Im September finden im Abstand von nur einer Woche zwei medizinische Fachkonferenzen statt: eine trans-affirmativ orientierte in Hamburg und eine mit kritischer Haltung gegenüber dem affirmativen Modell in Berlin. Es ist eine vertane Chance, den fachlichen Diskurs in einer gemeinsamen Veranstaltung zu suchen und somit der Verantwortung insbesondere gegenüber Minderjährigen gerecht zu werden.

24. August 2025 | Till Randolf Amelung
Nicht nur politisch, auch in medizinischer Hinsicht gibt es im Themenfeld „Trans“ Kontroversen. Besonders wenn es um die Frage geht, ob bereits Kinder und Jugendliche in einer vom biologischen Geschlecht abweichenden Geschlechtsidentität bestätigt werden sollen, auch mit Hilfe von Medikamenten wie Pubertätsblocker. Im September werden in Deutschland gleich zwei Fachkonferenzen stattfinden, die sich mit diesen aktuellen stritten Fragen beschäftigen wollen: Vom 4. bis 6. September veranstaltet die European Professional Association for Transgender Health (EPATH) in Hamburg eine Konferenz. Nur eine Woche später lädt die Society for Evidence-Based Gender Medicine (SEGM) nach Berlin ein.
Proteste gegen SEGM-Veranstaltung
Doch der Umgang mit diesen beiden Veranstaltungen unterscheidet sich erheblich: Gegen die Konferenz der SEGM wird zu Protest aufgerufen. Die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit e.V. (dgti) schrieb gar am 10. Juni in einer Pressemeldung:
„Vor der Teilnahme an dieser Tagung wird an dieser Stelle ausdrücklich gewarnt, weil diese Veranstaltung aufgrund begründeten Verdachts gegen die Gesundheitsversorgung geschlechtsdiverser Menschen gerichtet ist.“
Auf Instagram postete ein Bündnis namens „Transfeinde stressen“ am 22. August:
„Wir lassen nicht zu, dass in Berlin transfeindliche Hetze als seriöse Wissenschaft verkauft wird. Wir treten ein für eine Gesundheitsversorgung, die auf den Bedürfnissen, Rechten und der Selbstbestimmung von trans Menschen basiert und nicht auf Ideologie und Falschinformation.“
Ein Blick in das sehr dichte Konferenzprogramm zeigt, weshalb Transaktivistas so auf die SEGM-Veranstaltung reagieren. Der Fokus dieser Konferenz liegt auf dem Feld „Geschlechtsdysphorie bei Minderjährigen“ und thematisiert wesentliche Aspekte, die in den vergangenen Jahren für Kontroversen gesorgt haben. Insbesondere versammeln sich dort Personen, die das von Transaktivistas promotete gender-affirmative Modell bei Kindern und Jugendlichen kritisieren. Mit „gender-affirmativ“ ist gemeint, die geäußerte Geschlechtsidentität ohne Umwege zu bestätigen und so früh wie möglich mit Pubertätsblockern sowie gegengeschlechtlichen Hormonen in die körperliche Entwicklung einzugreifen.
Schwache Evidenz
Doch die medizinische Evidenz für diesen Ansatz ist schwach, was bedeutet, dass langfristige Risiken für die mit Pubertätsblockern Behandelten unbekannt sind und daher nicht ausgeschlossen werden können. Besonders eindrücklich belegte dies der Cass-Report aus Großbritannien, weitere Paper aus anderen Ländern stützen den Befund. Vorliegende Berichte legen auch nahe, dass bei dem affirmativen Ansatz Kinder und Jugendliche durchs Raster rutschen, die andere Unterstützung für ihre Probleme mit dem Geschlecht benötigen, aber keine medikamentösen Eingriffe in die biologische Entwicklung.
Es ist bekannt, dass gerade Mädchen und Jungen mit einer krisenhaften homosexuellen Entwicklung Geschlechtsdysphorie empfinden können. Ebenso sind Mädchen generell anfälliger für Pubertätskrisen mit geschlechtsdysphorischen Empfinden. Weitere Risikogruppen sind Minderjährige mit Autismus sowie Belastungen durch schwerwiegende frühe Traumatisierungen, insbesondere durch sexuelle Gewalt.
Für Transaktivistas und ihre Verbündeten im medizinischen Feld gilt jedoch, dass in allen Fällen die Affirmation der Geschlechtsidentität Vorrang haben soll. Eine ausführliche psychiatrische Differentialdiagnostik und ein Erforschen anderer Lösungsmöglichkeiten wird als „transfeindlich“ abgekanzelt. Dies wird von anderen medizinischen und psychotherapeutischen Fachleuten zunehmend in Zweifel gezogen, auch vor dem Hintergrund, dass es in den vergangenen zehn Jahren einen spürbaren Anstieg an Behandlungssuchenden gab, der bislang nicht plausibel erklärt werden kann. Außerdem gibt es zunehmend Berichte über junge Menschen, die sich im Nachhinein durch irreversible Eingriffe einer Transition geschädigt fühlen, da ihnen vorher keine alternativen Wege aufgezeigt wurden.
Nur gender-affirmativ?
Im Programm der SEGM-Konferenz werden all die strittigen Fragen aufgegriffen und zur Diskussion gestellt. Niemand der gelisteten Referenten will eine Gesundheitsversorgung für „geschlechtsdiverse Menschen“ abschaffen. Gleichwohl aber wird in Frage gestellt, ob es nur „affirmation only“ geben darf – und das ist nicht nur legitim, sondern angesichts der Irreversibilität medizinischer Transitionsmaßnahmen und der besonderen Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen auch notwendig.
Im Gegensatz dazu wirkt das Programm der EPATH-Konferenz so, als würden kritische Perspektiven auf das affirmative Modell keine faire Würdigung erhalten. Hier treten, soweit auf der Website des Veranstalters ersichtlich, nur VerteidigerInnen dieses Ansatzes auf. Auch der Psychiater Georg Romer und seine Schweizer Fachkollegin Dagmar Pauli werden dort sprechen, beide verantworten maßgeblich die umstrittene deutsche S2k-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnose und Behandlung“.
Wie schwer sich Romer mit Kritik am von ihm vertretenen affirmativen Ansatz zu tun scheint, offenbarte sich 2024 auf der Jahreskonferenz der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP). Dort war eine Diskussionsveranstaltung im Programm geplant, bei der neben Romer auch zwei Kritiker am affirmativen Modell, Florian Zepf und Veit Rössner, sprechen sollten. Jedoch waren die Bedingungen kurzfristig so gestaltet worden, dass Zepf und Rössner keinen gleichberechtigten Raum bekamen, ihre Kritik vorzutragen und zogen daher ihre Teilnahme wieder zurück.
Politische Wertschätzung für trans-affirmative Konferenz
Interessant ist zudem, wie unterschiedlich die Aufmerksamkeit der Politik ist, die den Konferenzen zuteilwird: Die trans-affirmative EPATH-Konferenz wird von der Hamburger Wissenschaftssenatorin Maryam Blumenthal (Bündnis 90/ Die Grünen) mit einem Grußwort beehrt, was freilich zur Linie ihrer Partei passt. Auf der SEGM-Konferenz wird sich offenbar kein politischer Vertreter sehen lassen. Dafür wird diese Konferenz aber von der International Association of Child and Adolescent Psychiatry and Allied Professions (IACAPAP), der internationalen medizinischen Fachorganisation der Kinder- und Jugendpsychiater, empfohlen. Auf der Website der EPATH-Konferenz sieht man hingegen kein Logo einer medizinischen Fachgesellschaft bei den Unterstützern.
Nun werden im kommenden Monat also zwei inhaltlich gegensätzliche Konferenzen stattfinden. Dabei wäre es notwendig, diese unterschiedlichen Perspektiven in einer gemeinsamen Konferenz zu diskutieren, um die bestmöglichen Behandlungsansätze für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie zu entwickeln.
Wohin das Beharren auf Ideologie, anstatt auf ethischer Verantwortung und medizinischer Evidenz führen kann, ist eindrucksvoll am Beispiel der USA zu sehen. Dort haben Trumps MAGA-Republikaner das Thema erfolgreich besetzen können und reihenweise gesetzliche Verbote für Behandlungen nach dem affirmativen Modell bei Minderjährigen erlassen. Zuletzt bestätigte der Supreme Court, dass solche Verbote nicht gegen die Verfassung verstoßen.
Gesetzliche Verbote sind die Blutgrätsche, die ein Staat einsetzen muss, wenn die Fähigkeiten zur Korrektur in einem wissenschaftlich-medizinischen Feld nicht mehr vorhanden sind. Die deutschen Transaktivistas und ihre Allies wären also gut beraten, nicht gegen die SEGM-Konferenz zu protestieren, sondern das Gespräch mit den dortigen Fachleuten zu suchen und sich zu fragen, ob man mit „affirmation only“ wirklich allen hilft.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.