Ein geraunter Satz von Bundeskanzler Friedrich Merz mit dem Wort „Stadtbild“ hat eine Auseinandersetzung angefacht, ob sich darin purer Rassismus ausdrückt oder schlicht die Wahrnehmung vieler BürgerInnen hinsichtlich der Sicherheit im öffentlichen Raum. Für Queers zumindest ist dieser wieder unsicherer geworden.

30. Oktober 2025 | Jan Feddersen
Möglicherweise haben der Kanzler und seine Berater es so gewollt. Als er bei einer öffentlichen Rede, in der es hauptsächlich um Abschiebungen von straffällig gewordenen Asylbewerbenden ging, von „diesem Problem im Stadtbild“ raunte, traf er offenbar den Nerv von Millionen von WählerInnen. In den Städten sei es nicht mehr wie früher, nicht mehr gemütlich, viel eher: gefährlich. Kurze Zeit später wurde er von Journalisten naheliegenderweise gefragt, was er mit diesen Andeutungen überhaupt meine. Auf tagesschau.de steht hierzu zu lesen:
„Merz hatte am 14. Oktober bei einer Pressekonferenz in Potsdam gesagt, es gebe ‚im Stadtbild noch dieses Problem‘ – offenbar als Anspielung auf Menschen mit Migrationshintergrund. Auf die Frage eines Journalisten, was er damit gemeint habe, sagte der Kanzler wenige Tage später, der Journalist solle, wenn er Töchter habe, diese fragen. ‚Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort‘, sagte Merz, ohne dabei zunächst weiter zu präzisieren, was er als Problem versteht.“
Privilegierte Töchter melden sich
Diese sogenannten Töchter meldeten sich dann, bauten sich vor der CDU-Parteizentrale in Berlin-Tiergarten auf und hielten Reden. Zu diesen Frauen zählten durchweg privilegierte Personen wie Luisa Neubauer, Carolin Emcke und Ricarda Lang, die in den Vierteln, auf die der Kanzler angespielt hatte, garantiert nicht flanieren oder ihren Alltag verbringen. Sie leben in Quartieren, in denen sie sich geschützt fühlen müssen.
Den bislang differenziertesten Beitrag aus dieser Bubble hat der grüne Mitvorsitzende Felix Banaczak formuliert. Er, der aus Duisburg stammt, formuliert sehr präzise und nahbar die Probleme, die in seiner Stadt sehr sichtbar sind: eine falsch modernisierte Innenstadt, Deindustrialisierung überhaupt, Armutseinwanderung. Wer in den einst lebendigen Vierteln lebt, muss sich schützen, denn Polizeien sind nicht präsent, es geht dort – wie in meinem Neukölln – niemand mehr auf Streife.
Queere im Stadtbild
Nicht die Rede ist bislang von queeren Personen – das Wörtchen „queer“ hier als Sammelbegriff gemeint -, die in der Debatte aber eine Rolle spielen müssten, denn in der Tat ist in den vergangenen Jahren ein herber Anstieg von Gewaltdelikten gegen schwule Männer, lesbische Frauen und trans Menschen zu verzeichnen. Nicht nur auf CSDs im Osten unserer Republik, sondern auch in metropolen Gegenden, in denen man sich besser nicht so deutlich als schwul oder lesbisch oder trans zu erkennen gibt.
Aber das ist nicht neu, kein erst in jüngerer Zeit zu beklagendes Phänomen, das ist deshalb nicht automatisch mit migrantischen Jugendlichen in Verbindung zu bringen. Denn in den frühen siebziger Jahren waren sie als Angst machende, einschüchternde Personen noch nicht auf der öffentlichen Bühne. Wer damals Schrecken und Angst zu verbreiten wusste, waren untervögelte Jugendliche weißesten Kalibers. Diese Jungmänner machten gern mal auf von ihnen als schwächer eingeschätzte Menschen Jagd, wenn ihnen danach war. Und ich weiß, wovon ich rede, dann ich war einer dieser nicht so kräftig eingeschätzten Männer, die zu drangsalisieren sich offenbar lohnen könnte.
Nebenbei: Als die ersten Gastarbeiter in die Bundesrepublik kamen, das war Ende der fünfziger Jahre, kursierten Gerüchte, nach denen diese die deutschen weißen und blonden Mädchen schänden könnten. Historische Untersuchungen quellengesättigster Art bezeugen inzwischen, dass im Gegenteil eben diese deutschen Frolleins hinter den dunkelhaarigen Männern her waren, weshalb die bedrängten Männer in vielen Orten darum baten, dass man ihre Wohnheime umzäunt, um nicht gestalkt zu werden.
Toxische Männlichkeit
Es ging, auch historisch gesehen, immer um den Charakter toxischer Männlichkeit. Und es ging um öffentliche Räume, um Einschüchterung, Geländesicherung und Beuteverhalten – heute durch oft migrantisch geprägten Nachwuchskerle. So wie in der Silvesternacht 2015 in Köln vor dem Hauptbahnhof, als Meuten an gelangweilten, beutebewussten und eben gerade geflüchteten Jungmännern vor allem aus Nordafrika, Frauen ins Visier nahmen – und malträtierten.
Die Interpretation vieler feministischer Linker war damals – und ist es bis heute -, dass man nicht betonen dürfe, es habe sich um Flüchtlinge gehandelt. Es dürfe allenfalls von männlichen Gewaltkulturen die Rede sein, nicht von solchen, mit denen nordafrikanische Gesellschaften zu leben haben. Hat es aber sehr wohl, denn die hatten das Terrain vor dem Dom der Stadt für sich genommen, auch als Spielplatz der Gelüste bei erstbester Gelegenheit.
Kein öffentlicher Raum für Queers
Für offen performende schwule Männer, lesbische Frauen und Transpersonen war der öffentliche Raum allerdings immer kein sicherer. Unsereins hatte überall mit Aggressionen zu rechnen, in Schulklassen, auf Schulhöfen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Parks und also im „Stadtbild“ schlechthin. Dass gewisse bürgerliche Viertel, etwa in Berlin, für unsereins sicherer ist, ist noch lange keine Garantie für Unversehrtheit.
Das gleiche gilt für Juden und Jüdinnen, vor allem für männliche Juden, die mit Kippa auf dem Kopf als solche erkennbar sind: Nicht nur in Neukölln, bevorzugtes Einwanderungsgebiet von arabischen Einwanderern, sondern auch in anderen Gegenden der Hauptstadt. Offen jüdisch sein, schwul zu sein, lesbisch oder trans: Kein Grund, sich überhaupt auf sicherem Terrain zu fühlen.
Prekariat als Problemquelle
Auf der anderen Seite darf man auch dies sagen: Für junge Menschen, die von ihren Eltern finanziell nicht üppig alimentiert werden, gibt es kaum noch Treffpunkte, Jugendzentren oder sonstige Areale zum gemeinsamen Abhängen. Die kommunalen Finanzen sind vielerorts, gerade dort, wo arme Jugendliche leben, ausgeholzt, karg gespart: Kein Wunder, dass dort die Kultur der Verachtung für die vermeintlich noch Schwächeren gedeiht.
Fatal wäre, wie der Offene Brief der Frauen (um Luisa Neubauer u.a.) suggeriert, von einem allgemeinen Problem von Gewalt gegen Frauen zu sprechen. Oder wie die eigentlich sehr kluge Politikwissenschaftlerin Susanne Schröter, die in der Debatte um das Merz‘sche „Stadtbild“ nur islamistische Momente am Wirken sieht: Religion, die islamische, allein macht noch niemanden aggressiv – nur im Zusammenwirken von persönlicher Disposition, Perspektivarmut, Langeweile und Mackertum der übelsten Sorte.
Schutz für LGBTIQ
Queere Menschen wünschen sich Schutz überall, aber vor allem Polizeipräsenz in riskanten Vierteln. Wir möchten, dass ein „Stadtbild“ so divers ist, wie es heutzutage nur sein kann – eben auch mit all den friedlich gesinnten Einwanderern, die gerade nach Deutschland geflüchtet sind, um einer toxischen Kultur in ihren ersten Heimatländern zu entrinnen. Es bleibt zu bedauern, dass die hiesige LGBTI-Szene sich mehr mit sich selbst beschäftigt ist und zu dieser Diskussion gerade so gar nichts beizutragen weiß.
Jan Feddersen ist Gründungsvorstand der Initiative Queer Nations und Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz.
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