Weltweit häufen sich kritische Berichte und Enthüllungen, die zeigen, wie riskant der gender-affirmative Ansatz eigentlich ist. Nun versuchen Transaktivisten, Druck auf Journalisten auszuüben, um unliebsame Berichterstattung zu verhindern.


Transaktivist_innen wollen kritische Journalist_innen muten. (Foto von Josh Eckstein auf Unsplash)


 

21. März 2024 | Till Randolf Amelung

Martina Lenzen-Schulte ist eine erfahrene Fachjournalistin, die im Bereich Medizin tätig ist.  Ihr Spezialgebiet ist die Beckenbodengesundheit von Frauen. Zuletzt berichtete sie für das „Deutsche Ärzteblatt“ auch über die international geführte fachliche Kontroverse um die angemessene Behandlung von Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie – also einem tiefgreifenden Leiden an den körperlichen Geschlechtsmerkmalen. Im Zentrum dieser Kontroverse steht die Frage, wie schnell bei Minderjährigen medikamentöse und chirurgische Maßnahmen erfolgen sollten – und ob überhaupt. In ihren Artikeln geht Lenzen-Schulte auch auf ungeklärte oder nicht ausreichend gewürdigte Risiken von geschlechtsangleichenden Behandlungen ein.

In einem Telefonat betont sie, dass sie gerade durch ihre umfassenden Kenntnisse im Bereich Beckenbodengesundheit die Tragweite von geschlechtsangleichenden Operationen und bisher dazu vorhandene medizinische Informationen gut einschätzen könne. Doch plötzlich wird sie beschuldigt, Desinformation zu verbreiten. Vorgebracht werde dies durch eine Gruppe von Psychotherapeut_innen, die Transpersonen begleiten. Diese hätten sich, so Lenzen-Schulte, in einer offenbar koordinierten Aktion an die Chefredaktion und den wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Ärzteblatts gewandt. Ziel: Ihre kritische Berichterstattung zu stoppen. „So etwas habe ich in meiner über 30-jährigen Tätigkeit noch nie erlebt!“, sagte sie gegenüber dem Blog der Initiative Queer Nations e.V.

Vor allem habe sich niemand dieser Psychotherapeut_innen auch direkt an sie gerichtet. Lenzen-Schulte benennt das eigentlich übliche Vorgehen: „Normalerweise würde man sich mit einzelnen Artikeln über einen Leserbrief auseinandersetzen, und ich nehme mir immer die Zeit, jede Leserzuschrift zu beantworten.“ Dann hätte sie in einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Kritiker_innen ihre Ausführungen erläutern und belegen können. Im Telefonat betonte sie mehrfach, dass in ihren Artikeln auch das gesamte, sehr divergierende Spektrum an Standpunkten innerhalb der Fachwelt zu Wort gekommen sei, um in der hochaufgeladenen Debatte allen Aspekten gerecht zu werden. In Fachkreisen, zum Beispiel vom emeritierten Medizinprofessor Helmut Schatz, der den Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie betreut, wird Lenzen-Schultes Arbeit sehr geschätzt und ihre Texte als „fachlich fundiert“ bewertet.

 

Weitere Angriffe auf kritische Berichterstattung

Die Attacken auf die Medizinjournalistin des „Deutschen Ärzteblatts“ sind keine unrühmliche Ausnahme. In der Schweiz wird die Journalistin Michèle Binswanger, die für den „Tages-Anzeiger“ schreibt, von einem Bündnis mehrerer Organisationen, darunter Jugendorganisationen von Parteien sowie Transgender Network Switzerland und feministische Gruppen, in einem Offenen Brief angegriffen. Im Gegensatz zu der Gruppe, die Lenzen-Schulte attackiert, agieren die Gegner_innen von Binswanger öffentlich, ihr Brief ist im Internet einsehbar. Darin heißt es unter anderem: „Insbesondere sehen wir die Darstellung von trans Themen im Tages-Anzeiger durch Artikel von Michèle Binswanger oder in Artikeln des SRF zum Thema Detransitioning als problematisch an. Diese Beiträge konzentrieren sich darauf, Sorgen in der Schweizer Bevölkerung zu schüren, und vergessen dabei die Rechte und Bedürfnisse der betroffenen Personen.“ Eine kritische, differenzierte Berichterstattung verstärke nach Ansicht der Briefverfasser_innen „ein gefährliches Narrativ, dass Zweifel an der Legitimität und Notwendigkeit von Transidentitäten und -erfahrungen sät.“

Ironischerweise schreiben sie im nächsten Absatz: „Die Medien müssen ihre Verantwortung ernst nehmen und eine Berichterstattung anbieten, die die Vielfalt der trans Erfahrungen anerkennt und widerspiegelt.“ Daher fordert das Bündnis: „Der Tages-Anzeiger und die Schweizer Medien müssen sich davon distanzieren, öffentlich Stigmatisierung zu propagieren, und sollten sich stattdessen darauf konzentrieren, trans Personen als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft darzustellen. Die persönlichen Meinungen von Journalist*innen wie Frau Binswanger müssen entsprechend deklariert werden und dürfen die offizielle Berichterstattung des Tages-Anzeigers nicht länger mit gefährlichen Narrativen und transfeindlichem Framing prägen.“

Binswangers Artikel zum Thema befassen sich ebenfalls mit den Kontroversen rund um die angemessene Behandlung von geschlechtsdysphorischen Minderjährigen, aber auch mit Konflikten zwischen bedingungsloser Anerkennung von Transpersonen und Frauenrechten. Der angeführte Beitrag des öffentlich-rechtlichen Senders SRF, der ebenfalls von den Aktivist_innen abgelehnt wird, befasst sich mit dem Phänomen „Detranstion“ – damit ist gemeint, eine vollzogene oder sich vollziehende sogenannte Geschlechtsangleichung soweit möglich rückgängig machen zu wollen. Allerdings bezieht der SRF-Beitrag auch Perspektiven von Transpersonen mit positiven Erfahrungen mit ein.

 

Leerstellen im positiven Bild von Geschlechtsangleichungen

Es scheint, als seien Transaktivist_innen Medienberichte ein Dorn im Auge, die aktivistische Forderungen in Frage stellen könnten, wonach jede Selbstäußerung einer Transidentität unhinterfragt zu akzeptieren sei. Viele Jahre lief Medienberichterstattung über Trans vornehmlich zugunsten der Aktivist_innen, indem persönliche Schicksale in den Mittelpunkt gestellt wurden, bei denen eine Geschlechtsangleichung die Ultima Ratio für ein gelingendes Leben war und natürlich einen positiven Ausgang hatte.

Als jedoch international über Anpassungen von medizinischen Leitlinien und gesetzliche Regelungen diskutiert wurde, deren Ziel eine Vereinfachung des Zugangs zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen ist, wurde deutlich, dass die medikamentösen und chirurgischen Behandlungen gerade bei Minderjährigen als experimentell eingestuft werden müssen. Zumal auch in allen westlichen Ländern aus bislang ungeklärten Ursachen die Zahl der Behandlungssuchenden anstieg, besonders unter Mädchen im Teenageralter.

Zugleich traten vermehrt Menschen, unter ihnen viele junge Frauen, an die Öffentlichkeit, die eine Geschlechtsangleichung inzwischen bereuen. Ebenso organisierten sie sich Vernetzungs- und Austauschplattformen, zum Beispiel auf Reddit. Das Forum dort hat, Stand März 2024, mittlerweile 52.831 Mitglieder. Die Britin Keira Bell machte 2020 international Schlagzeilen, weil sie gegen ihre früheren Behandler, den Gender Identity Developement Service (GIDS) der Londoner Tavistockklinik vor Gericht zog. Bell suchte als Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie im GIDS Hilfe, stellte aber als junge Erwachsene fest, dass sie keine geschlechtsangleichenden Behandlungen, sondern gute psychotherapeutische Unterstützung gebraucht hätte. Mit einer solchen Unterstützung hätte sie schon als Teenager mit Geschlechtsdysphorie als lesbische junge Frau erkannt werden können, statt als transitionsbedürftig. Dies hätte bei ihr eine Mastektomie sowie bleibende Veränderungen durch die eigentlich nicht erforderliche Testosteronbehandlung verhindert.

In Schweden führte 2018 ein Vorhaben der damals regierenden Sozialdemokraten, Altersgrenzen für eine Vornamens- und Personenstandsänderung sowie Einwilligung in geschlechtsangleichende medizinische Behandlungen drastisch senken zu wollen, zu kritisch-investigativer Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Diese wiederum hatte zur Folge, dass schwedische Gesundheitsbehörden die Evidenzbasis für den gender-affirmativen Ansatz mit Pubertätsblockern und gegengeschlechtlichen Hormonen untersuchten und als „mangelhaft“ beurteilten. In Großbritannien folgte auf Bell vs. GIDS der Cass-Review, der ein ähnliches Resultat brachte. Der GIDS wird als eine Konsequenz aus diesem Review inzwischen abgewickelt. Mittlerweile sind alle skandinavischen Länder und Großbritannien vom gender-affirmativen Ansatz bei Minderjährigen wieder abgerückt. Das heißt, für Minderjährige mit Geschlechtsdysphorie soll wieder Psychotherapie die erste Wahl sein, anstatt sie zügig einer medikamentösen und später chirurgischen Behandlung zuzuführen.

Auch in Deutschland nimmt die Kritik zu, Ende Februar wurde der Artikel „Beyond NICE: Aktualisierte systematische Übersicht zur Evidenzlage der Pubertätsblockade und Hormongabe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie“ veröffentlicht. Deren Autor_innen setzen sich mit den britischen Untersuchungsberichten zur Evidenzbasis für das gender-affirmative Behandlungskonzept auseinander sowie mit neueren Studien auf diesem Feld. Auch hier lautet die Bewertung „mangelhaft“.

 

Zunehmende Kritik als Gefahr

Unter diesen Rahmenbedingungen steht in Deutschland nun die Veröffentlichung der neuen Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik und Behandlung“ kurz bevor. Mutmaßlich wird diese Leitlinie weiterhin an Pubertätsblockern als Behandlungsoption festhalten, obwohl auch hierzulande die Kritik daran wächst.

Die Gemengelage ist hochkomplex, aber die derzeitigen Entwicklungen lassen erahnen, dass den Transaktivist_innen und ihren Verbündeten offenbar die Felle davonschwimmen. Daher wird nun versucht, Journalist_innen einzuschüchtern, um mit antidemokratischen, totalitären Mitteln einen Diskurs zum eigenen Vorteil zu beeinflussen. Die Aufgabe von Journalistinnen wie Martina Lenzen-Schulte ist es jedoch, gerade in so einer Situation die Komplexität zu vermitteln und nicht zur PR-Agentur von Aktivisten zu werden. Dazu sagte Lenzen-Schulte IQN gegenüber: „Es ist unser Auftrag als Journalisten, alle Facetten darzustellen und gerade in der Medizin ist das wichtig! Nur, wer alle Aspekte einer Behandlung kennt, kann eine informierte Einwilligung geben.“ Dazu gehören auch beim Thema Trans Nebenwirkungen von Medikamenten und unerwünschte Folgen von Operationen sowie Berichte von unzufriedenen Patient_innen. Trans darf eben nicht ausschließlich auf Glitzer, selbst erdachte Pronomen und bunte Flaggen reduziert werden. Das Bonmot „Sagen, was ist!“ des SPIEGEL-Gründers Rudolf Augstein, gilt nicht nur dann, wenn es zu den eigenen Zielen passt.

Ergänzung vom 24. März 2024: Auch Radio Canada scheint von Transaktivist_innen ins Visier genommen worden zu sein. Der kanadische öffentlich-rechtliche Sender hatte Anfang März in einem ausführlichen und differenzierten Beitrag über die Probleme mit frühzeitiger medikamentöser und chirurgischer Intervention bei Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie berichtet (siehe auch unseren Blogbeitrag). Nun wurde auf einem linksradikalen Blog ein Bekennerschreiben einer transaktivistischen Gruppe veröffentlicht. In diesem bekennen sie sich, in der Nacht vom 12. auf den 13. März 2024 Fensterscheiben des Sendergebäudes eingeworfen zu haben – weil ihnen die Berichterstattung nicht passte.

 


Hinweis in eigener Sache: Dr. med. Martina Lenzen-Schulte wird auch einen Beitrag im Jahrbuch Sexualitäten 2024 veröffentlichen. Die Release-Party findet übrigens am 5. Juli 2024 in Berlin statt – wir empfehlen sehr, sich diesen Termin vorzumerken!


Till Randolf Amelung ist Redakteur des Blogs der Initiative Queer Nations. Texte von ihm, insbesondere zu politischen, transaktivistischen Zielen, sind auch im Jahrbuch Sexualitäten 2021 (Politische Hybris. Wie der Transaktivismus seine Erfolge zu verspielen droht) und 2022 (Ist Psychotherapie mit den Menschenrechten von Transpersonen vereinbar? Ein Zwischenruf für die Berücksichtigung psychodynamischer Ansätze) erschienen. Darin hat er ebenfalls auf die Mängel beim gender-affirmativen Ansatz und die Entwicklungen im Ausland hingewiesen. Im November 2023 war er auf Einladung der CDU/CSU-Fraktion Sachverständiger im Familienausschuss zum Selbstbestimmungsgesetz.