Der Fall von Marla-Svenja Liebich konfrontiert wie kein anderer die Öffentlichkeit mit den Schwachstellen des Selbstbestimmungsgesetzes. Sogar dem Transaktivismus sonst zugeneigte Medien berichten in der Folge kritischer. Für Frauen ist es ein Desaster, dass erst Liebich die Aufmerksamkeit für die Risiken der selbstbestimmten Geschlechtsidentität brachte.

1. September 2025 | Till Randolf Amelung
Marla-Svenja Liebich, eine rechtsextremistische Person aus Sachsen-Anhalt, machte in den vergangenen Monaten Schlagzeilen, weil sie ihren Personenstand und ihren Vornamen mithilfe des Selbstbestimmungsgesetzes ändern ließ und seither allen Anwaltspost zukommen lässt, die behaupten, sie sei nicht schon immer eine Frau gewesen. Und noch wichtiger: Liebich wurde inzwischen rechtskräftig zu 18 Monaten Haft verurteilt und wurde zum Antritt der Haft in die Frauen-JVA nach Chemnitz vorgeladen. In den Medien diskutierte man nun, ob Liebich trotz nicht vollzogener medizinischer Angleichung an den weiblichen Geschlechtseintrag in das Frauengefängnis aufgenommen werden muss oder was es sonst noch für Optionen geben würde. Inzwischen steht fest, dass wir vorerst nicht erfahren werden, zu welchem Ergebnis man gekommen wäre, da Liebich kurzerhand untergetaucht ist.
Warnungen vor Risiken im Selbstbestimmungsgesetz
Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es seit November 2024 allen erwachsenen BürgerInnen in Deutschland, ohne Plausibilitätsnachweis den Vornamen und Geschlechtseintrag zu ändern. Es war eines der Lieblingsprojekte der Ampel-Koalition unter dem ehemaligen sozialdemokratischen Kanzler Olaf Scholz. Bereits vor der Verabschiedung im Bundestag gab es viele Warnungen, dass eine voraussetzungslose Personenstandsänderung für Probleme sorgen wird. Insbesondere, dass es dann schwieriger wird, biologische Männer mit einer solchen Personenstandsänderung aus Frauenräumen zu verweisen.
CDU/CSU haben das Selbstbestimmungsgesetz von Anfang an abgelehnt, auch mit Verweis auf die Sicherheitslücken. Die aktuelle Liebich-Farce war also absehbar. Daher kommt nun von Innenminister Dobrindt (CSU) der Vorstoß, dass man diese Lücken im Gesetz schließt und nicht mehr bis zur im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vereinbarten Evaluation des Selbstbestimmungsgesetzes abwartet.
Seine Parteikollegin Susanne Hierl hat das Selbstbestimmungsgesetz bereits in der vorherigen Legistlaturperiode kritisch begleitet:
„Der Fall Liebich zeigt eindrücklich, wozu die Möglichkeit einer voraussetzungslosen Änderung des Geschlechtseintrags führt. Unsere Bedenken waren begründet – selbst beim offensichtlichen Missbrauch des Gesetzes kann die Änderung des Geschlechtseintrags nicht verhindert werden. Dieses Gesetz wird dem Schutz vulnerabler Gruppen und auch den wirklich Betroffenen nicht gerecht. Für mich ist klar: Das Selbstbestimmungsgesetz ist so nicht tragbar. Spätestens nach der vereinbarten Evaluierung muss ernsthaft über eine Neuregelung gesprochen werden.“
Doch die SPD hat bereits klargestellt, dass es mit ihr keine Änderungen am Selbstbestimmungsgesetz geben werde, wie deren rechtspolitische Sprecherin Carmen Weggemann gegenüber dem ZDF sagte. Falko Droßmann, der queerpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte gegenüber dem Spiegel: „Pauschale Verschärfungen oder ein Rückdrehen des Gesetzes lehne ich klar ab“.
Zustimmung sinkt
Dabei zeigen Ergebnisse einer von der Zeit beauftragten Umfrage, dass die Zustimmung zum Selbstbestimmungsgesetz in der Bevölkerung schwindet:
„Das Recht, das eigene Geschlecht beim Standesamt ändern zu lassen, wird zunehmend skeptischer gesehen. Diese Möglichkeit sieht das von der Ampelregierung verabschiedete Selbstbestimmungsgesetz vor. Die GLES-Forscher befragten dazu erstmals im Oktober 2022 die Bevölkerung: Damals fanden sie eine knappe Mehrheit, die diesem Vorhaben ganz oder eher zustimmte. Inzwischen bewertet es nur noch ein Drittel der Befragten positiv. Etwa vierzig Prozent lehnen das Gesetz inzwischen ab.“
Womöglich wären die Ergebnisse schon 2022 anders ausgefallen, hätten die Medien damals in Sachen Selbstbestimmungsgesetz ihren Job richtig gemacht und differenziert über das neue Gesetz aufgeklärt. Die Ergebnisse der Zeit-Umfrage passen aber in ein Muster, was bereits in anderen Ländern beobachtet wurde: Sobald in der Bevölkerung besser verstanden wird, welche Konsequenzen transaktivistische Forderungen haben können, desto eher sinkt die Zustimmung.
Volker Beck, ehemaliger Bundestagsabgeordneter für die Grünen, äußerte sich daher jetzt selbstkritisch im Kurznachrichtendienst X:
„Erste Entwürfe dieses Gesetzes stammen zwar von mir. Ich habe aber schon in der letzten Wahlperiode geraten: ‚Wir müssen aufpassen, dass wir die Gesellschaft mitnehmen. Mit dem Kopf durch die Wand lässt sich Respekt für Trans* nicht durchsetzen.'“
Biologische Männer als Sicherheitsrisiko
Wahrscheinlich atmen gerade einige in deutschen Behörden und in den Parteien erleichtert auf, dass Liebich sich offenbar entschlossen hat, die Möglichkeiten mit einem Personenstandswechsel in Haft nicht weiter juristisch auszuloten, sondern unterzutauchen. Für Frauen ist es ein Schlag ins Gesicht, dass es erst eine rechtsextremistische Person brauchte, um die dem Transaktivismus mehrheitlich wohlgesonnenen Medien aufzuscheuchen und den Scheinwerfer auf die Schwachstellen des Selbstbestimmungsgesetzes zu richten.
Die Insassinnen der JVA Chemnitz haben bereits 2023 leidvolle Erfahrungen mit dem Vorrang einer Geschlechtsidentität vor biologisch-körperlichen Tatsachen machen müssen: Dort wurde ein biologischer Mann aufgrund einer geäußerten Transidentität in die Frauen-JVA verlegt, obwohl keine körperliche Angleichung vollzogen wurde. Dieser Häftling soll weibliche Mithäftlinge und Wachpersonal sexuell belästigt und bedroht haben. Auch soll er im Flur seinen Penis entblößt und masturbiert haben. Erst, nachdem die Insassinnen sich an die Medien gewandt haben, wurde dieser Mann in ein Männergefängnis verlegt.
Ein anderer Fall ist der von Henrico Hilton G., der 2024 in einem Potsdamer Asylheim einen Wachmann erstochen hatte und sich „Cleopatra“ nannte. Trotzdem keine Änderung des Geschlechtseintrags und auch keine medizinische Angleichung stattgefunden hatte, wurde er zunächst monatelang in einem brandenburgischen Frauengefängnis untergebracht. Wie die Welt berichtete, soll er dort weibliche Häftlinge schikaniert und Morddrohungen gegen sie ausgesprochen haben. Ebenso soll G. alle mit Lärm am Tag und in der Nacht über die Heizungsrohre und durch Schlagen gegen die Zellenwände terrorisiert haben. Hinzu seien regelmäßig abwertende, vulgäre und rassistische Beleidigungen von G. ausgesprochen worden. Auch hier wurde dem Spuk schließlich durch die Überführung in eine Männer-JVA ein Ende bereitet, wo er eigentlich von Beginn an hätte untergebracht werden müssen.
Korrektur dringend nötig
Inge Bell, Unternehmerin und Frauenrechtlerin, äußerte sich auf Facebook:
„Der Fall Liebich ist kein kurioser Einzelfall, er ist ein Menetekel. Er zeigt, wie leichtfertig die Ampel-Regierung ein ideologisches Projekt durchgedrückt hat: Ohne Rechtsfolgenabschätzung, ohne Blick auf Sicherheit, ohne Rücksicht auf Frauenrechte.“
Die SPD wäre gut beraten, sich endlich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen und Verantwortung für den auch von ihnen begangenen schwerwiegenden Fehler namens Selbstbestimmungsgesetz zu übernehmen. Anstatt zu blockieren, sollte man sich mit der Union zusammensetzen und ein neues Gesetz erarbeiten, was das Selbstbestimmungsgesetz ablöst. Denn: Die nächsten kontroversen und zugleich vermeidbaren Fälle lassen sicher nicht lange auf sich warten.
Wenn man aus dieser Farce etwas lernen sollte, dann dass auch Forderungen von vulnerablen Minderheiten sorgfältig zu prüfen sind. Ebenso muss man standhaft gegenüber moralischen Erpressungen sein, wenn Forderungen einen deutlichen Haken für andere haben.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.