In den USA rollt der Backlash, gerade Transpersonen wurden von mehreren Anordnungen des Präsidenten Donald Trump hart getroffen. Dabei gab es vor elf Jahren eine Aufbruchsstimmung, dass sich die gesellschaftliche Akzeptanz von Transpersonen zum Besseren wendet. Doch zwei prominente Transfrauen, Blaire White und Brianna Wu, machen gravierende Fehler im Transaktivismus für die Rückschläge verantwortlich.
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17. Februar 2025 | Till Randolf Amelung
Schon zu Beginn seiner zweiten Präsidentschaft wickelt Donald Trump einiges wieder ab, was rechtlich und gesellschaftlich für Transpersonen erreicht wurde. Per Dekret gibt es keine Änderung des Geschlechtseintrags in amtlichen Dokumenten mehr, gender-affirmative Behandlungen Minderjähriger wurden gestoppt, Transpersonen sollen nicht mehr im Militär dienen, und biologisch männliche Personen wurden aus dem Frauensport verbannt. All das sorgt unter vielen Transpersonen für Wut, aber auch Angst bezüglich ihrer weiteren Zukunft in den USA. Dies ist nachvollziehbar, aber ein Blick auf den Aktivismus seit 2014 zeigt: Der Backlash ist nicht vom Himmel gefallen.
Vom Aufbruch zum Backlash
Dabei gab es vor nunmehr elf Jahren durchaus eine Aufbruchsstimmung, die Transfrau und Orange is the new Black-Star Laverne Cox auf das Cover des renommierten Magazins Time brachte. Die US-amerikanische Zeitschrift titelte damals „The Transgender Tipping Point“. „Fast ein Jahr nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs, dass Amerikaner die Person heiraten dürfen, die sie lieben, unabhängig von ihrem Geschlecht, ist eine weitere Bürgerrechtsbewegung im Begriff, lange geltende kulturelle Normen und Überzeugungen in Frage zu stellen“, hieß es in der Titelstory.
Weiter heißt es: „Diese neue Transparenz verbessert das Leben einer lange missverstandenen Minderheit und führt zu neuen politischen Maßnahmen, da Trans-Aktivisten und ihre Unterstützer auf Änderungen in Schulen, Krankenhäusern, am Arbeitsplatz, in Gefängnissen und beim Militär drängen.“ Doch gleich zu Beginn der zweiten US-Präsidentschaft Donald Trumps wird all das kassiert. Wie konnte das passieren?
Zwei Transfrauen gehen nun öffentlich schonungslos mit dem Transaktivismus ins Gericht. YouTuberin Blaire White, eine offene Unterstützerin Trumps, übt seit Jahren Kritik am woken Aktivismus und hat nun wesentliche Punkte nochmal in einem Video zusammengefasst. Brianna Wu, Videospielentwicklerin und Unterstützerin der Demokraten, äußerte sich mehrfach, zum Beispiel zuletzt im Kurznachrichtendienst X. Bemerkenswert ist, dass White und Wu in wichtigen Punkten übereinstimmen, obwohl sie politisch auf der jeweils entgegengesetzten Seite stehen. Aus den von beiden Transfrauen kritisierten Fehlern lässt sich auch viel für Deutschland lernen.
Erster Fehler: Entpathologisierung von Trans und SelfID
Seit 2022 führt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Trans in der 11. Ausgabe ihres Klassifikationssystems aller medizinisch relevanten Diagnosen nicht mehr als psychische Störung. International setzten sich TransaktivistInnen und ihre Verbündeten lange und schließlich erfolgreich dafür ein: Trans als neues Normal. Am liebsten wäre vielen AktivistInnen die vollständige Streichung gewesen, aber da eine Verankerung in einem medizinischen Klassifikationssystem in einigen Ländern wichtig für die Kostenübernahme geschlechtsangleichender Eingriffe ist, wurde als Kompromiss eine neue Kategorie geschaffen.
Im Fokus der AktivistInnen steht aber, dass nur jede Person im Sinne von SelfID (Selbstidentifikation) allein wissen kann, dass sie trans ist und jeder Versuch einer Objektivierung, z.B. durch Diagnostikkriterien und die Erwartung, kongruent zur Selbstidentifikation aufzutreten, als „Gatekeeping“ und „Menschenrechtsverletzung“ verteufelt wird. Auch ein tiefgreifendes Empfinden von Geschlechtsdysphorie, also einem Leiden an der Diskrepanz zwischen körperlichen Geschlechtsmerkmalen und -identität, wird als Bedingung zurückgewiesen.
This is the position on trans people the Democratic Party should retreat to.
— Brianna Wu (@BriannaWu) February 7, 2025
✅ medical transition has to go back to the old school criteria. Extensive therapy, approval by doctors, formal letters written. no more of this self ID nonsense.
✅ no more trans women in women’s…
Sowohl Brianna Wu als auch Blaire White halten dies für einen großen Fehler. Wu fordert auf X: „Die medizinische Transition muss zu den alten Kriterien zurückkehren. Ausführliche Therapie, Zustimmung des Arztes, formelle Briefe. Schluss mit diesem Selbstidentifikations-Unsinn.“ Dahinter dürften folgende Überlegungen stecken: Eine klare medizinische Definition und der Hintergrund intensiverer ärztlich dokumentierter Begleitung haben es überhaupt erst ermöglicht, dass Transitionen mehr gesellschaftliche Akzeptanz erfuhren.
Zweiter Fehler: SelfID auf Kosten von Frauen
Besonders fatale Folgen hat SelfID für die Sicherheit von Frauen, denn wenn eine Selbstdeklaration nicht mehr auf Plausibilität geprüft werden darf, können übergriffige biologische Männer Frauenräume aufsuchen, in denen ein höheres Schutzbedürfnis herrscht. Blaire White bringt in ihrem Video mehrere Beispiele, wo sich offensichtliche Männer unter dem SelfID-Paradigma in Sammelumkleiden und -sanitärräumen für Frauen aufhalten. Beschwerden der Frauen wurden auch von den jeweiligen Betreibern mit Hinweis auf Diversity und Inklusion abgebügelt.
So geschah es 2024 auch im von White erwähnten Fall um ein Fitnessstudio der Kette Planet Fitness in Fairbanks, US-Bundesstaat Alaska: Eine Kundin fotografierte einen offensichtlichen biologischen Mann in Frauenkleidung, der sich im Frauenbereich rasierte und veröffentlichte das Foto mit ihrer Beschwerde in Sozialen Medien. Daraufhin wurde der Frau gekündigt, weil das Fotografieren des Mannes gegen die Hausordnung verstieß. In der Folge kündigten viele Frauen ihre Mitgliedschaft bei Planet Fitness, was zu einem Verlust des Firmenwerts an der Börse um bis zu 400 Millionen Dollar führte.
Besonders umstritten wurde SelfID ohne Sinn und Verstand aber in Frauengefängnissen und im Frauensport. So wurden biologische Männer in den Frauenvollzug gelegt – auch ohne glaubwürdige Transition und obwohl sie wegen Sexualstraftaten verurteilt wurden. So kam es dann mehrfach durch solche SelfID-Fälle zu Vergewaltigungen im Frauengefängnis. Auch im Frauensport torpedierte SelfID die Transakzeptanz, da die körperlichen Vorteile von biologisch männlichen Personen in den meisten Sportarten zu unfairen Bedingungen führen, wie am Beispiel des Schwimmsports und der Kontroverse um Lia Thomas zu beobachten war.
Dritter Fehler: Queeraktivistischer Nonbinary-Nonsens
Ab 2015 kamen immer mehr Personen in Transgruppen, die sich als nonbinary, genderfluid, bigender, trigender oder noch ausgefallener bezeichneten, inklusive Neopronomen wie „they/them“ oder „ze/zir“. Selbstverständlich ist auch Nonbinary gänzlich eine SelfID-Angelegenheit, und Geschlechtsdysphorie ist ebensowenig erforderlich, um bei diesen sprachekstatischen Akten mitzumachen. Dafür herrscht aktivistische Gewissheit, dass die Zweigeschlechtlichkeit ein patriarchales kolonial-westliches Konstrukt ist, was dringend überwunden werden müsse.
Blaire White beschreibt in ihrem Video, dass diese Klientel zunehmen klassische Transsexuelle in Transgruppen verdrängt hätten und gerade auch wegen ihnen Definitionen von Trans bis zur Unkenntlichkeit zum Zirkelschluss wurden. Vor allem auf Social-Media-Plattformen wurde das zunehmend sichtbarer. Zumeist junge Frauen und Männer präsentierten sich oft mit bunten Haaren, kunstvoll-schrägen Make-ups, einem obligatorischen Choker-Halsband in Videoclips und wiederholten, dass sie alle „valid“ seien und ein individuelles Geschlecht hätten.
Ein Beispiel ist die TikTok-Influencerin Emily Skvarch, die sich als „trigender“ definiert: „Ich bin ein Mann, eine Frau und nicht-binär, alles auf einmal und die ganze Zeit. Ich würde vermuten, dass es ähnlich wie bei gender-fluid ist und dass man sich in einem bestimmten Bereich des Geschlechts fühlt, und für mich fühle ich einen großen Teil dieses Bereichs zu jeder Zeit, anstatt durch diesen Bereich zu fließen, wie es eine geschlechtsfluide Person tun würde.“
Damit verbunden wird auch wiederholt behauptet, das biologische Geschlecht sei ein Spektrum. Doch die allermeisten NaturwissenschaftlerInnen gucken irritiert, wenn man sie davon überzeugen will. Zur Akzeptanz von Trans hat dies nicht beigetragen. Daher fordert auch Brianna Wu: „Beenden Sie diesen nichtbinären Unsinn noch heute. Biologisches Geschlecht aus dem Gesetz zu streichen ist Wahnsinn und schadet nur Frauen. Es gibt keine medizinischen Beweise für irgendetwas davon, und in zehn Jahren werden wir es als den sozialen Wahn betrachten, der es ist.“
Vierter Fehler: Gender-affirmative Behandlungen bei Minderjährigen
Gerade in den USA ist auch bei Kindern und Jugendlichen der gender-affirmative Ansatz angewandt worden, der wie bei Erwachsenen auf SelfID setzt und damit alles an entwicklungspsychologischen Erkenntnissen über Bord wirft. Denn: Die meisten geschlechtsdysphorischen Kinder und Jugendliche versöhnen sich im weiteren Verlauf mit ihrem Körper, viele haben auch ein lesbisches oder schwules Coming-Out. Doch statt die jungen PatientInnen entsprechend abwartend zu begleiten, werden im affirmativen Modell zügig pubertätsblockierende Medikamente und gegengeschlechtliche Hormone verordnet.
Die Praxis der unmittelbaren Bestätigung der Geschlechtsidentität ungeachtet dessen, ob der junge Mensch nicht doch eine andere, etwa therapeutische Lösung gebraucht hätte, hat für viele unzufriedene PatientInnen gesorgt. Die medizinische Beweislage für dieses Verfahren ist viel zu dünn, aber Warnungen wurden ignoriert, was vor allem auch White kritisiert. Und das, obwohl inzwischen aus mehreren Ländern systematisch erhobene Kenntnisse über die Risiken vorliegen und in vielen dieser Länder deshalb wieder psychotherapeutische Mittel die erste Wahl sind.
Here’s a very concrete policy change that could be easily made that would radically help trans people.
— Brianna Wu (@BriannaWu) February 7, 2025
Stop all insurance payments for any treatment for transsexuals if they have not undergone the old school steps to ensure they are actually transsexual.
✅ Extensive therapy…
Fünfter Fehler: Queer-aktivistische Indoktrination in Schulen
Nicht nur im medizinischen, sondern auch im Bildungsbereich wurde das gender-affirmativen Modell etabliert. An vielen US-Schulen wurden Richtlinien implementiert, wonach soziale Geschlechtswechsel Minderjähriger aktiv vor den Eltern geheim gehalten wird, wenn es so vom Kind oder Jugendlichen gewünscht wird. Ebenso kann über den Kopf der Eltern hinweg ein Kind an affirmativ-aktivistische Beratungsstellen weitergeleitet werden.
Aber auch darüber hinaus sind aktivistisch motivierte Inhalte in Schulen gelandet, bei denen nicht berücksichtigt wurde, für welche Altersstufen sie passend sind. Besonders Bücher mit queeren Inhalten in Schulbibliotheken haben für erregte Kontroversen und bundesstaatlich angeordnete Book Bans gesorgt.
Ein häufig gebanntes Buch ist die Graphic Novel Gender Queer von Maia Kobabe. Für die Detransitioniererin Maia Poet ist es ein Paradebeispiel in Sachen „unverhohlene Transpropaganda“, auf X postet sie einige Auszüge. Auch Blaire White erwähnt dieses Buch und verweist auf sexuell explizite Szenen, die letztlich der Grund gewesen seien, dass es aus Schulbibliotheken entfernt wurde und Ähnliches auch auf viele andere umstrittene queere Bücher zuträfe. White nannte als weitere Beispiele Erwähnungen von Sexualpraktiken, die in der Sexualbiografie von Teenagern eigentlich noch keine Rolle spielen sowie detaillierte Beschreibungen von Dating-Apps, die erst ab Volljährigkeit nutzbar sind.
Doch republikanische Hardliner und andere GegnerInnen möchten nicht zwischen einer knappen, altersgerechten Aufklärung und solchen Exzessen differenzieren. So werden die Fehler der queeren AktivistInnen dankbar angenommen, um Aufklärung generell zu canceln. In Florida beispielsweise sollen queere Themen bis zur zwölften Klasse nicht mehr im Unterricht besprochen werden.
Was nun?
Blaire White spricht davon, dass man in den USA nun im „trans acceptance tipping point“ befinde und dass das gesellschaftliche Klima frostig geworden sei, was aber ihrer Meinung nach vermeidbar war. Brianna Wu fordert gerade von der Demokratischen Partei, dass sie die fehlerhaften Extrempositionen aufgibt, damit sich die Situation für Transpersonen wieder verbessern kann. Unterdessen berichtet sie davon, zum ersten Mal seit ihrer Transition vor über 20 Jahren offene Anfeindungen zu erfahren und dass sie den Eindruck hat, als Transperson aus dem öffentlichen Raum verdrängt zu werden.
I transitioned over 20 years ago. Not once in my entire life have I had someone scream at me and call me a tr*nny while doing an event like yesterday. More horrifying was the crowd cheering.
— Brianna Wu (@BriannaWu) February 17, 2025
I wish people could see the open hate that is being fostered against people like me.
I…
In Deutschland wären wir gut beraten, die Fehler in den USA nicht zu wiederholen, denn der Backlash wird für reaktionäre Kräfte zur willkommenen Gelegenheit, auch das im bürgerrechtlich-aufgeklärten Sinn Erreichte wieder abzuwickeln. Doch längst sind auch in unseren Schulen fragwürdige Inhalte aus dem queeren Aktivismus angekommen oder werden von entsprechenden Vereinen bereitgestellt – zum Beispiel in Form eines Malbuchs vom Queer Lexikon.
Für Ende Februar wurde außerdem die lange erwartete Veröffentlichung der umstrittenen, weil affirmativen Leitlinie für geschlechtsdysphorische Kinder und Jugendliche angekündigt, die unter der Leitung des Psychiaters Georg Romers entstanden ist. Äußerungen der ebenfalls beteiligten Psychologin Sabine Maur auf LinkedIn lassen nicht vermuten, dass es einen Kurswechsel zu mehr Vorsicht gibt: „diese leitlinie ist auch deshalb so wichtig, um der politischen instrumentalisierung und der massiven verbreitung von falschinformationen und transfeindlichen narrativen einen wissenschaftsbasierten expert*innen-konsens gegenüberstellen zu können.“
Und seit November 2024 ist in Deutschland SelfID Gesetz geworden. Bereits zweieinhalb Monate nach Inkrafttreten gibt es mit der Nutzung durch eine Person aus der rechtsextremistischen Szene den ersten, medial diskutierten strittigen Fall. Auch hier war das aufgrund der Vorhersehbarkeit solcher Probleme vollkommen unnötig.
Till Randolf Amelung ist Redakteur des IQN-Blog und seit Juli 2024 auch Mitglied des IQN-Vorstand. Als freier Autor veröffentlicht er mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen auch in anderen Medien, zum Beispiel der Jungle World. Ebenso veröffentlicht er in wissenschaftlichen Sammelbänden wie dem Jahrbuch Sexualitäten der IQN. 2020 gab er im Querverlag den Sammelband Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik heraus. 2022 erschien sein Essay Transaktivismus gegen Radikalfeminismus. Gedanken zu einer Front im digitalen Kulturkampf.
Auf ein Wort in eigener Sache: Die 2005 gegründete Initiative Queer Nations versteht sich getreu des Mottos von Magnus Hirschfeld „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“ als Debattenplattform. Im Blog gibt es Kommentare, Analysen, Berichte zu aktuellen Themen, die unsere Arbeitsschwerpunkte berühren. Neben der Herausgabe des „Jahrbuchs Sexualitäten“ seit 2016 und Veranstaltungen, etwa unseren Queer Lectures, erweitern wir damit unser Angebot. Wir sagen: Mainstream kann jeder – wir haben das nicht nötig! Wir arbeiten ehrenamtlich. Alle Texte in unserem Blog sind kostenfrei zugänglich. Damit das weiterhin möglich ist, freuen wir uns sehr, wenn Sie uns mit einer Spende oder Mitgliedschaft bei der IQN e.V. unterstützen.