Vom Dorf als queerer Aktivist*innen in die Welt

Bericht zum Abend mit Queer Cinema: „Queer Lives Matter“ von Markus Kowalski am 8. April 2019

Von Torsten Flüh

Proppenvoll war Montag Abend war der Veranstaltungsraum der taz-Kantine in der Friedrichstraße. Die Initiative Queer Nations hatte Markus Kowalski eingeladen, seinen Film über junge, queere Aktivist*innen in Berlin, der Türkei, Marokko, Südafrika, Indien und Griechenland zu zeigen. Der Film beginnt in einem Dorf in Sachsen-Anhalt. Markus Kowalski an der Dorfkirche und fahrend auf dem Fahrrad. Seine Eltern haben beim Dreh der Dorfszenen geholfen. Vom Dorf in die Welt, aus dem Umfeld der eigenen Herkunft über die dörflichen Horizonte hinaus in die Welt markiert einen weiten Weg. Markus Kowalski reiste und wollte einfach einen Film über junge, queere Aktivist*innen in außereuropäischen Ländern drehen. Sie müssen um ihre Existenz und ihr Leben fürchten, sobald sie sich als schwul, lesbisch, bi oder trans outen. Kowalskis halbstündiger Film hat jüngst auf dem Berlin Independent Film Festival den Preis für den Best LGBT-Film gewonnen.

Markus Kowalski, vorgestellt zum Auftakt durch Manuel Schubert,IQN-Vorstand (Foto: Torsten Flüh)

Das deutsche Dorf als Bezugsrahmen wird im Video prägnant gesetzt. Das gehört zur Doku-Storyline und adressiert sich an LGBTs aus den ländlichen Regionen. Es kommt ziemlich authentisch rüber. Cut. Kowalski interviewt die bunten, hübschen und erhitzten Demonstant*innen auf dem Berliner CSD 2017. Man sieht: alle sind in bester Stimmung. Straight Messages. Alles wirkt queer. „No Racism“: Es gibt CSDler*innen aus Syrien, Venezuela … und Polen. Cut. Ab geht’s nach Istanbul, wo Markus Kowalski Aktivist*innen vom Kaos GL trifft. Sie leben gefährlich. Cuts aus Mobileclips von dezentralen, queeren Demos in Istanbul, verfolgt von Wasserwerfern der Polizei. Emigration ist (noch) keine Option für die Aktivist*innen – die politische Entwicklung in der Türkei ist kompliziert. Der Staat bekämpft Internetplattformen. Cut. Marokko, Casablanca. Das Mekka der Schwulen und Trans*gender in den sechziger bis neunziger Jahren ist heutzutage islamistisch geprägt. Die Protagonistin im Film, Hajar, hat ihren Job verloren, als sie sich als Lesbe outete. Die Queers vom Collectif Aswat müssen unerkannt bleiben, um nicht durch staatliche Willkür und Gewalt gefährdet zu werden. Cut. Kapstadt, Südafrika. Lesben in ehemaligen Townships müssen um ihr Leben fürchten. An der Uni in Johannesburg gibt es das Safe Zones Project, um junge LGBT’s zu schützen. Cut. Flug nach Mumbai, Indien. Nach zwei Stunden Odyssee im Slum trifft der Jungjournalist eine Trans-Aktivistin, die sich maskieren muss, um nicht ihren Job zu verlieren. Sie sagt: „Ich bin keine Hijra.“ – Aber Kowalski sagt nicht, was Hijras sein könnten. Natürlich weiß jede/r queere Berliner/in seit Herbst 2018 und der Hijra-Fantastik-Ausstellung von Claudia Reiche im Schwulen Museum, dass sie nicht-biologische Frauen sind. Denn es gibt da eine Gender-Diskussion über biologische Frauen unter Lesben. – Cut. In Athen trifft Kowalski Nour, der 2016 aus Syrien geflohen ist. Seine Familie in Syrien darf nichts von seiner Queerness, von seinem Schwulsein, von seinem Lebenswunsch nach nichtheterosexuellem Leben wissen. LGBTIQ Refugees. Queere Athener*innen helfen mit Solidarity Now. Cut. Abspann.

„Queer Lives Matter“, das kann man wohl in 30 Minuten sagen und zeigen. Doch der Schnitt ist ein Fernsehformat-Cut. Jung, engagiert, prima und auch mit Biss. Das Video kommt mit Charme und Message rüber. Die Diskussion, moderiert von IQN-Vorstandsmann Jan Feddersen, verlief dann allerdings recht kontrovers. Hat der Autor nicht etwa eine LGBTI*-Weltreise für Arme gemacht?, gibt einer aus dem Publikum zu bedenken? Und: Hat er nicht die Lage von Lesben und Schwulen und Trans*gender in Ländern übersehen, wo Queeres brutal verfolgt wird – etwa in Saudi-Arabien oder wenigstens in gesetzlicher Hinsicht wie in Russland? Und das Dorf in Sachsen-Anhalt ist eben doch nicht so ganz der Bezugs- und Beziehungsrahmen, wenn man den Master in Politikwissenschaft von der Freien Universität Berlin schon in der Tasche hat. Beifall für einen engagierten Journalisten!