche Klarheit geradezu ablehnt.

HS: Wie Sie wissen, hat World Athletics, der Weltverband, eine andere Haltung dazu. Dort sagt man, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu garantieren, braucht es Regeln, die sicherstellen, dass alle auf dem gleichen Niveau im Wettbewerb antreten. Es gibt viele Sportlerinnen aus anderen Ländern, die es als unfair empfinden, Sie an diesen Wettkämpfen teilnehmen zu lassen. Was antworten Sie diesen Sportlerinnen, die sich ungerecht behandelt fühlen?

CS: Das ist deren Meinung, das ist nicht meine. Ich weiß, dass die Natur nicht so sehr kontrolliert werden kann, wie man sich das vielleicht denkt. Die Leichtathletik-Welt weiß sehr gut, dass es nie etwas geben kann, was wirklich fair ist, wenn es um faire Leistungen und Wettbewerbsbedingungen geht. Im Männersport gibt es auch Unterschiede.

Man kann die Genetik nicht gleichsetzen. Wenn die Genetik wirklich ein Problem darstellt, warum haben wir dann überhaupt Sport? Wenn man die Größe zum Maßstab nimmt oder die Muskeln, das ist doch Wahnsinn. Für mich als jemand, der Sportwissenschaften studiert hat, ist es ganz einfach, zusammenzufassen.

Genetik kann nicht kontrolliert werden. Wir haben Frauen, wir haben Männer, und das ist es. Das sind also alles die Dinge, die wir als Menschen verstehen müssen.

Warum beschweren sich die anderen Frauen, dass es ein unfairer Vorteil ist? Warum ist das so? Wir sind Frauen, wir trainieren hart. Wir haben ein gemeinsames Ziel, Leistung zu bringen. Nicht das Ziel zu urteilen, nicht zu kritisieren.

Vergessen Sie nicht, dass ich aus einem Land komme, das kolonialisiert wurde, einem Land mit einer langen Geschichte, einem Land, in dem der Körper der Frau immer ein Thema war, immer ein Problem war. Ich komme aus einem Land, in dem mein Volk versklavt wurde, nicht nur in meinem Land, sondern auf dem ganzen Kontinent. Wenn wir also als Menschen in der Welt sagen, Sport für alle, dann sollten wir uns über die Dinge, die wir tun, im Klaren sein. Wenn wir alle Teil von globalen Sportorganisationen sind, sollten wir uns gegenseitig mit Respekt behandeln.

In ihrer Antwort zieht Semenya alle identitätspolitischen Register, die man in dieser Debatte seit vielen Jahren kennenlernen durfte. Sie relativiert die Besonderheiten der bei ihr vorliegenden DSD-Variante, möchte erst gar nicht darüber reden. Diese ist, wie eingangs beschrieben, mit einer vermännlichenden Pubertät verbunden.

Die Forschung hat zweifelsfrei belegt, dass es dies ist, was die Leistungsunterschiede zwischen biologischen Männern und Frauen für ihr Leben prägt. Und weshalb in vielen Sportarten nach Geschlecht getrennt wird, um insbesondere Frauen faire und sichere Wettkämpfe zu ermöglichen. Doch die ehemalige Läuferin wischt diesen entscheidenden Unterschied damit weg, es gebe immer Unterschiede. Und außerdem sei Leistungssport nie fair.

Schließlich verweist sie auch noch auf ihre südafrikanische Herkunft, auf die Kolonialgeschichte, die Sklaverei. Die Erwähnung signalisiert ihre Kenntnis entsprechender Debatten in „weißen“ Nationen, die als Kolonialmächte präsent waren. Dies soll im westlichen Publikum Schuldgefühle wecken, um Kritiker*innen zum Verstummen zu bringen, gar moralisch zu beschämen.

Streitpunkt Testosteronwert

HS: Lassen Sie uns nicht über Regeln, sondern über die Frauen sprechen, die nicht ihre Meinung teilen, Caster. Diese sagen zum Beispiel, dass ein erhöhter Testosteron-Wert ja auch künstlich durch Doping entstehen kann. Das ist ja auch nicht zulässig. Klar, das ist dann manipuliert. Bei Ihnen hat es natürliche Ursachen. Aber die Frauen sagen, der Testosteron-Wert muss für alle Sportlerinnen auf einem ähnlichen Niveau sein. Ist das ein unauflösbarer Widerspruch aufgrund dieser diametral unterschiedlichen Positionen?

CS: Ja, genetisch betrachtet ist das alles verrückt. Alle diese Sportorganisationen haben Wissenschaftler. Sie forschen, und in der Forschung wissen wir alle, dass Körper nicht genetisch kontrolliert werden können. Wenn jemand mit einem hohen Testosteronspiegel geboren wird und es als eine Störung auftritt, dann ist es, wie es ist. Das kann man nicht kontrollieren.

Und man kann nicht sagen, die Wettkämpfe wären fairer verlaufen, indem man Caster Semenya rausnimmt, weil sie anders geboren wurde. Verstehen Sie, das ist völlig unmöglich.

Sie haben ja künstliche Maßnahmen, also Doping, angesprochen.Das ist aber etwas ganz anderes. Wir sprechen hier über natürliches Testosteron, das sich in meinem Körper befindet und das ich nicht kontrollieren kann. Der Testosteron-Level spielt für mich in meiner Karriere nicht wirklich eine Rolle. Was aber in meiner Karriere eine Rolle spielt, ist Hingabe für den Sport und meine harte Arbeit. Wissen Sie, es gibt keinen Beweis dafür, dass ich wegen des Testosterons so schnell laufe. Den Einwänden stimme ich also überhaupt nicht zu.

Der Interviewer Seppelt spricht Semenya nun direkt auf die Kritik anderer Athletinnen an. Sie beruft sich darauf, dass ihre genetische Anomalie dergestalt natürlich sei und sie will, dass ihre Klassifikation als Frau nicht hinterfragt wird. Zugleich leugnet sie den enormen Vorteil, den sie durch ihre für eine biologische Frau vollkommen unüblichen Testosteronwerte hat.

Diesen Vorteil bestätigen zuletzt mehrere Sportwissenschaftler*innen und Mediziner*innen, darunter die schwedische Gynäkologin Angelica Hirschberg im Interview mit der Zeit sowie ihr Landsmann, der Sportwissenschaftler Tommy Lundberg im Interview mit dem Spiegel. Sein südafrikanischer Fachkollege Ross Tucker beschrieb in einem Interview mit einem US-amerikanischen Sportsender den Interessenskonflikt ebenfalls, dass die männlichen Vorteile durch Testosteron gerade in der Pubertät ein Risiko für Frauen bezüglich Fairness und Sicherheit seien. Daher könne man bedauerlicherweise die drei Güter in der Abwägung – nämlich Fairness, Sicherheit und Inklusion – im Wettkampfsport der Frauen nicht zusammenbringen.

Wie man es sonst von Querdenkern gewohnt ist, leugnet Semenya vollkommen die klaren Erkenntnisse der Wissenschaft über die eindeutigen Leistungsvorteile von Testosteron. Genau hier versagt dann aber auch der eigentlich so versierte Sportjournalist Seppelt, der als Dopingexperte um die Wirkung von Testosteron wissen sollte. Er konfrontiert Semenyas Aussagen gar nicht mit den wissenschaftlich gut belegten Fakten.

Regulierung wird moralisch verdammt

HS: Ihr Fall ist noch immer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Alle warten auf eine Entscheidung. Wann auch immer sie kommen wird, was erwarten sie? Und was erhoffen sie sich?

CS: Ich bin nicht in der Position, um über rechtliche Angelegenheiten zu sprechen. Meine Anwälte können das beantworten. Okay, aber was erhoffen sie sich? Ja, natürlich bin ich bei allem, was ich tue, optimistisch. Ich hoffe immer auf positive Ergebnisse. Ich glaube an die Arbeit, die wir tun. Wir haben gute Arbeit geleistet, wir verändern Leben.

Wir sind hier, um Dinge zu verändern. Andere Sportlerinnen wurden einer Operation unterzogen, sollten sich behandeln lassen. Wollte jemand, dass das Gleiche mit ihnen gemacht wird? Sehen Sie, es ist sehr enttäuschend, wenn Führungspersönlichkeiten im Sport in einen Bereich vordringen, in dem man gezwungen wird, seinen Körper zu verändern.

Wenn man gezwungen wird, sich Behandlungen und Operationen zu unterziehen. Wenn man Medikamente nehmen muss, damit man dazugehören darf. Das ist eine Schande. Diese Leute sollten sich um die Sportler kümmern. Sie sollten sie nicht ausbeuten, nicht ihr Leben zerstören. Es macht mich so wütend zu sehen, dass Führungspersönlichkeiten im Sport das Leben von jemandem zerstören können.

Wenn sie ein Elternteil sind und ihre Tochter würde so behandelt, wie würden sie sich fühlen? Solche Dinge kotzen mich an, wenn ich das mal so sagen darf. Es macht mich schon wütend, nur darüber nachzudenken, dass ich gezwungen werde, meinen Körper zu verändern. Dass ich gezwungen werde, Medikamente zu nehmen, die meiner Seele und meinem Körper schaden, die mich für den Rest meines Lebens beeinträchtigen werden. Das ist falsch. Das muss aufhören. Wir sollten Menschen nicht wie Tiere behandeln.

Das ist falsch. Haben Sie mal mit anderen Sportlerinnen gesprochen, die sich einer Operation oder einer anderen Behandlung unterziehen mussten? Diese Mädchen werden mit Medikamenten behandelt, deren Einnahme sie als Mann nicht überleben würden. Das ist Gift, was sie da bekommen.

Es zerstört ihr Leben. Es macht sie unglücklich. Es zerstört sie psychisch. Gerade psychologisch ist es besonders schlimm. Die Mädchen denken, sie können sich mit dem Sport ihren Lebenstraum erfüllen, nur um dann festzustellen, dass der Sport zum Albtraum wird. Da geht es zu wie im Dschungel. Das sind Dinge, die mal gesagt werden müssen. Die Welt muss das wissen. Es ist okay, wenn heute alle mitreden, wenn alle auf Twitter, Instagram oder TikTok posten, wenn sie lästern oder sich irgendwie anders über dich äußern.

Aber am Ende des Tages müssen sie wissen, es ist falsch, über jemanden herzuziehen, den man gar nicht kennt, von dem man nichts weiß. Sie müssen wissen, dass wir Frauen nur zum Sport gekommen sind, weil wir dachten, dass der Sport die Macht hat, die Welt zu verändern. Und wenn Leute Ihnen sagen, machen Sie doch einfach bei einem Männern mit? Das bräuchte einen Psychiater. Ich würde denen sagen, bringt euren Verstand in Ordnung. Bringt eure Seele in Ordnung. Heilt euch. Wenn euch etwas stört, entspannt euch. Wir sollten nicht versuchen, anderen vorzuschreiben, was sie denken. Weil wir die Dinge so sehen, wie wir sie sehen wollen.

Aber es stimmt schon, dieses Thema ist sehr heikel. Und es liegt mir am Herzen, weil ich das Gefühl habe, dass Frauen im Sport benachteiligt werden. Solche Diskussionen betreffen immer nur den Frauensport. Und das Schlimmste ist, es sind Männer, die ihn regulieren.

In diesem Teil beklagt sich Semenya ausführlich über die Auflagen, die Athletinnen mit bestimmten DSD-Varianten gemacht werden. Medikamente zur Senkung des Testosteronspiegels werden von ihr als „Gift“ verteufelt – ein Framing, was Seppelt nicht hinterfragt. Ob aus Feigheit oder Unkenntnis – das ist offen: Der Dopingexperte der ARD traut sich womöglich nicht, um nicht Ärger mit woke-getrimmten, hauseigenen Antidiskriminierungsbeauftragten zu bekommen. Ohne Zweifel hat es Auswirkungen, körperliche und psychische, wenn in den Hormonhaushalt eingegriffen wird. Individuell wird dies höchst unterschiedlich erlebt und kann auch belastend sein. Jedoch sind Medikamente für diesen Zweck in der Regel klinisch erprobt und „Gift“ dämonisiert diese unangemessen.

Wessen zerstörte Träume zählen?

Ein Moment der Selbstoffenbarung findet sich, als Semenya von „zerstörten Träumen“ spricht. Allerdings sieht sie nur sich selbst und andere Sportler*innen mit DSD. Gerade an dieser Stelle wäre es notwendig, den Blick zu weiten und die Situation aller anderen Athletinnen ebenso zu würdigen, die nicht über DSD-Varianten verfügen, die durch Vermännlichung uneinholbare Vorteile verschaffen.

Biologisch weibliche Sportlerinnen protestieren auch deshalb, weil es für sie um weit mehr als einen fairen Wettbewerb selbst geht. Die zentrale Frage ist, ob wir männliche Vorteile im Frauensport akzeptieren sollten. Frauensport erfährt erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit in der Öffentlichkeit Anerkennung. Damit verbunden sind auch auskömmliches Sponsoring von Spitzenathletinnen und Sportförderung generell. Im angelsächsischen Raum geht es auch um akademische Karrierechancen über Sportstipendien.

Bei den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016 waren im Laufwettkampf der Frauen über 800 Meter am Ende drei Personen mit DSD, inklusive Semenya selbst auf dem Siegertreppchen. Bei allen lag dieselbe Variante wie bei Semenya vor, die mit einer vermännlichenden Pubertät einhergeht. Dies führt eindrucksvoll vor Augen, um was es geht. Anderen Athletinnen wurde untersagt, sich öffentlich darüber zu beschweren.

Caster Semenya scheint jedoch keinen Gedanken daran verschwenden zu wollen, was diese eindeutige Dominanz durch eine vermännlichende Pubertät für die überwältigende Mehrheit anderer Athletinnen bedeuten würde. Die offensichtlichen Unterschiede zwischen ihr und biologischen Frauen leugnet sie geradezu. Stattdessen agiert Semenya in den Ausführungen über ihr Leid manipulativ wie ein Kinobesitzer, der absichtlich die Raumtemperatur im Kinosaal erhöht, um mehr Erfrischungsgetränke verkaufen zu können. Damit soll die Perspektive der anderen Athletinnen aus der Debatte verdrängt werden.

Akivistischer Egoismus

Was ist denn mit den Träumen der anderen Athletinnen, die zerstört werden? Solche Empathie hat in der überbordenden Selbstzentriertheit, wie sie im ARD-Interview zelebriert wird, offenbar keinen Platz. Auch hier schafft es Seppelt nicht, professionell zu sein und die richtigen Nachfragen zu stellen. So wirkt das gesamte Interview eher wie eine Hofberichterstattung.

Zwei Dinge sollten aus dem Interview auf jeden Fall mitgenommen werden: Caster Semenya erweist sich mit ihrer Agenda, die zu Lasten biologisch weiblicher Spitzensportlerinnen geht, als ungeeignete Kandidatin für die Führung des Weltleichtathletikverbands. Es bleibt zu hoffen, dass dies in der Sportwelt registriert und ihre Wahl verhindert wird.

Bemerkenswert ist außerdem, wie identitätspolitisches Framing zu verhindern scheint, dass Journalist*innen ihre Arbeit sorgfältig betreiben. Eine Aktivistin mit der Faktenlage dort zu konfrontieren, wo es notwendig wäre, ist keine Diskriminierung. Das wurde von der ARD bei diesem Interview versäumt.

Redaktioneller Hinweis: Ross Tucker ist nicht US-amerikanischer, sondern südafrikanischer Sportwissenschaftler. Wir haben die entsprechende Passage am 11. August 2024 um 19:26 geändert.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.