Pinkwashing – Fortschritt – Nationalisierung: Zu Aeyal Gross‘ Kritik am Homoglobalismus. Oder: Gibt es eine Global Gay Governance?

Am 3. Mai 2019 sprach Aeyal Gross, Professor für internationales Recht und Verfassungsrecht an der Universität Tel Aviv, zum Thema „Homoglobalismus“ und zur Frage, ob es eine Global Gay Governance gibt. Torsten Flüh hat die Lecture beobachtet.


Aeyal Gross und Jan Feddersen (re.) in der taz-Kantine | Foto: Torsten Flüh


von TORSTEN FLÜH

Aeyal Gross lehrt als Professor für Internationales Recht und Verfassungsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Tel Aviv. Er kritisierte und dekonstruierte in der 5. Rainbow Lecture als queerer Aktivist Pinkwashing, Homoglobalismus und Global Gay Governance. Seine Familiengeschichte ist mit Berlin verknüpft. Sein Vater lebte in der Neuen Grünstraße in Berlin-Mitte auf und musste 1933 verlassen. Am 5. April 1933 erhielt er ein Visum für Palästina als Reisender von der Britischen Botschaft in Berlin.

Aeyal Gross projizierte das Dokument am 3. Mai für seine Rainbow Lecture in der Kantine der taz in der Friedrichstraße. Es war die 5. Rainbow Lecture, mit der auf auch kontroverse Weise der 150. Geburtstag von Magnus Hirschfeld von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und der Initiative Queer Nations e. V. in Kooperation mit der taz gefeiert wird.

Aeyal Gross sieht sich sozusagen seinem Familienerbe wie dem Erbe Magnus Hirschfelds verpflichtet. Ist die liberale Politik der Regierung Netanjahu ein Fortschritt für die Rechte von LGBTI*? Oder wird sie strategisch genutzt, um Israel in einem besseren Licht erscheinen zu lassen? In Israel werden gleichgeschlechtliche Ehen, die im Ausland geschlossen worden sind, zwar respektiert. Aber zuletzt wurde im Juni 2018 in der Knesset ein Gesetzentwurf zur Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Ehen mit 42 zu 39 Stimmen abgelehnt.

Gleichwohl propagiert die konservative, israelische Regierung von Benjamin Netanjahu, dass Israel im Vergleich zu seinen arabischen Nachbarländern besonders gay friendly sei. Aeyal Gross führte in seiner Rainbow Lecture nun zahlreiche Beispiele an, wie das Paradox von staatlicher Vereinnahmung und Verhinderung von verfassungsrechtlich formulierten Grundrechten ständig aufgeführt wird. Als Verfassungsrechtler nimmt Gross wenigstens seit 2015 eine standhafte Position zum Pinkwashing ein.

„Israel“ tut alles für LGBTI*, damit es ihre Rechte nicht umsetzen muss

Pinkwashing, Homoglobalismus und Global Gay Governance wurden und werden von Aeyal Gross engagiert in Frage gestellt. Man könnte sagen, dass die Regierung „gay pride“ unterstützte, damit sie die Rechte nicht umsetzen muss. So habe ich das zwar auch nicht im Vortrag von Ayal Gross gehört, aber das scheint mir der springende Punkt. „Israel“ tut alles für LGBTI*, damit es ihre Rechte nicht umsetzen muss. Nach Haaretz formulierte er es 2015 etwas anders.

Jan Feddersen, der den Vortrag in der taz-Kantine moderierte und danach fragte, ob die aktuelle Politik nicht schon ein erfreulicher „Fortschritt“ für die Rechte von LGBTI*s in Israel und der Welt sei, wollte Gross‘ Ausführungen nicht folgen. Man muss aber den Unterschied machen, ob man verfassungsrechtlich für einen Staat argumentiert oder ob man aus einem allgemeinen Gefühl des Fortschritts von schwulen Rechten in der Welt spricht. Das Gefühl des Fortschritts wird im Falle Israels ganz offensichtlich von der Regierung instrumentalisiert.

Aeyal Gross und die händchenhaltenden IDF-Soldaten | Foto: T. Flüh

Vielleicht sind Schwule ganz besondere Gefühlswesen. Sie fühlen sich frei und geschützt, wenn sie wie nach Gross in Tel Aviv bestimmte Areale zugewiesen bekommen. Er benutzt den abwertenden Begriff Propaganda, um die politische Strategie deutlich zu machen. Propaganda spricht Gefühle an, um sie zu verstärken und für politische Zwecke zu nutzen.

So spricht die Musik Gefühle scheinbar unvermittelt an, verstärkt, kanalisiert und steigert sie. Doch auch durch Bilder wie das im Internet aufgetauchte Foto von zwei händchenhaltenden israelischen Soldaten im Dienst auf einer Facebook-Seite. Der eine Soldat telefoniert, während er mit seinem „Freund“ an der Hand auf einer Straße in einem Wohngebiet geht. Wenigstens das Sicherheitsgefühl wie das Normalitätsgefühl werden mit dem Foto angesprochen.

Der Begriff Homoglobalismus beschreibt einen Wandel in politischen Strategien wie beispielsweise Israel, in denen „Homosexuelle“ soweit normalisiert wurden, dass sie im Militär im nationalen Interesse agieren

Neben Pinkwashing wendet sich Aeyal Gross gegen Homoglobalismus. Diesen Begriff hat er erst in den letzten Jahren entwickelt. Er beschreibt damit einen Wandel in politischen Strategien wie beispielsweise Israel, in denen „Homosexuelle“ soweit normalisiert wurden, dass sie im Militär im nationalen Interesse agieren. Seine Kritik an einer Gay Global Governance ist nicht etwa als Studie abgeschlossen, sondern ein „Work in progress“.

Er knüpft dabei bereits im Titel an die Queer Theory an: Gay Governance: A Queer Critique. Es geht mit dem Beispiel der Verweigerung von Unterstützung des Gesundheitswesens 2011 in Uganda, weil LGBTI*-Rechte dort nicht umgesetzt bzw. schwule Ugander verfolgt werden, um eine Strategie des money speaks.

David Cameron knüpfte als konservativer Premierminister die Vergabe von Hilfsmitteln an die Einhaltung und Umsetzung von Rechten der LGBTI* in Uganda. Als konservativer Politiker und Wegbereiter des Brexits hat David Cameron insofern eine Gay Governance zu einer machtpolitischen Entscheidung gegenüber Uganda benutzt.

Aeyal Gross spricht mit seiner Kritik einen überaus wichtigen und problematischen Bereich der Männlichkeit im Spektrum des schwulen Männlichkeitsaktivisten Jack Donovan, The Way of Men 2012, an. Die Normalisierung der Homosexuellen inklusive Lesben hat dazu geführt, dass sie wie Donovan mit Männlichkeits- und Rassephantasien im Spektrum der Neuen Rechten agieren. Deshalb ist Richard Grenell als Botschafter der USA in Berlin kein singulärer Betriebsunfall, sondern ein Symptom. Dem muss selbstverständlich argumentativ entgegengewirkt werden. |


Hinweis: Dieser Text stellt eine vom Autor gekürzte Fassung seiner ursprünglichen Besprechung der Lecture dar. Lesen Sie Torsten Flühs ungekürzte Version auf seinem Portal NIGHT OUT @ BERLIN.