Rechtsextremistin Marla-Svenja Liebich hat die Diskussion um das Selbstbestimmungsgesetz wieder entfacht. Trotzdem sich Liebich einer Haftstrafe durch Untertauchen entzogen hat, kehrt keine Ruhe ein. Was die Fürsprecher des Gesetzes nicht wahrhaben wollen: Der Fall entspricht exakt dem Grundgedanken des Gesetzes.

Menschen auf einer Demo für Transrechte in Schottland. Mehrerre Personen halten Schilder mit Slogans hoch. Symbolbild für Artikel: Liebich und die Folgen für das Selbstbestimmungsgesetz
Eine Demo in Schottland 2023 und mehrere Schilder mit dem Slogan „Trans Rights Now“: Das Prinzip der reinen Sprechakttransition gilt im internationalen Menschenrechtsdiskurs als Goldstandard (Foto von Thiago Rocha auf Unsplash).

7. September 2025 | Jan Feddersen

Die Entscheidung, sozusagen, ist vertagt: Marla-Svenja Liebich hat sich dem Haftantritt in der JVA Chemnitz durch Flucht entzogen, die deutschen Behörden wissen nicht, wie sie ihrer habhaft werden können. Mehrere Hundert verurteilte Rechtsextremisten haben sich der Verbüßung ihrer Haftstrafen entzogen und sind untergetaucht, Liebich ist nun eine dieser Personen.

Ihr Fall ist jedoch spezieller als andere, denn Liebich hat in den vergangenen Monaten Furore gemacht, weil sie sich trotz biologischer Männlichkeit als Frau identifizierte und in ein Frauengefängnis inhaftiert werden wollte. Wahrscheinlich exakt dafür wurde eine Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich“ vorgenommen. Das ist nach dem aktuell geltenden Selbstbestimmungesetz ohne Nachweise über die Plausibilität dieses Änderungsbegehren möglich. Und daraus folgt nun: Liebich hat in jeder Hinsicht rechtlich als Frau wahrgenommen zu werden.

Rechtsextrem und trans?

Öffentlich führte das zu erheblicher Resonanz: Wie kann das sein, dass ein bekennend queerfeindlicher Rechtsextremist sich als Frau identifiziert? Ist das ein Dilemma, weil das wesentlich dem queeren und grünen Identitätsaktivismus zu verdankende Gesetz einem Menschen nützlich wäre, der gemäß seiner rechtsextremistischen Gesinnung Queerem lieber ein Ende setzen würde? Dazu erklärte der an der Hochschule Merseburg lehrende Sozialwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß im MDR:

Das Selbstbestimmungsgesetz habe sich insofern bewährt, als „auch eine Person, die eher dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet wird und auch entsprechend verurteilt ist, eben davon Gebrauch macht, sich ‚Marla-Svenja Liebich‘ nennt und sich selbst als Frau bezeichnet und verortet. Aus meiner Sicht gilt es dann nach dem Selbstbestimmungsgesetz, dem wiederum Rechnung zu tragen, wie bei anderen Personen auch.“

Selbstbestimmung ohne Nachfragen

Und er hat völlig recht: Liebich, ob man diese Person nun, wie manche Medien, mit ihrem vormals männlichen Namen oder eben entsprechend der als weiblich amtlich dokumentierten Identität anspricht, hat das Selbstbestimmungsgesetz im Wortsinn mit Leben erfüllt. Die Gründe für die möglicherweise nur vordergründig neue Identitätskonfiguration dürfen nicht erfragt werden. Das Selbstbestimmungsgesetz hat ja gerade zum Ziel, die Beweggründe einer Person für eine andere Geschlechtsidentität nicht zu hinter- oder befragen. Transaktivistas behaupteten immer wieder, solche Befragungen seien traumatisierend und demütigend.

Das wirft in der Tat auf das Gesetz selbst ein mieses Licht: Ist das Selbstbestimmungsgesetz juristischer Sondermüll, seine Etablierung durch die vormalige Ampel-Regierung (und besonders durch die Grünen und die FDP) nur modischen Umständen der Zeit geschuldet? Oder war das immer im Spiel dieser durch das Gesetz eingeräumten Lebensmöglichkeiten? Spekuliert wird ja, dass sich Liebich bessere Haftumstände in einem Frauengefängnis verspricht. Oder dass diese Person durch die Aktion das Gesetz selbst der Lächerlichkeit preisgeben wollte? Wir wissen es nicht, Liebich selbst gab hierzu keine Auskunft.

Queere Aktivisten verteidigen Gesetz

Die realexistierende LGBTI*-Szene verteidigt das Gesetz – einige kommentieren nun jedoch, der Fall Liebich dürfe nicht das Selbstbestimmungesetz zur Disposition stellen. Bodo Niendel, vormals Experte in der Linkspartei-Bundestagsfraktion für Queeres, schreibt im nd:

„Das Hochjazzen der Causa Liebich und der Versuch der Union, das SBGG wieder zu kippen, will Mehrheiten in der Mitte und weiter rechts gewinnen. Minderheiten sollen Menschenrechte verwehrt und der Neoliberalismus weiter forciert werden.“

Das ist hübsch und für die Linkspartei weltanschaulich klassisch formuliert und zugleich am Problem vorbeigemogelt: Werden inhaftierte Frauen nicht durch medizinisch-pharmakologisch untransitionierte Personen (also: körperliche Männer) gerade in geschlossenen Räumen wie einem Gefängnis potenziell in Gefahr gebracht? Oder sollte man der Aktivistin Nora Eckert beipflichten, die auf queer.de befindet:

„Wie durchschaubar das schäbige Manöver ist, einen Einzelfall zur Krise des Rechtsstaats hochzustilisieren und einen Neonazi als Kronzeugen aufzurufen, um Minderheitenrechte in Frage zu stellen und lächerlich zu machen“.

Eckert weiter:

„Das SBGG muss sicher gemacht werden gegen jene, die es mit unlauteren Absichten in Misskredit bringen wollen.“

Doch das ist am Problem vorbeiargumentiert: Zu sagen, dass das Gesetz nur für nichtbinäre, Trans- und Interpersonen gelte, ist lächerlich. Das Gesetz definiert eben nicht, was unter „Nichtbinär“, „Trans“ oder „Inter“ zu verstehen wäre.

Mit anderen Worten: Das Gesetz, das sich vor dessen Beschlussfassung im Bundestag keiner Rechtsfolgenprüfung unterziehen musste, gilt auch für Personen wie Marla-Svenja Liebich. Ohne Prüfung. Nur durch Sprechakt. Dass Bundesinnenminister Alexander Dobrindt nun eine Kartei mit den Deadnames von seit 2024 sprechakttransitionierten Personen anlegen lassen möchte: Das ist die Folge eines Gesetzes, das juristisch einfach schlecht gemacht ist und der Reform nötiger denn je bedarf, und zwar gründlich.


Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.


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