Bericht zur Rainbow Lecture mit Patrick Henze am 29. März 2019

Von Frederik Schindler

Bis zum letzten Platz gefüllt ist die Kantine im neuen Redaktionsgebäude der taz an der Friedrichstraße 21 in der Südlichen Friedrichstadt Berlins: Die Initiative Queer Nations (IQN) hatte am 29. März gemeinsam mit der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft zu ihrer vierten Rainbow Lecture geladen. Mehr Gäste bei einer IQN-Veranstaltung, so Moderator Jan Feddersen aus dem IQN-Vorstand, gab es nur 2010 als Judith Butler in der Berliner Volksbühne sprach, die Ikone der Queer-Theorie.

Freitagabend zur Primetime zu Gast: Polittunte Patsy l’Amour LaLove, die gelegentlich als Geschlechterforscher Patrick Henze auftritt. Der Anlass: Die Veröffentlichung von Henzes Doktorarbeit über die westdeutsche Schwulenbewegung der Siebzigerjahre. Doktorin LaLove, ausnahmsweise nicht aufgefummelt, aber auf der Bühne durch rotes Scheinwerferlicht in Szene gesetzt, stellte auszugsweise einige Thesen und Ergebnisse ihrer Promotion vor, die vor wenigen Wochen im les-bi-schwulen Querverlag erschienen ist. Beifall für Henze, als bekannt wurde, dass er am gleichen Tag die akademische Erlaubnis erhalten hatte, den Doktortitel zu tragen.

20 Aktivisten und Aktivistinnen hatte Henze für seine Dissertation befragt, vor allem schwule Männer. Welchen Einfluss der 1971 erschienene Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (Regie Rosa von Praunheim, Drehbuch mit Martin Dannecker und Sigurd Wurl) auf die Entstehung der Bewegung hatte, kann gar nicht überschätzt werden.

Politfraktion und Lustfraktion

Der bald ein halbes Jahrhundert alte Film griff die Unzufriedenheit und den Drang zur Befreiung vieler Homosexueller auf. Als schwulenpolitisches Manifest sorgte er dafür, so Henze, dass sich zuvor vereinzelte Schwule vernetzten, vor allem aus dem studentischen Bereich.

Unterschieden werden könnten die schwulenpolitisch Bewegten laut dem Referenten holzschnittartig in eine Politfraktion und eine Lustfraktion. Während erstere eher an einer kritischen Gesellschaftsanalyse der bestehenden Verhältnisse und einer Beschäftigung mit und Erarbeitung von theoretischen Grundlagen beschäftigt gewesen sei, sei der zweiten Gruppe vorrangig Selbsterfahrung, das Besprechen schwuler Coming-Out-Erfahrungen sowie das „unmittelbare Erleben“ schwuler Emanzipation wichtig gewesen.

„Wir wollten uns aber nicht zufriedengeben“

Henzes Vortrag handelte vor allem davon, wie die schwulenbewegten Aktivisten ihre eigene Geschichte schrieben. Vor allem vier Ereignisse der Schwulenbewegung hebt er dabei hervor: Die erste Schwulendemo in Deutschland 1972, den sogenannten „Tuntenstreit“ um die Theorie zum eigenen Handeln und zur Selbstverortung politischer Positionen, das Festival „Homolulu“ 1979 in Frankfurt am Main sowie die Geschehnisse rund um eine Podiumsdiskussion in der Bonner Beethovenhalle, ebenfalls 1979 – mehr dazu im Buch. Ganz so kontrovers wie dort wurde es im Anschluss des Vortrags nicht – obwohl ein Redner die „sozialistische Revolution“ forderte und ein anderer ihm vorwarf, dass diese Sprache schon damals geeignet gewesen sei, „lange zu reden, ohne was zu sagen.“ Jan Feddersen, Coming-Out 1977 in Hamburg, gelang es, die damals Aktiven zu Wort kommen zu lassen, ohne das restliche Publikum mit ausschweifenden Co-Referaten der Diskutanten zu strapazieren.

Besonders spannend: Eine Aktivistin der Frauengruppe der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW), Christiane Härdel vom Freund*innenkreis Elberskirchen-Hirschfeld-Haus, berichtete über den Bruch mit den schwulen Männern in der HAW, in der sich auch viele lesbische und bisexuelle Frauen als „schwule Frauen“ organisiert hatten. Und ein anderer fasste in wenigen Sätzen zusammen, wie viele der damaligen Aktivisten dachten: „Man war mit einer Welt konfrontiert, mit der man sich zufriedengeben musste. Wir wollten uns aber nicht zufriedengeben, solange es keinen Grund zur Zufriedenheit gibt: Die Freiheit aller!“


Frederik Schindler ist freier Journalist und arbeitet unter anderem zu den Themen Antisemitismus, Islamismus und LGBT-Politik, vor allem für die taz und die Jüdische Allgemeine. Zuletzt erschien im Band „Queer in Israel“ bei Hentrich & Hentrich sein Beitrag zur Situation von LGBT-Personen im Nahen Osten.