Zum IDAHOBIT am 17. Mai bieten wir den Text von Georg Härpfer aus dem Jahrbuch Sexualitäten 2019 zum kostenfreien Download an! Härpfer beschreibt eindrücklich den langen Weg zur Rehabilitierung nach Paragraph 175 verurteilter Männer in der Bundesrepublik Deutschland. Am 22. Juni vor acht Jahren beschloss der Deutsche Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Doch ist nun alles gut?

17. Mai 2025 | Redaktion
Wie steht es um die Rehabilitierung der wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen verurteilter Männer nach Paragraph 175? Am 22. Juni 2017 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen. IQN gab für dieses rehabilitierende Gesetz den Impuls. Doch sind damit alle Probleme behoben und das vielen Männern angetane Unrecht getilgt?
Anlässlich des Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (IDAHOBIT) am 17. Mai lohnt sich ein Blick darauf, ob die Bundesrepublik Deutschland tatsächlich im notwendigen Umfang ihrer Verantwortung der Wiedergutmachung gerecht geworden ist. Immerhin erinnert dieser internationale Aktionstag in Deutschland nicht nur an den 17. Mai 1990, den Tag, an dem Homosexualität aus dem Diagnosemanual ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestrichen wurde, sondern aufgrund der Zahlenreihe auch an den unseligen Paragraphen 175. Letzterer wurde erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch getilgt.
Schwule leiden unter Altersarmut
Im April dieses Jahres hieß es in der Frankfurter Rundschau, dass viele schwule Männer von Altersarmut betroffen seien und diese eine wesentliche Ursache im Paragraph 175 habe. „Rund 50.000 schwule Männer wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs wegen gleichgeschlechtlicher ‚Unzucht‘ verurteilt, mindestens ebenso viele gerieten in staatliche Ermittlungsverfahren und noch mehr erlebten Jahrzehnte der Verfolgung, Razzien, Demütigungen und die totale gesellschaftliche Ächtung“, heißt es in diesem Zeitungstext. Deshalb sei den meisten Betroffenen eine „reguläre Karriere als Grundlage für eine menschenwürdige Rente“ verwehrt geblieben.
Bereits im Jahrbuch Sexualitäten 2019 stellte Georg Härpfer, der von der Gründung im Jahr 2015 bis 2019 im Vorstand der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) aktiv war, den Kampf um Rehabilitierung vor: „Diesem Beschluss [des Deutschen Bundestags von 2017] ging ein langer Kampf um die Aufhebung der menschenrechtswidrigen, in der BRD und der DDR ergangenen Urteile voraus, die zwischen 1945 und 1994 zehntausende Menschen aufgrund ihres gleichgeschlechtlichen Begehrens kriminalisierten. Allerdings wirft die Umsetzung des Gesetzes neue Probleme auf, die es angesichts des Alters der zu Unrecht Verurteilten möglichst rasch zu lösen gilt.“
Härpfer skizziert zunächst die Geschichte des § 175 StGB, schildert dann die Auseinandersetzungen um die Rehabilitierung der Verurteilten und fragt: Welches sind die drängendsten Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Gesetzes von 2017? Was sollte getan werden, um diese Probleme zu bewältigen? Und wer verhindert zügige Lösungen?
Härpfer hat in seinem Beitrag auch mit berührenden Fallbeispielen eindrücklich darauf hingewiesen, dass neben dem persönlichen der gesellschaftliche und wirtschaftliche Schaden immens gewesen war. Dies betraf nicht nur Männer mit rechtskräftigen Verurteilungen nach Paragraph 175, bereits der Verdacht sowie eine Anklage haben ausgereicht. Das erlittene Unrecht ging über Untersuchungshaft hinaus. Es kam auch zu „Entlassungen aus dem Öffentlichen Dienst, Kündigungen, Degradierungen, Entzug von Lehraufträgen an Hoch- und Fachhochschulen, von ärztlichen Approbationen, von Doktorgraden sowie fürsorgerische Unterbringung und medizinisch-psychiatrische Zwangsmaßnahmen“, wie Härpfer benennt.
IQN gibt Impuls für Rehabiltierungsgesetz
Das Gesetz zur Rehabilitierung homosexueller Männer, die auf Basis des nazivergifteten Paragraphen 175 unter bundesdeutschen Rechtsstaatsbedingungen verurteilt wurden, ging im Übrigen 2007 auf einen Impuls der Initiative Queer Nations zurück. Bodo Niendel, damals Vorstandsmitglied der IQN und queerer Fachreferent in der Fraktion der Linkspartei, hatte dieses Gesetz angestoßen. Die Grünen, bis dahin führend beim LGBT-Spektrum, hatten dies aus nachvollziehbaren Gründen zunächst abgelehnt: Eine Rechtsprechung und eine Gesetzlichkeit der Bundesrepublik im Nachhinein für irrig, ja, menschenrechtswidrig zu erklären, sei juristisch nicht machbar. Dass es dennoch gelang, diese Politik auch posthum zu verwerfen, lag wiederum auch am grünen und sozialdemokratischem Engagement.
Da das 2017 beschlossene Rehabilitierungsgesetz dem Ausmaß möglicher erlittener Schäden schwuler Männer nicht gerecht wurde, setzte sich Härpfer mit seiner Interessensvertretung BISS für möglichst unbürokratische Härtefallregelungen ein. Dennoch ist bis heute nicht alles abgeräumt, wie der Artikel in der Frankfurter Rundschau zeigt. „Die Zeit drängt, die Opfer des Schandparagrafen werden nicht jünger!“ – Härpfers Schlusssatz aus seinem Jahrbuch-Beitrag gilt heute umso mehr.
Hinweis: Eine Weiterverbreitung ist nur mit Angabe der jeweiligen Quelle, also der entsprechenden Jahrbuch-Ausgabe, zulässig. Ebenso ist eine Verwendung für kommerzielle Zwecke ohne Genehmigung untersagt.
Jahrbuch Sexualitäten 2019

Herausgegeben im Auftrag der Initiative Queer Nations e.V. von Janin Afken, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen und Benedikt Wolf.
Mit Beiträgen von Caroline A. Sosat, Torsten Flüh, Raimund Wolfert, Jan Feddersen, Benedikt Wolf, Patsy L`Amour laLove, Monika Gsell, Georg Härpfer, Christiane Härdel, Lily Kreuzer, Rainer Herrn, Friederike Mehl, Daniel Baranowski, Ansgar Martins, Jann Schweitzer, Benno Gammerl, Andrea Rottmann, Corina Erk und Sebastian Zilles.
275 S., 24 Abb., geb., Schutzumschlag, 15 x 22,3 cm, ISBN 978-3-8353-3525-7
Preis: € 34,90 (D) / € 35,90 (A) (Printausgabe ist vergriffen, nur noch als E-Book erhältlich)
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.