Die Aufregung um Kinder-Events mit Drag Queens flammt immer wieder auf. Rechte Kreise bezichtigen diese der „Frühsexualisierung“ und stellen alles unter pädokriminellen Generalverdacht. Für Progressive sind Drag Queens jedoch pädagogisch wertvoll. Warum beide Seiten Unrecht haben.

Drag Queen in einem aufwendig gestalteten Kostüm mit Pink und Schwarz und einem Kopfschmuck auf Schaumgummi. Symbolbild für Artikel "Sind Drag-Lesungen das Nonplusultra der Vielfaltserziehung?"
Drag Queens beeindrucken mit liebevoller Kreativität, die viele von ihnen in ihre Kostüme investieren und sind daher ein beliebtes Fotomotiv bei queeren Veranstaltungen (Foto von Quino Al auf Unsplash).

7. Dezember 2025 | Till Randolf Amelung

Zuletzt gab es wieder Wirbel um zwei Drag-Lesungen in Berlin und München: Bei beiden Veranstaltungen sollten Drag-KünstlerInnen Kindern vorlesen, doch rechtsexteme Kreise riefen zu Protesten dagegen auf und starteten Petitionen, in denen die Absage der Performances gefordert wurde. Doch sowohl in München als auch in Berlin waren die Gegendemos stärker besucht. Erledigt ist die Kontroverse damit jedoch nicht, und es ist Zeit, darauf zu schauen, wo sowohl KritikerInnen, als auch BefürworterInnen fehl gehen.

Alles Pädo?

Für die GegnerInnen sind Drag-Lesungen „Frühsexualisierung“ und ein Einfallstor, um Pädophilen Zugriff auf Kinder zu verschaffen. In diesem Sinne reduziert Uwe Steinhoff in seiner Suada gegen LGBT im Cicero progressive Ansätze auf Gefahren für Kinder durch pädophile Täter. Wie so oft, ist es einfacher, die Schwächen vor allem beim politischen Kontrahenten zu sehen und im eigenen Lager zu ignorieren. Sexuelle Gewalt gegen Kinder gibt es, wie aufgedeckte Skandale der letzten Jahre zur Genüge zeigten, auch in rechtskonservativen Bastionen, wie der katholischen Kirche. Man wünschte sich beinahe, hier ähnlichen Furor zu lesen wie gegen die sogenannten perversen Queers. Und wie rechtsextreme Demoaufrufe, die mit ihrer Aggressivität das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen, zum Wohlbefinden von Kindern beitragen, ist ebenfalls fragwürdig.

Die BefürworterInnen solcher Lesungen hingegen stufen Lesungen mit Drag Queens als „pädagogisch wertvoll“ ein, wenn die Bücher altersgerechte Inhalte vermitteln. So heißt es auf Queer.de:

„Drag-Künstlerinnen würden etwa spielerisch zeigen, dass es verschiedene Arten gibt, sich zu kleiden und auszudrücken, dass Rollenbilder nicht starr sein müssen und dass Anderssein nichts Beängstigendes sein muss. Das fördere soziale Kompetenz, Empathie und Offenheit. Zudem stärke es das Selbstwertgefühl von Kindern, wenn ihnen gezeigt werden, dass sie so sein dürfen, wie sie möchten – auch jener, die nicht in traditionelle Schubladen passen.“

Evidenz für Drag Lesungen fehlt

Doch hierfür fehlt eine mit Studien belegte Evidenz, dass Drag Queens der unverzichtbare Höhepunkt der Toleranzerziehung sein sollen. Obwohl diese Überzeugung in progressiven Blasen unermüdlich wiederholt wird, wurde sie bislang nicht objektiv geprüft. Insofern sitzt man also mit der Polarisierung zwischen „alles Pädotäter“ und „pädagogisch unverzichtbar“ gleich zwei Übertreibungen auf, die nicht hilfreich sind.

Zumal das Bekanntwerden der Vorwürfe der Verbreitung und des Besitzes von Kinderpornografie gegen die bekannte Berliner Drag Ikone Jurassica Parka aufzeigt, dass nicht jeder Pädotäter-Vorwurf böswillige Lüge ist. Jurassica Parka wurde zudem bereits 2023 wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt und besaß im selben Jahr noch die Chuzpe in einer mittlerweile depublizierten Folge von Jan Böhmermanns Kochshow „Böhmi brutzelt“ zum Thema „Drag-Lesung“ zu sagen:

„Natürlich lesen Dragqueens keine Kinderbücher vor, weil sie Kinder geil finden.“

Oder auch:

„Weil ich habe mit Kindern jetzt nicht so viele Berührungspunkte.“

Ebenfalls war Parka danach selbst noch in Vorleseveranstaltungen für Kinder aktiv. 2024 moderierte Parka auch Teile des Programms der als familienfreundlich beworbenen Drag-Veranstaltung „Queens & Flowers“

Mit dem Fall Jurassica Parka hat eine Verdruckstheit die Szene erfasst, wie ein Artikel in der Zeit nachzeichnet. Zugleich ist der Fall auch Wasser auf den Mühlen rechtskonservativer sowie -extremer Kreise, die schon seit Jahren „Frühsexualisierung“ schreien. Im Zeit-Artikel heißt es, kaum jemand wolle die Drag-Szene jetzt noch gegen die Angriffe von rechts verteidigen. Dabei hätten die Anfeindungen zugenommen, wie der an mehreren Lesungen mitwirkende Drag King Eric BigClit gegenüber dieser Zeitung sagte. Offenbar reichen Gegendemos zur Solidarität mit Lesungen nicht aus.

In der Vergangenheit wurde mit dem Pädovorwurf erheblich Ressentiments gegen Homosexuelle geschürt. Doch während Kritik daran notwendig war, haben LGBT-friendly Progressive zugleich den Fehler begangen, jede Umsicht über Bord zu werfen, wenn es um Kinderveranstaltungen mit Queer ging. Missbrauchsskandale der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass mittlerweile beispielsweise auch von sechzigjährigen Frauen erweiterte Führungszeugnisse verlangt werden, die ehrenamtlich als Lesepatinnen tätig werden wollen. Eine solche Konsequenz fehlte offenbar beim Thema „Queer“, da man sich nicht dem Verdacht aussetzen wollte, erneut zu diskriminieren.

Subversive Kunstform

Drag als Kunstform lebt von Subversion – wozu nicht nur das Spiel mit Geschlechterrollen, Pailletten und hoher Schaumweinkonsum gehört, sondern auch eine gewisse Lust am Trash, am Obszönen. Sexuelles wird nicht unter den Teppich gekehrt. Lange fand Drag eher in Nischen einer urbanen queeren Underground-Subkultur wie in Berlin statt. Schwule Kultur kennt seit jeher wie auch die lesbische einen spielerischen Umgang mit Travestien, also Verkleidungen mit ironischer Note.

In den letzten Jahren stieg die Popularität enorm. Wesentlich dazu beigetragen hat die US-amerikanische Casting-Show „RuPaul’s Drag Race“, die zuerst 2009 ausgestrahlt wurde und sich dann ab 2016 international verbreitete. In Deutschland zeigte zum Beispiel 2019 ProSieben erstmals „Queen of Drags“ mit Heidi Klum als Host, wofür es jedoch scharfe Kritik gab, weil Klum eine weiße, heterosexuelle Frau ist und nicht selbst der Drag Szene entstammt.

„RuPaul’s Drag Race“ wandelte sich vom Geheimtipp unter Queers zum Quotenerfolg, der auch im Mainstream heterosexuelle ZuschauerInnen begeistern konnte. Womit auch die Nachfrage nach Drag-Veranstaltungen stieg. Unter den Fans sind etliche heterosexuelle Frauen, von denen viele irgendwann – so ist der Lauf der Dinge – eine Familie gründen und Kinder zur Welt bringen. Ein Familienleben mit Kindern erschwert es jedoch erheblich, Zeit für durchtanzte Nächte im Club mit Drag Perfomance im Programm zu finden.

Einige Drag PerformerInnen sahen diese Marktlücke, und so gibt es seit einigen Jahren vermehrt Veranstaltungen, zu denen Drag Queens bei Tageslicht einladen – sei es zum Mimosa-Brunch oder eben zu Lesungen für Kinder. Bei Letzterem kamen Eltern nicht nur in den Genuss eines Hauchs von Subversion, sondern durften sich auch pädagogisch besonders progressiv fühlen. Wäre das Wort „Drag“ nicht in den Leseveranstaltungen für Kinder vorgekommen, hätten sie vermutlich kaum Angriffsfläche geboten – hätten aber auch nicht die Distinktionsbedürfnisse progressiver Eltern befriedigt.

Subversion und Kinder

Doch lassen sich Subversion und Kinderschutz oder gar auch einfach eine etwas glanzlose verbürgerlichte Familienwelt so einfach mit zufriedenstellenden Ergebnissen zusammenbringen? Und lässt sich Drag ohne Weiteres als kinderfreundliche Variante anbieten? Im Zeit-Artikel kritisiert Drag Queen Nina Queer, dass Drag sich zu sehr an den Mainstream angebiedert habe. Von diesen Entwicklungen sind auch die CSD-Paraden betroffen und so kritisiert Nina Queer weiter:

„Zwischenzeitlich waren wir so irre woke, dass jede Form von Fetisch auf dem Christopher Street Day öffentlich repräsentiert werden wollte. Wenn sich erwachsene Männer am helllichten Tage vor aller Öffentlichkeit auspeitschen lassen oder wie Hunde gegenseitig an den Arschlöchern beschnüffeln: Wer kann es konservativen Eltern verdenken, wenn sie ihre Kinder davor schützen wollen?“

Grenzen von Gegenkultur

Grenzziehungen oder Kritik an fehlender Sensibilität für die Kompatibilität von subversiver queerer Gegenkultur inklusive sexueller Konnotationen mit Kinderschutz, sind besonders von queerer Seite verpönt. Wer jedoch keine Grenzen ziehen kann oder will, gibt dabei auch pädosexuell motivierten Tätern allzu leichtes Spiel. Und bekommt entsprechende Vorwürfe nicht abgeräumt. Zwar es rein statistisch betrachtet wohl sicherer, ein Kind einer Drag Queen anzuvertrauen als einem katholischen Priester. Dennoch entsteht in einer Mélange aus mangelnder Reflektion über Grenzen, Verantwortung sowie der Ausweitung gesellschaftlicher Spielplätze und dem gleichzeitigen Anspruch, subversiv und „Underground“ sein zu wollen, etwas sichtlich Unrundes, was nicht funktioniert.

Wenn Eltern ihre Kinder zu offenen Menschen erziehen wollen, sollten sie dafür weder auf Drag-Lesungen noch auch den Besuch von CSD-Paraden angewiesen sein. Gleichgeschlechtliche Paare oder gender-nonkonforme Personen, die im alltäglichen Leben begegnen, können bei Bedarf bündig durch die Eltern eingeordnet werden. Und alles andere hat Zeit bis zur Volljährigkeit.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.