Queere Jugendarbeit boomt auch abseits der Großstädte – doch der Fokus verschiebt sich, wie ein neues Handbuch zeigt: Trans und nicht-binäre Jugendliche stehen im Mittelpunkt, während Kritik am gender-affirmativen Ansatz kaum diskutiert wird. Was bedeutet das für die Zukunft queerer Pädagogik? Und: Sollte sie angesichts der ausgeübten Praxis überhaupt eine haben?

Eine junge queere Person hält eine Regenbogenflagge in der Hand, Symbolbild für Artikel "Wandel in der queeren Jugendarbeit: Fokus auf Trans".
Queere Jugend (Foto von Iara Correia auf Unsplash).

20. Dezember 2025 | Till Randolf Amelung

Angebote für Jugendliche, die sich unter dem Begriff „Queer“ wiederfinden, gibt es seit einigen Jahren nicht mehr nur in Berlin, München oder Köln. Inzwischen finden sich diese auch in der bundesdeutschen Provinz – also dort, wo noch vor zwanzig Jahren die meisten weg wollten, sobald sie merkten, nichts mit klassischer Heterosexualität am Hut zu haben. Doch was unterscheidet queere Jugendarbeit von anderer und was will sie erreichen? Fragen wie diese möchte das neue „Handbuch Queere Jugendarbeit. Was junge Queers stärkt und wie wir Offene Jugendarbeit gestalten“ klären.

Die beiden Herausgeber Folke Brodersen und Simon Merz verfügen über wissenschaftliche und praktische Erfahrungen im Feld, wie auch die weiteren AutorInnen. Unterstützt wurde die Arbeit am Handbuch von der Akademie Waldschlösschen und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Das Handbuch kann also mit einem Renommee aufwarten und zugleich ermöglicht es einen tieferen Einblick, was im Feld der queeren Pädagogik gerade passiert.

Trans dominiert

Recht schnell fällt auf, dass klassisch lesbische oder schwule Jugendliche offenbar keine Kernzielgruppe mehr darstellen. „Queer“ hat scheinbar nicht mehr so viel mit „homosexuell“ zu tun. Symptomatisch sind dafür bereits die Grußworte des Handbuchs, in denen der Transüberhang deutlich sichtbar ist. In einem von mehreren Interviews im Buch mit Menschen aus der queer-pädagogischen Praxis bestätigte beispielsweise Kay-Alexander Zepp, der das queere Jugendzentrum von Lambda Berlin-Brandenburg leitete, dass trans* und nicht-binäre Jugendliche den größten Teil der Teilnehmenden bilden würden.

Auch der Interviewer und Herausgeber Brodersen verknüpft eine Frage mit folgender Feststellung:

„Gerade in Gruppen, im Unterschied zu Freizeit- und Barformaten, beobachte ich, dass weniger cis* Jungs teilnehmen. Ist das einfach eine Verlagerung und trans* Jugendliche holen sich mehr Unterstützung in kleineren Strukturen? Oder ist das ein Problem, weil die Gruppe der cis* Jungs droht, verloren zu gehen?“

Darauf antwortet Zepp:

„Es trennen sich aktuell die Angebote. Gerade die breiteren, ‚queeren‘ Formate werden vor allem von trans*, nicht-binären und cis* weiblichen Jugendlichen besucht. Cis* Jungs haben dort in Teilen Angst, hinterfragt zu werden – auch in ihrer Männlichkeit.“

Torsten Schrodt, der u.a. die „ together“- Jugendprojekte in Nordrhein-Westfalen leitet, sieht folgende Gründe für die sinkende Attraktivität queerer Gruppenangebote bei schwulen Jugendlichen:

„Dabei ist auch eine Formulierung patriarchaler Unterdrückung nicht hilfreich. Viele Teilgruppen schließen sich darüber zusammen, schwule Jungs meiden aber entsprechend markierte Angebote. Dass bedeutet nicht, eine Patriarchatskritik aufgeben zu müssen. Aber doch in der Benennung der Angebote cis* schwule Jungs mit ihren Bedürfnissen und Bedarfen weiter abzuholen.“

Es könnte aber auch schlicht sein, dass Pronomenrunden und -buttons sowie der mehrfach bestätigte Überhang an „Trans“ kaum Gemeinsames für schwule Teenager schaffen – vielleicht sogar in gewisser Weise einfach uncool wirken.  

„Uncool“ wäre beim „Trans“-Thema jedoch das geringste Problem, mit dem sich queere Pädagogik auseinandersetzen sollte. Mehrere Beiträge im Handbuch machen deutlich, dass ein grundsätzlich affirmatives Verständnis leitend ist. Bei „Trans“ heißt dies, den jungen Menschen beim Wort zu nehmen und die geäußerte Geschlechtsidentität zu bestätigen – also gender-affirmativ zu handeln.  Skepsis oder Zurückhaltung werden als „Absprechen der Selbstbestimmung“ angesehen.

Auseinandersetzung mit Kritik fehlt

Kein Beitrag greift die ernstzunehmenden Entwicklungen um das gender-affirmative Modell auf, die derzeit im Ausland sichtbar werden und starke Zweifel an der Sicherheit für Kinder und Jugendliche aufkommen lassen. Diese Zweifel begründen sich vor allem daraus, dass die medizinische Evidenz für das gender-affirmative Modell zu schwach ist – also langfristige Risiken im Verhältnis zum möglichen Nutzen nicht ausreichend geklärt sind. Zuletzt veröffentlichte das Gesundheitsministerium Neuseelands einen Untersuchungsbericht mit entsprechendem Ergebnis.

Außerdem wurde diesen Sommer in den USA im Rahmen eines wegweisenden Verfahrens vor dem Supreme Court sichtbar, dass wesentliche Pfeiler gender-affirmativer Argumentation nicht tragfähig sind. So ist der Effekt von Pubertätsblockern auf das psychische Befinden zu positiv behauptet worden und konnte durch Studien nicht in der Stärke bestätigt werden. Auch das Suizid-Argument hat sich vor Gericht pulverisiert, da die gender-affirmative Seite im Protokoll dokumentiert zugeben musste, dass tatsächlich vollzogene Suizide bei Minderjährigen – glücklicherweise – selten sind.

Seit ungefähr 2014 wird in allen westlichen Ländern eine deutliche Zunahme an Jugendlichen festgestellt, die sich als „trans“ outen. Die Mehrzahl davon ist biologisch weiblich, und viele unter ihnen weisen häufig schwerwiegende psychische Erkrankungen auf, Autismus oder andere Erschwernisse im Gepäck. Solche Jugendliche ohne Umschweife beim Wort zu nehmen und damit zu schnell in eine Richtung zu lenken, die auch irreversible medizinische Eingriffe beinhalten kann, führt im Ausland mittlerweile zu lauter werdenden Klagen über doch zu vorschnell vollzogene Hormonbehandlungen oder chirurgische Eingriffe.

Gerade Hormontherapien und Operationen – insbesondere am Genital sowie die Entfernung der Keimdrüsen – machen Menschen zu dauerhaften Patienten. Einiges an bekanntgewordener Unzufriedenheit und Reue lässt sich auch darauf zurückführen, dass die Betroffenen von unerwünschten Nebenwirkungen überrascht wurden oder erhebliche Komplikationen durch operative Eingriffe zu beklagen haben, bzw. deren Effekte nicht den möglichweise überhöhten Erwartungen entsprachen.

Folke Brodersen und Simon Merz (Hg.): Handbuch Queere Jugendarbeit, 272 Seiten, etece buch 2025, 20 Euro (bis 31.01.2026), danach: 25 Euro.

Ausschließlich gender-affirmativ

Ein Beitrag von zwei zum Thema „Trans“ arbeitenden Queer-PädagogInnen zeigt, dass es für die VerfechterInnen eines gender-affirmativen Vorgehens nicht vorstellbar scheint, ein „Nein“ zu medizinischen Maßnahmen könnte auch in einigen Fällen gerechtfertigt sein:

„Diese Unterstützung ist dann nicht gegeben, wenn Angehörige und Fachkräfte beeinflusst durch Vorwürfe eines ‚Trends‘ oder ‚Hypes‘ immerwährend die Geschlechtsidentität des Kindes anzweifeln und Transitionsmaßnahmen sogar aktiv blockieren.“

Dieser gender-affirmative Grundtenor findet sich auch im Beitrag „Neurodivergenz in der queeren Jugendarbeit“. Unter „Neurodivergenz“ fallen beispielsweise ADHS oder Autismus. Das Streben nach einer Diagnose aus dem Bereich der Neurodivergenz und das Bekenntnis dazu haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Im Beitrag heißt es:

„Wie auch beim Thema Queer/Trans* führt die erhöhte Sichtbarkeit gleichzeitig dazu, dass besonders jugendliche Menschen sich Vorwürfen eines ‚Trends‘ oder ‚Hypes‘ ausgesetzt sehen. Dies ist vor allem der Fall, wenn sie sich öffentlich sowohl als queer als auch als neurodivergent positionieren. Dies führt teilweise sogar dazu, dass autistischen Jugendlichen die Validität ihrer jeweiligen Geschlechtsidentität bei einer Verknüpfung von Neurodivergenz mit Transidentität abgesprochen wird oder ihr Gegenüber vermutet, dass die Transidentität aus der Neurodivergenz heraus ‚eingebildet‘ wird.“

Im britischen Cass-Review, der 2024 veröffentlicht wurde und zur Schließung der gender-affirmativen Ambulanz in der Londoner Tavistockklinik führte, wird darauf hingewiesen, dass es eine Häufung bei Jugendlichen in der Kombination von Autismus und „Trans“ gibt, weshalb künftig Untersuchungen auf ADHS und Autismus Teil der Diagnostik sein sollen, wenn sich ein junger Mensch mit Transitionsbegehren vorstellt. Dies bedeutet jedoch nicht, junge Menschen „nicht ernst zu nehmen“, wie von VertreterInnnen der queeren Pädagogik behauptet wird. Vielmehr soll ein ganzheitlicher Blick verhindern, dass alles auf „Trans“ fokussiert wird, ohne dass der junge Mensch wirklich eine Chance hatte, auch andere Lösungsmöglichkeiten für die erlebte Geschlechtsdysphorie zu sehen.

Keine tatsächliche Machtkritik

Bemerkenswert ist nicht nur die Ignoranz der skizzierten Entwicklungen, die zur höchsten Vorsicht in Bezug auf den gender-affirmativen Ansatz mahnen sollten. Die Fixierung auf „gender-affirmativ“ konterkariert geradezu ein Selbstverständnis queerer Pädagogik, die Identität und Sexualität in fast allen Handbuch-Beiträgen als fluide, veränderbar verstehen möchte. Die jungen Menschen sollen Möglichkeiten und Räume zur Selbstfindung bekommen.

Es wird ein Selbstverständnis als machtkritisch formuliert, man wolle queeren Jugendlichen einen Freiraum aus dem heteronormativ geprägten Alltag bieten. Doch diese Ansprüche werden da nicht eingelöst, wo man ausschließlich gender-affirmativ mit „Trans“ umgeht, und keine kritischen Fragen stellen möchte, warum der Anteil von biologischen Mädchen so überwiegt und ob wirklich allen von ihnen mit Affirmation geholfen ist. Stattdessen wird in Kauf genommen, dass junge Menschen zu schnell auf einem Pfad landen, der irreversible medizinische Maßnahmen beinhaltet.

Das Handbuch eignet sich wohl vornehmlich als Zeitdokument, in dem sich das Wesentliche bündelt, wo eine Jugendarbeit, die sensibel für nicht-heteronormative Teenager sein will, irgendwann falsch abgebogen ist. Und das ist durchaus tragisch, denn wir brauchen eine solche Sensibilität und Empathie in pädagogischen Settings. Doch der kritiklose Umgang mit dem gender-affirmativen Ansatz könnte ein mächtiger Stolperstein werden, der die gesamte queere Pädagogik langfristig zu diskreditieren droht.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.