In loser Folge stellen wir Aufsätze aus älteren Ausgaben des Jahrbuchs Sexualitäten gratis zum Download bereit. Diesmal und pünktlich zur Eurovision-Saison 2021: „ESC – Queeres Weltkulturerbe“.

(c) Unsplash/Jason Rosewell


Jan Feddersen untersucht in seinem Essay, erstmals erschienen im Jahrbuch Sexualitäten 2029, wie aus dem angegilbten „Grand Prix“ eine schwule, eine queere Familienshow globalen Profils wurde. Wir stellen den Essay zum kostenlosen Download zur Verfügung.


Ein queeres Festival – wie Woodstock, nur Jahr für Jahr, falls nicht wie im Frühjahr 2020 Corona alles in den Lockdown brachte: Der Eurovision Song Contest ist seit 1956 die queere Familienshow schlechthin, generationen- und sexualorientierungsübergreifend. #

Doch der Wettbewerb ist wesentlich, in den Backgrounds, von schwulen Männern geprägt – und das nicht erst seit Conchita Wursts Triumph 2014, sondern von Anfang an: Weil der ESC, der früher in Deutschland Grand Prix Eurovision de la Chanson genannt wurde, über die Horizonte weiß, der eigenen Nation vor allem – und weil dieses Fest von der heteronormativen Popkultur unbeachtet blieb. Kurzum: Der ESC ist ein Queeres Weltkulturerbe.

Jan Feddersen, Vorstand von IQN, hat für das Jahrbuch Sexualitäten 2019 einen historisch und kulturwissenschaftlich versierten Essay zum Thema geschrieben. Der langjährige Experte der ARD zum Thema sagt, worauf unsereins stolz sein kann: Auf das Populäre, das wir selbst mit bestimmt haben.

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Auszug aus dem Essay:

„Dieser Text spiegelt (…) eine seit 30 Jahren währende, mehr und mehr professionell orientierte Suchbewegung mit folgender Frage: Gibt es eine schwule Kultur, die unter dem Radar der heteronormativ-öffentlichen Wahrnehmung gelebt wird – und verhält diese sich sogar antipodisch zu dieser? Meine Position in diesem Feld ist über die des Analysierenden und Beobachtenden hinaus eine des Zeitzeugen und des Agierenden. 1996 wechselte innerhalb der ARD die Senderverantwortung für den ESC – vom Mitteldeutschen Rundfunk, der nichts mit dem internationalen Showformat anfangen konnte, zum NDR und dessen damaligem TV-Unterhaltungschef Jürgen Meier-Beer, erfahren in der Übertragung von TV-Showevents, etwa der Ausstrahlung des internationalen Live-Aid-Konzerts am 13.Juli 1985, ein global inszenierter Benefizabend für an Aids erkrankte Menschen.

Nach dem journalistisch begründeten Kontakt bei der ersten vom NDR verantworteten deutschen Vorentscheidung im Frühjahr 1996, fragte ich Meier-Beer im Jahr darauf, ob er überhaupt ahne, dass er in seinem beruflichen Projekttableau mit dem ESC eine Show verantworte, die im Kern für schwule Männer als deren Fans so wichtig sei wie für andere, meist heterosexuelle Männer eine Fußball-WM oder in den USA der Super Bowl?

Fortan nahm Meier-Beer diese Perspektive stetig mit ein, was erstaunlich war für einen heterosexuell lebenden Mann: der ESC als kulturelles Hochamt mit einer damals schon existierenden Struktur an Fanclubs, die wesentlich von schwulen Männern getragen werden. Denn das war ja seit meiner ersten Akkreditierung zu einem ESC, den ersten journalistischen Ausflügen zu deutschen Vorentscheidungsshows so klar, wie es nur sein konnte: Die angereisten ESC-Aficionados einte eine gewisse Queerness – es waren überwiegend schwule Männer, ob unter Journalisten oder im Publikum, bei den Fans. Dass dies in nationaler Hinsicht sich so verhält, war einerseits ohnehin verblüffend – wo, jenseits des direkt subkulturell-infrastrukturellen Kontextes, trifft man homosexuelle Männer als Gruppe sonst? –, andererseits entsprach dies den eigenen Lebenserfahrungen: Wer über den ESC sich austauschen wollte, war bei heterosexuell orientierten Kollegen immer an der falschen Adresse.“

Auszug aus „Queeres Weltkulturerbe – Wie der Eurovision Song Contest ein schwules Ereignis globalen Profils wurde*“, Jan Feddersen, Erstveröffentlichung im Jahrbuch Sexualitäten 2019, Wallstein Verlag, Göttingen, ISBN 978-3-8353-3525-7

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Auf ein Wort in eigener Sache

Die Intiative Queer Nations arbeitet ehrenamtlich. Wir stellen diesen Text zum kostenlosen Download bereit. Die Produktion und der Druck des Jahrbuchs Sexualitäten sind indes nicht kostenlos.

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