Im Berliner Senat geht der Rotstift um und kürzt, bzw. streicht vielen queeren Projekten die finanziellen Mittel. Und auch Wirtschaftsunternehmen sind nicht mehr so großzügig mit Sponsoring. Hat sich die queere Community zu abhängig von staatlichem Geld gemacht?

Staatliche Fördermittel sind für viele Organisationen und Projekte eine wichtige Grundlage für ihr Gedeihen (Foto von micheile henderson auf Unsplash).

3. März 2025 | Till Randolf Amelung und Jan Feddersen

Schockwellen gehen durch die queere Community Berlins: Schon wieder wurden vom Berliner Senat unter CDU und SPD Gelder für Projekte gestrichen. Betroffen sind: Die Fachstelle für Queere Bildung Queerformat (335.260 Euro), die Kompetenzstelle intersektionale Pädagogik i_PÄD (132.200 Euro), der Kinder- und Jugendbereich der zur Schwulenberatung Berlin gehörenden Beratungsstelle Queer leben (115.900 Euro), das Konsultationsangebot des LSVD+ Berlin-Brandenburg (37.857 Euro) und der Queer History Month des Spinnboden-Archivs (52.250 Euro).

Bereits zum Ende des letzten Jahres waren queere Projekte von Kürzungsvorhaben betroffen. Ein Teil konnte jedoch noch abgewendet werden, insbesondere für den Jugendverband Lambda Berlin-Brandenburg e.V. und einige queere Zentren wurden die Kürzungen wieder zurückgezogen. Anderes wie das Kulturprojekt Pinkdot steht vor dem Aus.

An staatliche Zahlwilligkeit gewöhnt

Gerade in Berlin sind viele Vereine, Einrichtungen und Projekte ansässig, die in den vergangenen 30 Jahren von einer zunehmenden Förderung durch Land und Bund profitierten. Tatsächlich erstaunt es, mit wieviel Geld der Staat queere Projekt bislang gefördert hat. Viele Projekte sind erst mit diesen Subventionen ins Leben gesetzt worden. Diese Förderlandschaft ist so auch immer ein Jobgarant gewesen.

An die Zahlwilligkeit hat sich unsere Szene wie an ein Naturgesetz gewöhnt. Doch die Zeiten stehen auf Sturm: Kommunen, Länder und der Bund sind mit großen Herausforderungen konfrontiert, zu deren Bewältigung finanziell nicht gekleckert, sondern geklotzt werden muss. Beispielhaft erwähnt seien nur Modernisierung der Infrastruktur, das Rentensystem, der Gesundheitssektor, Wohnraum und die notwendige Aufrüstung der Bundeswehr.

Kürzungen auch bei Wirtschaftsunternehmen

Doch nicht nur der Staat, sondern auch Wirtschaftsunternehmen stehen unter Sparzwängen. Schon im letzten Jahr wurden in einigen Firmen Abteilungen für DEI (Diversity, Equity, Inclusion) zusammengekürzt oder gleich ganz abgewickelt. Das betrifft auch Budgets, die unter DEI-Gesichtspunkten Sponsoring betrieben haben. Beschleunigt wurde dieser Trend durch Entscheidungen der US-amerikanischen Regierung unter Präsident Donald Trump DEI-Stellen in Behörden im kulturkämpferischen Feldzug gegen Wokeness einzustampfen. 

Vor den Kürzungen war gerade die Pride-Saison im Juni/Juli für Firmen ein Anlass, CSD-Veranstaltungen zu sponsern, gar mit einem Truck im Demonstrationszug dabei zu sein. Doch nun sitzt das Geld nicht mehr locker und woke ist nicht mehr en vogue. Vom Berliner CSD e.V., dem Organisator des großen und wichtigsten Hauptstadt-CSD, heißt es, dass sie aufgrund mangelnder Sponsorengelder ihre Veranstaltung gerade „grundsätzlich gefährdet“ sehen.

Erste CSD-Demos ohne viel Geld

In dieser Lage lohnt sich ein historisch informierter Blick in die jüngere Geschichte der Schwulen- und Lesbenbewegung: Die ersten CSDs (die damals noch nicht so hießen), fanden in Berlin und Bremen (1979) statt, im Jahr darauf zog Hamburg nach – alles ohne üppiges Fördergeld wohlgemerkt, buchstäblich von wenigen AkteurInnen ehrenamtlich auf die Straßen gebracht. Im sozialdemokratisch geführten Bezirk Hamburg-Nord beispielsweise gab es die erste Förderung für ein schwules (und lesbisches) Projekt in der Hansestadt, indem dieser dem Magnus-Hirschfeld-Centrum bei dessen Ausbau finanziell unter die Arme griff.

Die ersten Förderprojekte auch personeller, jobbeschaffender Art gab es in den bundesdeutschen Metropolen im Kontext der Aidskrise – Stellen, die aus dem gewöhnlichen Gesundheitsbudget finanziert wurden. Eine politische Mission war das jedoch nicht: Ein gesundheitlich informierendes Angebot musste zusätzlich zur üblichen Krankenhaus- und Ärztestruktur aufgebaut werden, weil diese zu oft von diskriminierenden Vorbehalten geprägt war und daher nicht das Vertrauen der Betroffenen genoss.

Queerfeministische Hegemonie

Bei vielen Projekten, die nun in Berlin und anderswo zur Kürzung anstehen, geht es jedoch um die Durchsetzung von kulturell-politischer Hegemonie, insbesondere queerfeministischer Ideologie.  Eine Folge der Subvention der letzten Jahre Im LGBTI*-Bereich ist die überdeutliche Präsenz von Transthemen. Ohne die Fördergelder gäbe es viele entsprechende Initiativen nicht.

Anstatt einfach nur Geld zu streichen, muss man auch einen genaueren Blick auf die Inhalte werfen. Damit verbunden sollte gefragt werden: Dienen Projekte wie Queerformat der Allgemeinheit? Längst gibt es auch in Berlin trans-affirmative Leitfäden an Schulen zum Umgang mit „TIN*-Schüler*innen“ – also solcherart Anleitungen, die bereits in den USA zum Kippen der Stimmung gegen Trans beitrugen. Eine Berliner Pädagogin, die anonym bleiben will, berichtete uns davon, dass solche Leitfäden über Stellen wie Queerformat in die Schulen getragen würden.

Und: Ließen sich nicht auch mit geringeren Budgets und mehr ehrenamtlicher Unterstützung kluge Veranstaltungsreihen sowie CSD-Demonstrationen mit Kundgebungen umsetzen? Am letzten Februartag berichtete die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld auf Facebook von einer Buchvorstellung, die gemeinsam mit dem Schwulen Museum und dem Queer History Month veranstaltet wurde. „Für die Kooperationspartner_innen des Queer History Months war es vermutlich die letzte Veranstaltung, da sie, wie andere Berliner Träger_innen der queeren Bildungs- und Beratungsarbeit vor existenzbedrohenden Kürzungen stehen“, heißt es im Beitrag der BMH. Ist ein Queer History Month in Berlin wirklich nur mit 52.250 Euro jährlich möglich?

Kürzungen keine Verletzung von Menschenrechten

Jetzt tun alle so, als handele es sich bei den Kürzungen um Verletzungen von Menschenrechten. In diesem Sinne äußerte sich Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin, der sich insbesondere wegen der Kürzungen der Trans- und Interberatung für Kinder und Jugendliche bei „Queer leben“ auf dem Instagram-Kanal der Schwulenberatung schockiert zeigte. „Ihre Unterstützung einzufrieren, erinnert an schlimmste Verhältnisse in den USA“, wird Groot im Beitrag zitiert.

So existenziell bedrohend finanzielle Kürzungen für die Betroffenen auch sein mögen – eine Verletzung von Menschenrechten stellt dies nicht dar. Der deutsche Staat hat es sich, in den vergangenen Jahren politisch gewollt, zur Aufgabe gemacht, emanzipative Projekte zu ermöglichen. Das darf er grundsätzlich, so wie er auch die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung am Leben hält – oder die Verbraucherzentralen, von öffentlichen Bibliotheken ganz abgesehen. Er hat aber auch die Aufgabe stets zu prüfen, ob die Gelder ihr Ziel erreichen und ihr Einsatz noch zeitgemäß sind.

Doch in Zeiten knappster Kassen kann der gewohnte Geldfluss in queere Projekte nicht aufrechterhalten werden. In Zeiten, in denen es auf die Ausstattung einer besseren Infrastruktur und eines ernstzunehmenden Militärs ankommt, kann auch von queerer Seite Einsicht erwartet werden, dass diese Dinge eine höhere Priorität haben.


Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Journalist veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien und in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN.

Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.


Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig!  Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.